Der Klimawandel und seine Auswirkungen werden mit jedem Dürrejahr und jedem Hochwasserereignis deutlicher. Dennoch ist die Bedrohung, die er für uns darstellt, im Alltag kaum greifbar. Und trotzdem muss uns allen klar sein: Wenn wir das Überleben unserer Kinder und Kindeskinder auf diesem Planeten sichern wollen, muss sich etwas verändern – auch in der Landwirtschaft und insbesondere in der Nutztierhaltung, die, je nach Berechnung, zwischen 14,5 und 51 Prozent der weltweiten menschengemachten Treibhausgasemissionen verursacht. Welche Möglichkeiten haben wir also? Was ist die Lösung? Gibt es die Lösung überhaupt?
Fünf Tage (vom 22. bis 26. November) hat sich die studentisch organisierte 29. Witzenhäuser Konferenz mit dem Titel „Verzehrswende jetzt – weg mit dir, du KlimaTier?“ intensiv mit den Zusammenhängen von Klimawandel, Landwirtschaft und Ernährung auseinandergesetzt und dabei einen besonderen Fokus auf die Nutztierhaltung gelegt. Bei der Frage, was sich verändern muss, um die Landwirtschaft zukunftsfähiger zu machen, wurde deutlich, dass ein breites Spektrum möglicher Lösungsansätze zur Verfügung steht. Wo setzen wir also an? Auf welche Grundsätze wollen wir uns einigen?
Dürfen wir Tiere halten?
Seit mehreren tausend Jahren lebt der Mensch mit und von Tieren, viele Wildtiere wurden zu Haus- oder Nutztieren domestiziert. Bevor man darüber diskutieren kann, wie Nutztiere richtig gehalten werden sollten, gibt es eine wesentliche Frage, die sich jede*r einzelne, aber auch die Gesellschaft als Ganzes stellen sollte: Hat der Mensch das Recht, Tiere zu halten? Dem Menschen wird, im Gegensatz zu anderen Lebewesen, die Fähigkeit zugesprochen, gedanklich zu reflektieren. Aber bedeutet das auch, dass ihm andere Rechte zustehen als einem Tier? Gerade weil er die Fähigkeit besitzt, sich mit diesen Gedanken zu beschäftigen, hat er auch die Möglichkeit zu entscheiden, dass Tieren als lebenden und fühlenden Wesen ebenfalls Rechte zustehen, durch die ihre Freiheiten und ihr Leben nicht verletzt werden. Beginnend bei den Nutztieren wäre dann die Haltung der Tiere zur Milchgewinnung undenkbar, geschweige denn die Haltung zu Tötungszwecken – zur Fleischproduktion. Also kein Raclette mit Käse aus Kuhmilch, keine Bratwurst auf dem Weihnachtsmarkt und erst recht keine Weihnachtsgans, Veganismus als einzige Alternative. Wäre eine vegane Landwirtschaft die Lösung? Ginge man noch einen Schritt weiter und übertrüge die Menschenrechte auf Tiere, wäre Tierhaltung, egal welcher Form, nicht denkbar: kein Freizeitreitsport, kein Gassigehen mit dem Hund, keine Katze auf dem Sofa. Auf welche Grundsätze wollen wir uns als Gesellschaft einigen und welche Konsequenzen sind wir zu tragen bereit?
Tierhaltung – ja bitte. Aber wie?
Die gesellschaftliche Mehrheit neigt derzeit deutlich zur Tierhaltung: Alleine 47 Prozent aller deutschen Haushalte besitzen Haustiere. Hinzu kommen die deutschen Essgewohnheiten: Nur zwei Prozent der Deutschen ernähren sich vegan, der Rest konsumiert, in unterschiedlichem Ausmaß, tierische Produkte. Wenn die Frage, ob Tierhaltung gesellschaftlich erwünscht ist, also mit Ja beantwortet wird, werden weitere Aspekte der Tierhaltung relevant: Tierschutz, Umweltaspekte, Ernährung, die Situation der Landwirt*innen, Ernährungssicherung. Während der Konferenz wurde deutlich, dass zumindest unter den jüngeren Menschen die Umweltprobleme der Tierhaltung und die Ernährung mit tierischen Produkten derzeit die wichtigsten Diskussionspunkte sind. Wie viele Tiere sind sinnvoll, welche Tiere, wie muss sich dementsprechend die Ernährung verändern? Dass die Tierzahlen weitaus höher sind als nötig und umweltverträglich, steht kaum noch zur Debatte. Welche Tiere zu halten sinnvoll ist, jedoch schon. Monogastrier, wie Schweine und Hühner, haben eine bessere Ressourcenverwertung und eine geringere Klimawirkung als Rinder. Aber sie stehen mit dem Menschen in direkter Nahrungsmittelkonkurrenz. Auf den Flächen, auf denen in Deutschland Futtermittel in Form von Getreide oder Mais angebaut werden, könnten ebenso gut menschliche Nahrungsmittel produziert werden. Wiederkäuer hingegen haben das Potenzial, Flächen zu nutzen, die der Mensch nicht zur direkten Nahrungsmittelgewinnung verwenden kann: Grünland. Gleichzeitig gilt Grünland als eine wichtige Kohlenstoffsenke – die Aufrechterhaltung dieser Flächen ist also eine wichtige Maßnahme gegen den Klimawandel, bei richtigem Weidemanagement auch mit der Beweidung durch Wiederkäuer. Allerdings wird ein Großteil der Rinder in Deutschland in Stallsystemen gehalten und zusätzlich mit hohen Mengen an Mais und Kraftfutter gefüttert – also auch zu Nahrungsmittelkonkurrenten gemacht. Zudem stammen 60 Prozent der Methanemissionen, die 25-mal klimaschädlicher sind als CO2, aus dem landwirtschaftlichen Sektor und werden zu einem Großteil der Milchindustrie zugeschrieben. Welche Tiere sind also die, die wir halten sollten? Und in welcher Menge? Ein wichtiger erster Schritt: weniger Tiere (Gutachten sprechen hier von einer notwendigen Reduktion von 50 bis 75 Prozent), besser gehalten und sinnvoll im Land verteilt, auf Grünland und Feldfutterflächen, auf denen eine Tierhaltung Sinn ergibt und wo sie nicht in Konkurrenz zur direkten Nahrungsmittelproduktion steht.
Verzehrswende jetzt!
Die eine Lösung gibt es nicht, das ist auch während der Witzenhäuser Konferenz deutlich geworden und doch wurde klar: ein Wandel in der Landwirtschaft ist unumgänglich und hätte auch einen Wandel in der Ernährung zur Folge – oder umgekehrt. Wenn wir die Auswirkungen des Klimawandels reduzieren wollen, benötigen wir auch eine „Verzehrswende“. Nicht nur die Politik, auch die Gesellschaft ist hier gefragt. Mit unserem Einkaufs- und Konsumverhalten haben wir tagtäglich die Möglichkeit, ein Zeichen zu setzen, in welche Richtung es gehen soll. Lassen Sie uns diese Möglichkeit nutzen – Verzehrswende jetzt!