Ach, hätten doch die Mitglieder des Deutschen Bundestages nach der bewegenden Video-Botschaft des ukrainischen Präsidenten Selenskij geschwiegen. Einfach mal an die Menschen in der Ukraine gedacht, an die vielen Opfer des brutalen russischen Aggressionskrieges, an die Menschen auf der Flucht und an das unendliche Leid. Statt in einer Geschäftsordnungsdebatte übereinander herzufallen, einfach mal innegehalten. Haben wir das schon verlernt durch das Wegsehen in Bosnien, Ruanda, Myanmar, Irak, Syrien, Jemen, …? Die Botschaft meiner Generation „Nie wieder Krieg“ – mal wieder zerbombt. Die „Lehnstuhlhelden“ kommen aus allen Ecken. Sie erklären uns die Welt, den Krieg und schwadronieren über richtige militärische Lösungen. Ach, würden sie einfach schweigen. Das gilt auch für etliche Partei- und bäuerliche Interessenvertreter, die unter dem Radar des Krieges nach kurzen Worten des Bedauerns neunmalkluge Analysen über die wirtschaftlichen Auswirkungen und die Aktienkurse abgeben. Um dann richtig auszuholen und gleich das Ende jeglicher notwendiger Reformen der Agrarpolitik einzufordern, Klimaschutz zum nachrangigen Ziel zu erklären und neue Produktionsschlachten zu verkünden. Sie behaupten, obwohl sie den Widerspruch der Wissenschaft kennen, mit Getreideanbau auf den ab 2023 geplanten vier Prozent Stilllegungsflächen und mit Gentechnik das Hungerproblem in der Welt angehen zu können. Andere bieten die sofortige drastische Reduzierung der Tierzahlen als Lösung an.
Schon vor dem Ukrainekrieg gab es über eine Milliarde Menschen, die nicht genug zu essen und zu trinken hatten. Allein im Jemen sind 13 Millionen Menschen akut vom Hungertod bedroht und die jüngste UN-Geberkonferenz endete in einem Fiasko; nur ein Drittel der benötigten Gelder konnte gesammelt werden. Das Welternährungsprogramm muss finanziell so ausgestattet werden, dass damit Nothilfen geleistet werden können. Hunger ist aber ein strukturelles Problem, das sich nur mit Zugang zu Saatgut, Land, Wasser, Bildung beseitigen lässt. Nur mit Klimagerechtigkeit und dem Erhalt der Artenvielfalt schaffen wir es, ein stabiles Ernährungssystem sicherzustellen. Es bleibt in diesen bewegten Zeiten richtig, vehement bei der EU-Agrarpolitik für mehr soziale Gerechtigkeit und die Stärkung der Milch- und Grünlandregionen sowie für Preise einzutreten, die eine wirtschaftlich nachhaltige Weiterentwicklung unserer Betriebe ermöglichen. Es bleibt richtig, den Umbau der Tierhaltung wirtschaftlich zu stemmen, gegen außerlandwirtschaftliche Großinvestoren vorzugehen und Spekulationen mit Nahrungs- und Futtermitteln zu beenden. Kein Zweifel: Die sozialen und wirtschaftlichen Folgen durch diesen Krieg werden tiefe Spuren hinterlassen und uns auch in der Landwirtschaft dazu zwingen, grundlegende Veränderungen vorzunehmen. Globale Abhängigkeiten und die Exportstrategie müssen überprüft werden. Die erdölbasierte Produktion muss hinterfragt und Lieferketten müssen wieder überschaubar werden. Unser Ernährungsverhalten werden wir anpassen müssen mit geringerem Fleischkonsum und weniger Lebensmittelverschwendung. In diesen Krisenzeiten setzen einige auf Polarisierung, Hass und Hetze. Da heißt es gegenhalten.
Jakob Augstein erzählt in seinem neuen Roman von einem Mann, dem die Welt abhandengekommen ist. Das kann passieren. Dagegen hilft Aufstehen für Frieden, Ernährungssouveränität und für den Erhalt der Lebensgrundlagen und vieler Bauernhöfe. Lasst uns zusammenstehen und dafür eintreten.