Scharfe Kritik an Notfallzulassungen für Neonicotinoide

Zahlreiche Spritzmittel aus der Gruppe der Neonicotinoide haben vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) eine Notfallzulassung erhalten. Der BUND Naturschutz in Bayern und der Deutsche Berufs- und Erwerbsimkerbund (DBIB) kritisieren diesen Schritt zusammen mit dem Bündnis für Neonicotinoidfreie Landwirtschaft (BNL) scharf. Die BN-Agrarexpertin Rita Rott erklärt. „Es ist lange bekannt: Bereits kleinste Mengen dieser Stoffgruppe töten Insekten, sind giftig für Wasserlebewesen und schädigen das Nervensystem von Tier und Mensch. Deshalb wurden sie als Alzheimer-Pestizide bekannt. Vor allem bei Ungeborenen und Kleinkindern kann die Funktion von Nervenzellen und Gedächtnis gestört werden.“

Ende März wurde vom BVL der Einsatz von sechzehn Mitteln gegen die Schilf-Glasflügelzikade, ein sogenanntes Schadinsekt, das in zunehmend mehr Regionen in Deutschland zu Krankheiten in Zuckerrüben, Kartoffeln und weiteren Kulturen führt und erhebliche Ernteeinbußen verursachen kann, für zunächst 120 Tage erlaubt. Darunter sechs mit dem Neonicotinoid Acetamiprid und eines mit Flupyradifurone, alles Mittel, die die gesamte Pflanze giftig machen, so die drei Organisationen in einer gemeinsamen Mitteilung. Die Mittel wurden Ende März bei Zuckerrüben erlaubt, seit Ende April können sie auch für Gemüse wie Kartoffeln, Karotten und Rote Beete eingesetzt werden. „Wir befürchten eine neue massive Belastung von Lebensmitteln nicht nur mit Acetamiprid selbst, sondern auch mit seinen Zerfallsprodukten. Denn die Halbwertszeit dieses Stoffes beträgt bis zu 450 Tage und damit verbleiben Rückstände sehr lange im Boden“, so Rott weiter.

Zudem sorgen sich Imker um ihre Bienen. Denn es wird nicht bekannt gegeben, auf welchen Flächen diese hochgiftigen Spritzmittel ausgebracht werden. Das war vor vier Jahren noch anders. Imker Matthias Rühl aus Sugenheim erinnert sich an seine Erfahrungen aus dem Jahr 2021 als bundesweit das Neonicotinoid Thiametoxam gegen Blattläuse über Saatbeize auf ca. 65.000 Hektar Böden ausgebracht wurde: „Da waren uns die Flächen bekannt und wir konnten unsere Bienenvölker rechtzeitig umstellen.“ Rühl ist auch Mitglied im BNL und beklagt, dass Auflagen oft nichts nutzen: „Unser Bündnis hat in Bayern nachgewiesen, dass die strengen gesetzlichen Auflagen von den Landwirten nicht annähernd eingehalten wurden.“

Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Uni Hohenheim hat laut der Mitteilung gezeigt, dass gerade der Wirkstoff Acetamiprid für bestimmte Insekten über 11.000-mal giftiger ist als vorgeschriebene Empfindlichkeitstests, zum Beispiel an Honigbienen, vermuten lassen. Weil der Stoff systemisch wirkt und sich in der ganzen Pflanze ausbreitet, wird er auch leichter verbreitet und z.B. bei Regen weit in die Umwelt abgeschwemmt. Während bislang bei Zuckerrüben mit einer Beize nur das Saatgut behandelt wurde, wird Acetamiprid großflächig auf die wachsenden Blätter gespritzt.

Insgesamt wurden für das Jahr 2025 16 Notfallzulassungen gegen die Schilf-Glasflügelzikade erteilt. Auf über 125.000 Hektar soll gespritzt werden. Weitere Notfallzulassungen sind angeblich in Vorbereitung. Aufgrund der zu erwartenden massiven Abdrift wird aber eine weit größere Fläche von geschätzt über 500.000 Hektar betroffen sein. Zudem werden mehrfache Behandlungen empfohlen. Damit ist ein regelrechter ökologischer Kahlschlag in der Insektenwelt zu befürchten, so die drei Organisationen. Und auch Menschen seien direkt gefährdet, wenn Spaziergänger mit ihren Hunden oder spielende Kinder mit gespritzten Pflanzen in Kontakt kommen. Das BNL sieht in den sich ständig wiederholenden Notfallzulassungen nichts anderes als einen schleichenden Weg in die Dauernutzung.

Claudia Lehner-Sepp vom BNL betont: „Eine Pestizidbehandlung und damit eine Gefährdung der Umwelt und unserer Lebensmittel wäre überhaupt nicht erforderlich, wenn eine vernünftige Fruchtfolge eingehalten würde, die den Lebenszyklus der Zikade stört. So mindert der Verzicht auf Wintergetreide nach Zuckerrüben und Kartoffeln den Befall wesentlich, wie eine Studie der Berner Fachhochschule zeigt.“

Mehrere Notfallzulassungen von Neonicotinoiden gegen die Schilf-Glasflügelzikade erteilt. Foto: E. Therhaag/JKI