China: Rettung oder Falle für die Milcherzeuger?

Eine kommentierende Analyse von Marktbeobachter Hugo Gödde.

„Wen interessiert es, wenn in China ein Sack Reis umfällt.“ Dieser Satz trifft heute mit Sicherheit nicht mehr zu. Besonders Europas Milchkonzerne blicken wie gebannt ins Reich der Mitte. Schließlich hängt ihr Wohl und Wehe in den nächsten Jahren von den Entwicklungen in den Metropolen Südostasiens ab. Seit Chinas Eintritt in den internationalen Handel beeinflusst es immer stärker die Weltmärkte. Immerhin lebt im (ehemaligen) kommunistischen Land mit 1,4 Mrd. Menschen fast jeder fünfte Erdbewohner. Jede Veränderung ihrer Produktion und ihrer Agrarpolitik hat erhebliche Auswirkungen auch auf die europäischen Märkte und Preise. Und das gilt für alle wesentlichen Märkte, den Fleisch-, vor allem Schweinemarkt, den Getreidemarkt und inzwischen auch den Milchmarkt. Überraschung: Die Chinesen trinken Milch
Lange Jahre wurde in der westlichen Welt erklärt, dass die Chinesen (wie auch andere Ostasiaten und Afrikaner) zu 65% bis 90% unter einer Milchunverträglichkeit im Magen-Darmbereich litten, so dass der Markt unbedeutend wäre. Tatsächlich hatte sich auch keine relevante einheimische Produktion ausgebildet. Erst in den letzten zwei Jahrzehnten wurden westliche Konsumgewohnheiten übernommen und plötzlich spielt Laktoseintoleranz, die oft erst im Erwachsenenalter auftritt, offensichtlich eine untergeordnete Rolle. Ja, Milchtrinken gilt als modern, proteinreich und gesund, weil es den Knochenbau unterstützt. „Wir Chinesen wollen auch so groß werden wie die Europäer und Amerikaner“, heißt es in vielen beliebten Werbungen. Dadurch tat sich ein Markt mit riesigen Mengenpotenzialen auf. Alle Milchexportländer waren wie von Sinnen. Allen voran die Neuseeländer, deren übervolle Milchproduktion zu 90% exportiert wird. Aber auch Europas Milchriesen hatten Eurozeichen in den Augen wegen der sensationellen Wachstumschancen, die man nicht verpassen dürfe. Europas Konsum stagnierte, aber „der Chinese säuft uns leer,“ wie die wichtigste Argumentation von Bauernverband, Milchindustrie und Politik lautete, um 2015 die „ungeliebte“ Milchquotenregelung abzuschaffen und mehr Milch erzeugen zu können. Und irgendwie haben es die Milcherzeuger gern geglaubt oder gehofft und - mitgemacht. Eigenerzeugung wächst langsam...
Tatsächlich hat die chinesische Führung eine Erhöhung der täglichen Aufnahme von Milchprodukten auf 2 Portionen (a 100 Gramm) empfohlen – verglichen mit einem weltweiten Konsum von 300 Gramm. Allein das wäre eine Verdoppelung gegenüber heute. Und ein großes Potenzial, wenn der Verbraucher mitspielt. Denn bisher ist Milch eher ein Kinderprodukt mit hohen Anteilen an flüssiger Milch (EU führend) bzw. Vollmilchpulver, das Neuseeland mit 71% des Weltexports beherrscht. Aber auch Joghurt und Käse haben bei den Großstädtern große Wachstumschancen. Chinas Milchproduktion hat keine Tradition und spielte bei Bauern bisher eine Nebenrolle. Die Produktion kam nicht nach. Nach staatlichen Angaben sind mittlerweile fast 70% aller Milcherzeuger sogenannte staatsgeförderte Großbetriebe mit einigen hunderten bis tausenden Kühen. Allein 2020 wurden fast 200.000 Holstein-Kühe importiert, um die Leistung zu erhöhen, die bisher schon bei guten 8.000 kg/Kuh liegt. Man holt sich auch Hilfen beim Knowhow der ausländischen Industrie. So unterstützt Arla (Schweden/Dänemark) beim Aufbau der Produktion, Danone (Frankreich) im Molkereimanagement, auch FrieslandCampina (Niederlande/Deutschland) ist mit Expertise und nach Eigenangaben mit guten Gewinnen unterwegs. Aber nicht alle Träume wachsen in den Himmel. So musste die