Am 2. März 2022 fand eine von der Universität Rostock organisierte Online-Veranstaltung zum Thema „Auswirkung des Ukrainekrieges auf die internationalen Agrarmärkte und die EU“ statt. Organisiert und moderiert wurde sie von Professor Sebastian Lakner, Inhaber des Lehrstuhls für Agrarökonomie an der Universität Rostock. Im ersten Teil des Panels wurden zwei Agrarexperten aus der Ukraine zugeschaltet, die eindrücklich über die Lage in ihrem Landberichteten. Im zweiten Teil der Veranstaltung wurden die möglichen Auswirkungen des Krieges auf den Weltmarkt diskutiert.
Prof. Dr. Oleg Nivievskyi, Wissenschaftler an der Kiev School of Economics, berichtete, dass viele Menschen in der Ukraine zum Widerstand bereit seien, jedoch die Lage im Land insgesamt dramatisch sei. Transportwege seien durch Militärposten kontrolliert, die Straßen und Brücken seien teilweise zerstört, und die Versorgungslage in den großen Städten sei teilweise unterbrochen. Seine Studierenden hätten sich teilweise bei der Armee gemeldet und würden kämpfen. „Viele Landwirte geben auch Treibstoff an die Verteidigungskräfte ab. Ob nun Feldarbeiten starten können, ist noch unklar“, erklärte Nivievskyi vor der Veranstaltung gegenüber dem Agrarfachmagazin „top agrar“.
Dr. Alexej Lissitsa, Agrarökonom und Betriebsleiter eines großen Milchviehbetriebes in der Nordukraine, berichtete über die verheerende Lage in den landwirtschaftlichen Betrieben. Die Tiere im Stall könnten nicht versorgt werden, seine Arbeitskräfte müssten sich vor Ort vor den Angriffen schützen und könnten ihre Arbeiten nicht ausführen. Die Agrarbetriebe versuchten aktuell die Versorgung der großen Städte aufrechtzuerhalten, aber Transportwege seien durch die Kontrollen versperrt, so dass ein Lebensmitteltransport aus der Westukraine, der normalerweise wenige Stunden braucht, aktuell auch nach 24 Stunden aktuell sein Ziel nicht erreiche. Lissitsa sagte, er rechne bei fortgesetzten Kämpfen sowohl für 2022 als auch 2023 mit erheblichen Ernteausfällen. Bisher gingen von 85 Mio. Tonnen Getreide, 65 Mio. Tonnen in den Export. „Mit einer Aussaat rechnen wir noch nicht mal“, befürchtet Alexej Lissitsa. Einerseits hätten sie ihren Treibstoff an die Armee abgegeben, sodass nur noch für die Zentralukraine Treibstoff da sei, der aber nicht reicht. Andererseits arbeiten zurzeit von den über 2000 Mitarbeitern gerade einmal 200 bis 240 Menschen, alle anderen seien im Krieg oder werden in der lokalen Verteidigung eingesetzt.
Dr. Heinz Strubenhoff, Agrarökonom und langjähriger agrarpolitischer Berater in der Ukraine, wies auf die starke Exportorientierung des Landes hin. Die Häfen am Schwarzmeer, über die normalerweise der Export von Getreide und Ölsaaten auf den Weltmarkt erfolge, seien blockiert, auch die Infrastruktur des Landes, die in den letzten Jahrzehnten mühevoll aufgebaut worden sei, sei beschädigt. Noch sei unklar, wie viel fehlen werde, aber dass Exportmengen wegfallen, davon könne man mit Sicherheit ausgehen. Strubenhoff erwarte insgesamt auch höhere Kosten für Betriebsmittel. Ebenso könne die Wettbewerbsfähigkeit bei einem längeren Krieg deutlich beeinträchtigt werden. Vieles hänge von der Dauer des Krieges ab. Besorgt sei er zudem über die Ernährungslage in Afrika: Was passiere eigentlich mit den Importländern? Die Zahl der Mangelernährten habe bereits während der Coronakrise zugenommen, durch diesen unsäglichen Krieg in der Ukraine werde diese Zahl ansteigen.
Agrar- und Wirtschaftsjournalist Dr. Jan Peters wies auf die internationalen Auswirkungen von ausbleibenden Exporten hin. An der MATIF in Paris, einer der größten europäischen Börsen für Agrarprodukte, seien die Preise für Weizen von 190 (2020) und 240 (2021) auf über 350 Euro/Tonne gestiegen. Er erwarte eine drastische Preisentwicklung für das laufende Jahr. Aktuell hätte Ägypten versucht, Getreidemengen zu kaufen und habe diese Versuche eingestellt, da die Importe für das Land nicht bezahlbar seien. Ähnlich sei die Situation in Pakistan. Wir hätten das höchste Preisniveau seit 14 Jahren und bräuchten die Lieferländer Russland und Ukraine, ansonsten könne es zu einer Katastrophe kommen, so Peters.
Am Ende bedankten sich Nivievskyi und Lissitsa für die Unterstützung vieler Menschen im Westen, dies würde in der Ukraine wahrgenommen und sei ermutigend. Wer der Ukraine helfen möchte, kann das unter anderem über die Website https://hilfe-ua.de.
Besorgt fasst Sebastian Lakner die Veranstaltung zusammen: „Der brutale Krieg ist nicht nur für die Zivilbevölkerung, sondern eben auch für die Landwirtschaft in der Ukraine eine Katastrophe. Der Krieg kann auch auf die Welternährungssituation deutliche Auswirkungen haben. Wir müssen dringend darüber nachdenken, mit welchen Maßnahmen die internationale Gemeinschaft gegensteuern kann, zielgerichtet und gleichzeitig ohne voreilige Schnellschüsse.“
Die Online-Veranstaltung zum Thema „Auswirkung des Ukrainekrieges auf die internationalen Agrarmärkte und die EU“ wurde aufgezeichnet und kann über https://www.youtube.com/watch?v=1J3QDZsjNGk angesehen werden.
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Prof. Sebastian Lakner ist auch Teilnehmer einer Online-Veranstaltung zum Thema "Welche Auswirkungen hat der Ukrainekrieg auf die Landwirtschaft in Europa und darüber hinaus?" siehe Termin-HINweise.