Wider besseres Wissen

Fast genau vor einem Jahr berichtete agrarheute von der abnehmenden Bedeutung Deutschlands als Standort für die Zulassung neuer Pflanzenschutzmittel. Dabei sei die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels hierzulande ein „Qualitätssiegel“ gewesen. Genau um diese Qualität der zugelassenen Pflanzenschutzmittel sorgt man sich beim Umweltbundesamt (UBA). Das Phänomen der abnehmenden Zahl von in Deutschland gestellten Zulassungsanträgen, so der Fachgebietsleiter Pflanzenschutz im Umweltbundesamt, Dr. Jörn Wogram, hängt auch mit dem hohen Stellenwert des Umweltschutzes in Deutschland zusammen. „Bei in Deutschland zugelassenen Pflanzenschutzmitteln konnten sich die Landwirte bisher sicher sein, dass deren Sicherheit auch in Bezug auf die Umweltverträglichkeit der Abbauprodukte nach den neuesten Erkenntnissen geprüft war.“ Zulassung über Grenzen hinweg In der EU werden Pflanzenschutzmittel (PSM) innerhalb eines zonalen Zulassungsverfahrens bewertet. Die Grundlage ist die Dreiteilung der EU in eine nördliche, mittlere und südliche Zone. Innerhalb einer Zone prüfen die Behörden eines Mitgliedsstaates die Zulassungsfähigkeit eines PSM. Auch die Umweltrisikoprüfung wird vollständig in diesem Land durchgeführt. Das Verfahren, das ursprünglich ein hohes Schutzniveau und durch gleiche Zulassungsbedingungen den freien Warenverkehr sicherstellen sollte, lässt in der Folge nur noch wenig Spielraum für ergänzende Anmerkungen oder den Hinweis auf Fehler durch andere Mitgliedsstaaten der jeweiligen Zone. So ist der bewertende Staat bzw. dessen Behörde nur verpflichtet, zu diesen Anmerkungen begründet Stellung zu nehmen. Ein rechtsverbindlicher, transparenter Prozess mit dem Ziel einer zwischen den Mitgliedsstaaten einvernehmlichen Bewertung neu zuzulassender Pflanzenschutzmittel unter Einbeziehung aller wissenschaftlichen Erkenntnisse, auch in Bezug auf deren Umweltwirkung, ist nicht vorgeschrieben. Eigentlich nicht zulassungsfähig In der Praxis, so die Einschätzung des UBA, kämpft dieses Verfahren gleich mit mehreren Schwierigkeiten. Zum einen seien die Behörden in den einzelnen Mitgliedsstaaten „sowohl finanziell und personell, als auch in ihrer Entscheidungsmacht sehr unterschiedlich ausgestattet“. Ganz anders als in Deutschland, wo mit dem UBA und dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Landwirtschaft (BVL) zwei voneinander unabhängige und auch noch getrennten Ministerien zugeordnete Fachbehörden an der Zulassung beteiligt sind, sei diese Voraussetzung „in anderen Staaten häufig nicht gegeben. Auch das mag dazu beitragen, dass dort einige PSM zugelassen werden, die aufgrund neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse ein hohes Umweltrisiko haben.“ Während in Deutschland die Umweltrisikobewertung durch das UBA als unabhängiger staatlicher Behörde durchgeführt wird, lagern viele Mitgliedsstaaten diese an Agenturen aus. Deren direkte Finanzierung durch Einnahmen aus den Zulassungsverfahren erhöht den Effizienzdruck, „wodurch die Risikobewertungen so kurz und unaufwändig wie möglich gehalten werden: Neue Erkenntnisse und Sachverhalte, die über die schon längere Zeit bekannten Daten hinausgehen, werden dadurch oftmals nur unzureichend oder gar nicht geprüft.