Parkinson als landwirtschaftliche Berufskrankheit anzuerkennen, muss Konsequenzen haben.
Viel gesagt hat der Bauernverband zum Thema Parkinson und Pestizide bislang nicht. Dabei erreichte die Meldung, dass der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten (ÄSVB) beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales dazu rät, die neurologische Langzeiterkrankung als Folge der Anwendung von Pestiziden als Berufskrankheit anzuerkennen und damit den Weg frei zu machen für mehr und bessere Prävention wie auch für mehr und bessere Versorgung der Erkrankten, durchaus eine erhebliche Öffentlichkeit. Lediglich in der Badischen Bauernzeitung verweist der DBV darauf, dass das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) noch im vergangenen Jahr „keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Exposition gegenüber den in Deutschland zugelassenen Pflanzenschutzmitteln und einem erhöhten Risiko, an Parkinson zu erkranken“ erkannt habe. Auch deshalb lehne man Kostensteigerungen bei der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) ab. „Für mich ist das eine neue Erfahrung, dass eine Berufsgruppe, deren Unfallversicherungsschutz verbessert werden soll, eine solche Verbesserung nicht begrüßt“, sagt Professorin Monika Rieger, Arbeitsmedizinerin und stellvertretende Vorsitzende des ÄSVB. Die Landwirtschaft neige in gewisser Weise zur Selbstausbeutung gerade der landwirtschaftlichen Unternehmer selbst, was z.B. auch darin zum Ausdruck kommt, dass eine Rente wegen geminderter Erwerbsfähigkeit bei Berufskrankheit erst bei einer höheren gesundheitlichen Einschränkung bezahlt wird als sonst – und das trotz hoher Unfallzahlen und großer Risiken, versucht sie eine Erklärung. Rieger legt dar, dass aus Sicht des Beirats, der für die Anerkennung von Parkinson als Berufskrankheit für die Landwirtschaft eine Vielzahl an aussagekräftigen Studien verglichen und bewertet hat, der Zusammenhang zwischen der Krankheit und der Anwendung eindeutig ist. „Es geht um eine Verdoppelung des Risikos zu erkranken“, sagt sie. Und natürlich habe man in Ansatz gebracht, dass sich seit 1960 vieles verändert habe: Mittel, die aufgrund ihrer geringeren Bienengefährlichkeitseinstufung womöglich auch für Menschen weniger gefährlich sind, technische Errungenschaften wie Treckerkabinen, bessere Misch- und Befüllmechanismen, andere Düsen, aber auch mehr Sicherheitshinweise und Schulungen im Hinblick auf deren Umsetzung. All das habe man durch einen entwickelten Korrekturfaktor in Ansatz gebracht, bei dessen Anwendung der im Zeitverlauf abnehmende Risikofaktor in dem Rechenmodell berücksichtigt wird: 100 entsprechend korrigierte Tage muss ein Parkinsonerkrankter die Anwendung von Pestiziden einer Wirkungsgruppe (Insektizide, Herbizide, Fungizide) in seinem Arbeitsleben nachweisen, damit die Anerkennung erfolgen kann.
Zusammenhänge feststellbar
Die SVLFG hat erste Zahlen veröffentlicht: Von mehr als 8.000 kontaktierten Parkinsonpatienten wurde bei über 4.000 bereits die Anerkennung als Berufskrankheit abgelehnt. Ihnen bleibt noch ein Klageweg. Vieles werde darüber in solch neuen Terrains definiert, erläutern Fachleute. Denn die Datenlage ist – anders als beispielsweise in den USA – in Deutschland eher dünn. In den kalifornischen Intensivanbaugebieten zwischen Wüste und Küste, in denen der Löwenanteil der amerikanischen Obst-, Gemüse- und Weinproduktion stattfindet, begannen schon in den 1990er Jahren durch die Verpflichtung zu öffentlichen Anwendungsregistern Erforschungen der Zusammenhänge zwischen Parkinson und Pestiziden. Für über 50 Pestizide ließen sich solche Zusammenhänge feststellen.
Wen schützen?
Mit der Anerkennung als Berufskrankheit gehen immer auch eine größere Aufmerksamkeit und stärkere Prävention einher, so die Erfahrungen der Arbeitsmedizin über die Jahre. Auch in dem Fall der Pestizidanwendung ist noch Luft nach oben, trotz Sachkundenachweisen und Deula-Kursen. In der landwirtschaftlichen Praxis muss es oft schnell gehen, Zeitfenster sind klein und die Technik vielleicht doch auch nicht immer perfekt. Umso kontraproduktiver ist die Haltung des Bauernverbandes, das Risiko wieder kleiner zu reden, um ... ja, was eigentlich? Die Chemieindustrie zu schützen? Oder gesellschaftlicher Kritik am Einsatz von Pestiziden nicht Nahrung von neuer Seite zu verschaffen? Die Kritik an den happigen Beitragserhöhungen der SVLFG von im Schnitt 20 Prozent aufgrund der Begründung höherer Ausgaben durch die Parkinson-Anerkennung wird auch von der AbL erhoben, allerdings betont sie die Richtigkeit dieser Anerkennung und fordert gemäß einer Verursacherhaftung die Industrie zu Zahlungen an die SVLFG auf. Der Bauernverband will mehr Geld aus einem sowieso schon von Kürzungen bedrohten Agrarhaushalt. Die Problematik ist eine systemimmanente: Steigende Kosten für notwendige Gesundheitsausgaben sollen von einer schrumpfenden Menge an Beitragszahlern bewältigt werden. Die rebellieren dagegen. Die SVLFG berichtet bereits von mehr als 2.500 Widersprüchen gegen die Beitragsbescheide und stellt gleich klar, dass diese aus ihrer Sicht zum Scheitern verurteilt sind und sowieso nur noch mehr Kosten verursachen werden. Bauern und Bäuerinnen dürfen weder mit dem Gesundheitsrisiko durch Pestizide alleinegelassen werden noch mit den finanziellen Folgen.