27 mal EU-Agrarpolitik
Das Gemeinsame an Europas Politik für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung droht zu verschwinden. Die EU-Kommission legt für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) nur noch allgemeine Ziele, einen groben Rahmen für Maßnahmenbereiche und Grundanforderungen sowie wenig wirksame Indikatoren zur Ergebniskontrolle vor. Sowohl für die verschiedenen Direktzahlungen als auch für die Förderbereiche der ländlichen Entwicklung (2. Säule) übergibt die Kommission die Verantwortung nun weitgehend in die Hände der Mitgliedstaaten. Den gleichen Weg bereitet sie auch im Bereich der Marktbezogenen Maßnahmen vor. Je weniger es in der EU-Agrarpolitik um gemeinsame Marktordnungsmaßnahmen geht und je mehr die GAP zu einem Umschlagplatz für EU-Subventionen wird, desto größer ist das Bestreben der Mitgliedstaaten, mit möglichst wenig Anforderungen an eben dieses Geld zu kommen. So beschreibt es ein langjähriger und hochrangiger Mitarbeiter der Kommission.
Agrarkommissar Phil Hogan gibt diesem Druck der Mitgliedstaaten bereitwillig nach. Er entwirft kein Bild davon, wohin er die Gemeinsame Agrarpolitik ausrichten will. Er sagt nicht, mit welchen Maßnahmen er die Bauern und Bäuerinnen dabei aktiv unterstützen will, damit sie die vor ihnen liegenden und sie wirklich existenziell herausfordernden Veränderungen meistern können. Die Herausforderungen, die sich aus veränderten Erwartungen in großen Teilen der Gesellschaft ergeben, nimmt der Ire nicht in den Blick. Tierschutz kommt in seinen Vorschlägen nicht vor. Hogan spricht lieber von Digitalisierung, intelligenter Landwirtschaft, Bioökonomie, Kreislauf(-Rohstoff)-Wirtschaft, und er preist das Exportwachstum. Es heißt, er wolle 2019 wieder Kommissar werden, dann aber Handelskommissar.
Doch es ist zu einfach, allein Hogan die Schuld an der nun vielfach beklagten „Renationalisierung“ der GAP zu geben. Bei der letzten EU-Agrarreform waren es die Mitgliedstaaten und die Agrarspezies im Europäischen Parlament, die einen ambitionierten Kommissar mit klaren eigenen Vorstellungen in die Knie zwingen wollten. Der Rumäne Dacian Ciolos wollte die GAP „grüner und gerechter“ machen und schlug dafür ein Greening und eine verpflichtende Staffelung der Direktzahlungen vor. Als die Gegner in Berlin und anderswo es nicht schafften, das in Gänze zu verhindern, sorgten sie dafür, dass möglichst viele Entscheidungen in die Hand der Mitgliedstaaten gelegt wurden. Das erst machte die Dinge im Konkreten sehr kompliziert, doch das scherte die Verursacher wenig, weiterhin stur Brüssel für die Bürokratie anzuklagen und nach „Vereinfachung“ zu rufen. Die Kommission dreht nun den Spieß um: Sollen doch die Regierungen in den Hauptstädten und ihre Lobbyverbände zeigen, dass sie es einfacher hinbekommen. Und die „alten Eliten“ bzw. Vertreter der Agrarindustrie fühlen sich noch bestätigt: Haushaltskommissar Oettinger kürzt kaum bei den Direktzahlungen, dafür aber umso stärker bei den zielgerichteten Maßnahmen der 2. Säule. Und die verpflichtende Kappung, die Hogan vorschlägt, wird nur wenig Wirkung zeigen, wenn sie denn überhaupt den Verhandlungsmarathon übersteht.
Die Kommission will die Verhandlungen über ihre Vorschläge möglichst bis zur Europawahl im Mai 2019 so weit wie eben möglich bringen. Ein Abschluss bis dahin aber ist unrealistisch. Darin liegt auch eine Chance. Wenn es gelingt, die Bedeutung der Gemeinsamen Agrarpolitik für Europas Bauern, für unser aller Umwelt, für die Lebensqualität in ländlichen Gebieten und für das Tierwohl im EU-Wahlkampf ernsthaft und leidenschaftlich zu debattieren, kann ein neues Europäisches Parlament ein Zerbröseln ebendieser EU-Politik vielleicht noch stoppen.
Die personell gut ausgestatteten Mitgliedstaaten wie Deutschland und Frankreich haben schon damit begonnen, die Umsetzung der Kommissions-Vorschläge vorzubereiten. Auch hierfür ist eine ernsthafte öffentliche Debatte über die Ausrichtung der Gemeinsamen europäischen Agrarpolitik wichtig. Je mehr Mitgliedstaaten den Bauern echte wirtschaftliche Perspektiven mit dem notwendigen Umbau in der Flächenwirtschaft und in der Tierhaltung aufzeigen, desto größer ist die Chance, auch in Brüssel ein Umdenken einzuleiten.