“ Auch sei es problematisch für die Unabhängigkeit der bewertenden Agenturen, wenn deren Finanzierung von der Attraktivität als erstbewertender Staat für die Firmen abhänge, so das UBA. Gut vorstellbar, dass Unternehmen sich für die Zulassung ihrer PSM in der Konsequenz genau jene Länder aussuchen, die weniger kritisch bewerten und aktuelle wissenschaftlichen Erkenntnisse oft nicht berücksichtigen können. Erklären würde dies auch die abnehmende Zahl von in Deutschland gestellten Erstanträgen: Von 2011 bis 2013 war Deutschland bei 46 % aller Anträge der erstbewertende Staat, 2019 nur noch bei 9 %. Und das trotz der anerkannt hohen fachlichen Qualität der Bewertungen in Deutschland. Nachjustierung ausgeschlossen Die während des Verfahrens von anderen Mitgliedsstaaten eingebrachten Kommentierungen von Mängeln im Zulassungsverfahren oder der Vorlage zusätzlicher Gutachten und wissenschaftlicher Erkenntnisse müssen zwar von dem erstzulassenden Staat zur Kenntnis genommen werden, haben aber in der Regel keinen größeren Einfluss auf die Bewertung. Damit diese im Nachhinein noch in die Bewertung einfließen, könnte einer bisher nicht existierenden Schlichtungsstelle die Aufgabe zukommen, unter Berücksichtigung aller Fakten einen transparenten Prozess der Beurteilung der ökologischen Risiken zu gewährleisten. Gerichte entscheiden Grundsätzlich besteht auch im zonalen Verfahren die Möglichkeit, dass Mitgliedsstaaten von der Bewertung durch den erstzulassenden Staat abweichen und eigenständige Bewertungen aufgrund landesspezifischer ökologischer oder landwirtschaftlicher Bedingungen treffen. In den vergangenen Jahren hat das UBA in mehreren Fällen sein Einvernehmen zur Zulassung an die Einführung zusätzlicher mittelspezifischer Biodiversitätsauflagen geknüpft. Gegen diese zusätzlichen länderspezifischen Vorgaben haben Hersteller von PSM geklagt und vor Gericht Recht bekommen, weil das Gericht die Grundlage für eine national eigenständige Entscheidung extrem eng auslegte. Die Hersteller verklagen in solchen Fällen die Bundesrepublik Deutschland, die vor Gericht dann von den zuständigen Behörden, in diesem Fall dem BVL, vertreten wird. Dass das tendenziell industriefreundliche BVL stellvertretend die Argumentation des UBA in den Prozessen vertritt, ist nicht zu erwarten. Neben der fehlenden Vertretung der Argumente des UBA ist es für die Möglichkeit, zukünftig national souveräne Entscheidungen treffen zu können, fatal, dass das BVL es unterlassen hat, in Revision zu gehen. Der Rechtsweg durch die Instanzen bis zum EuGH hätte, unabhängig von der Einzelentscheidung, die Möglichkeit eröffnet, die Spielräume für verbindliche transparente Abstimmungsprozesse unter den Mitgliedsstaaten im Rahmen eines europaweiten zonalen Zulassungsverfahrens abzuklären. Die jetzige Situation könnte dagegen zur Folge haben, dass die Gerichtsurteile zu Präzedenzfällen werden und damit den Handlungsspielraum der Behörden langfristig und nachhaltig einschränken. „Auf Basis der Gerichtsentscheidungen könnten gleichartige Urteile zu zahlreichen anderen Wirkstoffen und Pflanzenschutzmitteln gefällt werden, die zu einer erheblichen Absenkung des Schutzniveaus in allen Umweltbereichen führen würden: Grund- und Trinkwasser, Boden, Oberflächengewässer, Biodiversität“, so die Befürchtung von Dr. Jörn Wogram. Gerade vor dem Hintergrund einer die Landwirtschaft und insbesondere den Einsatz von PSM kritisch begleitenden Öffentlichkeit ist es notwendig, dass bei deren Zulassung alle vorhandenen Informationen unabhängig von behördlichen Machtspielchen berücksichtigt werden.
09.06.2021
Von: mn

Wie weiter bei der Zulassung von Pestiziden? Foto: Hardi