Fonterra, der weitaus größte Molkereiriese aus Neuseeland, seinen Farmaufbau in China zuletzt abbrechen, weil die Verluste überhandnahmen. Trotz alledem wächst Chinas Milchproduktion relativ langsam. Sie wird 2021 ca. 34 Mio. Tonnen (+5%) erreichen, so viel wie Deutschland, Russland oder Brasilien. Die EU27 ist mit etwa 150 Mio. Tonnen weltgrößter Erzeuger vor USA mit 100 Mio. Tonnen. Auch Chinas Molkereien spielen global gesehen eher in der zweiten Liga. Die beiden größten Yili und Mengniu liegen mit ca. 11 Mrd. € Umsatz auf der Höhe von Fonterra, FrieslandCampina und Arla, aber deutlich hinter Marktführer Nestlé (20 Mrd.), Lactalis/Parmalat (Frankreich/Italien), dem US-Giganten Dairy Farmers (je 19 Mrd.) oder Danone mit 17 Mrd. €. ... der Import rasant
Dagegen steigen die Importe nach einem coronabedingten schwächeren Jahr wieder an. Magermilchpulver wuchs um 43%, Vollmilchpulver um 28%, Butter um 22% und Käse, der immer beliebter wird, um 40%. Davon profitierten besonders die beiden größten Exporteure EU und Neuseeland, aber auch Australien, die wie die „Kiwis“ ein Freihandelsabkommen mit China unterzeichnet haben. Die EU steht eher für den Handel mit flüssiger, haltbarer Milch, während die ozeanischen Länder den Markt für Molkereiprodukte wie Käse, Vollmilchpulver und Butter (Anteil 80%) beherrschen. Den Boom, der sich auch in höheren Weltmarktpreisen niederschlägt, konnte vor allem Neuseelands mit Abstand größte Milchverarbeiter Fonterra (zugleich Spitzenreiter unter den global playern) nutzen, und seine Bauern konnten höhere Milchpreise durchsetzen. Sie liegen umgerechnet bei 34 ct/kg, was für ihre Verhältnisse mit ganzjähriger Weidehaltung fast ohne Kraftfutter beachtlich ist. Zugleich nutzt der neuseeländische Staat die Gelegenheit, höhere Umweltauflagen für Trinkwasserschutz durchzusetzen, was viele Bauern auf die Straße trieb. Und die Erzeuger?
Immerhin haben die Bauern des fünften Kontinents etwas vom gestiegenen Weltmarktpreis, während – wie es AbL-Milchexpertin Kirsten Wosnitza schreibt – den deutschen Milcherzeugern weiterhin die Möhre des Weltmarktes vorgehalten wird, hinter dem man herlaufe, ohne davon realen Nutzen zu haben. Es spricht viel dafür, dass sich der chinesische Milchmarkt weiter öffnet und die Importe sprudeln. Die heimische Produktion und Verarbeitung kommt nicht so schnell nach. Die globalen Konzerne wissen, dass dabei das Marketing im Vordergrund steht, den asiatischen Kunden den ungeheuren Nutzen der Milch für die Gesundheit nahezubringen. „Wenn uns das gelingt, hat Milch eine große Zukunft,“ erklärte ein Manager von Arla. Und dafür müsse man groß sein, um eine solche Aufgabe zu stemmen. Sie fühlen sich geradezu als Unternehmen, die aus humanitären Gründen dem Verbraucher der aufstrebenden Weltmacht nur das Beste bieten. Natürlich wird der Kampf mit den anderen Exportländern hart sein. Auch ein wachsender Markt führt nicht automatisch zu Vorteilen bei den Erzeugern. Der Konflikt mit den Exportmolkereien dürfte sich zuspitzen. Der Bauer in Deutschland merkt davon bisher wenig. Jetzt nach Monaten der gestiegenen Weltmarktpreise beginnen sich die Milchpreise vorsichtig anzuheben. Solange haben die Molkereien allein verdient. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen eher, dass sich die Weltmarktkonjunkturen für die Erzeuger weniger lohnen und mehr „volatile“ (schwankende, sprunghafte) Marktverhältnisse hervorbringen. Hoffentlich halten das die Milchbäuerinnen und Milchbauern noch solange aus.
26.07.2021
Von: Hugo Gödde

Anchor ist nach eigenen Worten des Molkereiriesen Fonterra "unsere Flaggschiffmarke für die tägliche Ernährung in China". Bildquelle: Fonterra