Der Handel legt vor
Der Handel prescht bei der Vermarktung von Tierwohlprodukten mächtig voran: Seit Anfang des Jahres verkauft der Discounter Aldi in einigen Regionen Geflügelfleisch unter seiner neuen Tierwohl-Hausmarke “Fair & Gut”. Mehr Fleischprodukte von weiteren Tierarten und in mehr Regionen sind schon geplant, auch im Premiumsegment. Nur wenig später zog der Konkurrent Lidl mit der Ankündigung nach, ab April eine Haltungskennzeichnung für Fleischfleisch einzuführen: Stufe 1 für gesetzlichen Standard, 2 für „Stallhaltung Plus“, 3 für Auslauf und 4 für Bio. Das Prinzip ist seit der Einführung der Eierkennzeichnung bekannt.
Eine Haltungs- und Herkunftskennzeichnung für alle tierischen Lebensmittel fordert die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft gemeinsam mit vielen anderen Verbänden seit langem vom Gesetzgeber – oder für den Übergang zumindest ein staatliches Labelsystem für artgerechte Nutztierhaltung. Nur so entsteht eine klare und verständliche Differenzierung unterschiedlicher Qualitäten am Markt, damit Verbraucher eine wirkliche Wahl haben. Und damit wir als Bäuerinnen und Bauern eine eindeutige Planungsgrundlage bekommen. Denn viele sind bereit und überlegen, wie sie ihre Tierhaltung auf artgerechtere Verfahren umstellen können. Wichtig dafür sind echte Vermarktungsperspektiven. Solche entstehen nun durch die Aktivitäten im Handel, denn auch andere Lebensmitteleinzelhändler positionieren sich mit eigenen Programmen. Was dabei bisher fehlt, das ist die Durchlässigkeit zwischen vergleichbaren Standards unterschiedlicher Ketten. Jeder macht, was ihm gerade einfällt, egal ob das funktioniert oder nicht. Und für uns droht die Basis für Unabhängigkeit und Verhandlungsspielraum abhanden zu kommen. Eine ordnende Kennzeichnung gehört daher mit zu den ersten Aufgaben der neuen Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft.
Mehr Tierwohl bringt nicht automatisch höhere Preise und mehr Einkommen auf die Höfe – aber genau das muss unbedingt kommen, damit die Tierhalter eine Perspektive erkennen und nötige Veränderungen angehen, statt entnervt aufzugeben. Der Umbau der Tierhaltung kann aber nicht dem Markt alleine überlassen werden. Er ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Eine Haltung mit viel Platz, Stroh, Außenklima und Auslauf unterscheidet sich sehr vom heutigen Standard, ganz besonders in der Sauenhaltung. Letztlich müssen wir auch die Zucht und Leistungen anpassen. Neben höheren Preisen aus einer Marktdifferenzierung müssen Bund und Länder daher zusätzliche Fördermittel anbieten, und zwar nicht nur für Investitionen und Beratung, sondern auch für den laufenden Betrieb. Die Bioprämie gliedert sich auch in Umstellung- und Beibehaltungsprämie.
Der Strukturwandel ist bisher vor allem befeuert durch den bisherigen Fokus auf Kostenführerschaft und Exportwettbewerb. Diesen Verlust an Strukturen auf dem Land können wir uns nicht leisten. Im Schweinebereich trifft es seit Jahren die Sauenhalter besonders hart. Hier sind die anstehenden Veränderungen besonders aufwendig und teuer. Neuland als erfahrenes Vermarktungsprogramm für Fleisch aus konsequenter artgerechter Tierhaltung und den handwerklichen Fleischern als Partner auf Augenhöhe hat bisher keine große Marktdurchdringung erreicht – auch weil der Nischenmarkt hohe Kosten für die Trennung der unterschiedlichen Produktionsformen tragen muss. Es war Pionierarbeit. Nun lässt sich darauf aufbauen, ohne das bisher erreichte zu gefährden. Als Beispiel für eine Gemeinschaft von Bauern und Bäuerinnen, die ihr Einkommen erwirtschaften mit artgerechten Tierhaltungsverfahren, wird die Bedeutung als Erzeugerzusammenschluss besonders wichtig: Gemeinsam auftreten und verbindliche, möglichst langfristige Verträge mit Preisen verhandeln, die von den Kosten ausgehen und den Wert der nachgefragten Erzeugnisse wiederspiegeln – das ist eine herausfordernde, aber immens wichtige Aufgabe, die uns Bauern und Bäuerinnen keiner abnehmen wird. Erst recht nicht, wenn der Lebensmitteleinzelhandel die Bühne betritt. Er bietet durch seine Stärke am Markt zwar ein ganz neues Vermarktungspotential für die Betriebe, die sich auf eigene Faust auf den Weg gemacht haben. Aber er steht selbst unter enormem Konkurrenzdruck und verfolgt eigene Interessen.
Es braucht Mut an vielen Stellen. In Berlin, aber auch bei uns. Auch wir haben unsere Hausaufgaben zu erledigen.