Rechts(d)ruck im ländlichen Raum?

Anfang Oktober in einer Odenwälder Kleinstadt: Die Alternative für Deutschland (AfD) veranstaltete ein Bürgergespräch. Eine Gegendemonstration wurde daraufhin angemeldet. Unter den Demonstrierenden waren Nicole Denk und Gerd Arras, die einen Biokreis-Betrieb im Ort bewirtschaften. Sie hatten ihren Trecker mit einem Banner mit der Aufschrift „Nein zur AfD # Wir sind mehr“ bei der Demo geparkt und teilten ein Foto davon auf ihrer Facebook-Seite. In den nächsten Tagen prasselten Anfeindungen, Beleidigungen und Drohungen auf die Bäuerin und den Bauern ein. „Uns wurde mit Brandanschlägen gedroht und zum Boykott unseres Milchautomats aufgerufen. Die früheren 30 Liter Milch, die wir pro Tag verkauften, sind auf ca. zehn Liter gesunken“, beschreibt die Bäuerin die aktuelle Situation. Die Positionierung hat soziale Konsequenzen im Dorf. Sowas mache man nicht und wenn, dann müsse man mit Konsequenzen rechnen, war das Feedback von Ortsansässigen. Die Geschichte ist ein Beispiel für Zivilcourage, aber auch dafür, dass heute häufiger und oft heftiger als noch vor ein paar Jahren rechtes oder rassistisches Gedankengut öffentlich geäußert und verbreitet wird – auch auf dem Land. Eine Veranstaltungsreihe der Agrarfakultät der Universität Kassel in Witzenhausen setzt sich aktuell mit verschiedenen Aspekten rechter Gesinnung und deren Netzwerken auseinander. Rechte Traditionen Untersuchungen von Prof. Michaela Köttig von der Frankfurt University of Applied Science zeigen, dass das Umfeld und die Familie die politische Orientierung beeinflussen und ihren Anteil daran haben, ob Jugendliche rassistisch oder rechts werden. Sie hat vorwiegend zu rechten und rechtsextremen Frauen geforscht und herausgefunden, dass bei diesen meist drei Ebenen zusammenkommen, die eine entsprechende Gesinnung fördern. Häufig gibt es bei Rechtsextremen in der Familie einen unbearbeiteten familiengeschichtlichen Rahmen mit enger emotionaler Bindung der EnkelInnen zu Großeltern mit nationalsozialistischer Vergangenheit und Verharmlosung der Taten. Als zweite Ebene gibt es bei den untersuchten Fällen von Rechtsextremen häufig schwierige biografische Entwicklungen, insbesondere schwierige Bindungen zu den Eltern, die mit verstärkter Orientierung und Haltsuche bei den Großeltern kompensiert werden. Auf der dritten Ebene spielen stützende außerfamiliäre Rahmenbedingungen, wie beispielsweise eine über Generationen gewachsene „rechte Dorfkultur“, eine wichtige Rolle. „Durch den genaueren Blick auf Dorfstrukturen können Rückschlüsse gezogen werden: Werden im Dorf rechte Ideologien in Form von Vereinstraditionen mit eigenen Regeln weitergegeben? Werden rechte Äußerungen und Taten im Dorf verharmlost, gedeckt oder verurteilt? Wie wird mit der Vergangenheit des Dorfes im Nationalsozialismus und einzelner DorfbewohnerInnen umgegangen?“, sagte Michaela Köttig in ihrem Vortrag in Witzenhausen. Häufig seien geschichtliche Inhalte in den Schulen umfassend behandelt, persönliche Geschichten in Familien und Dörfern jedoch nicht kritisch aufgearbeitet worden, so die Wissenschaftlerin. Völkische SiedlerInnen Ländliche Gebiete sind natürlich nicht per se stärker von rechter Einflussnahme betroffen, wie auch mehrfach hohe Wahlergebnisse von rechten Parteien in bestimmten Stadtteilen der Metropolen zeigen. Doch es gibt Strukturen, die eine rechte Gesinnung begünstigen können. So werden beispielsweise besonders strukturschwache ländliche Gebiete bevorzugt für die Besiedlung durch sogenannte völkische SiedlerInnen genutzt. Auf den ersten Blick können sie als engagierte, angepasste Ökos von nebenan erscheinen, denen nicht direkt anzusehen ist, dass sie nach einem rassistischen Weltbild leben und gezielt „einen Lebensraum und gesunde Nahrung“ für die „deutsche Volksgemeinschaft“ erzeugen wollen. Dabei setzen rechte Organisationsstrukturen gezielt auf die verminderte Infrastruktur und die geringe Bevölkerungsdichte „abgehängter Gebiete“. „Dort ist mit wenig Aufmerksamkeit, geschweige denn zivilgesellschaftlicher Gegenwehr, zu rechnen, zudem fehlen oft Zukunftsperspektiven, was rechte Ideologien attraktiver erscheinen lassen mag. Die Strategie ist, einerseits rechte Strukturen und Familien nach innen zu stärken und gleichzeitig von außen neue Gleichgesinnte, in der Bewegung „Artgleiche“ genannt, zu gewinnen. In verschiedensten Organisationsformen und -strukturen gibt es starke Vernetzungen und Treffen, z.B. Brauchtumsfeiern“, beschreibt Andrea Röpke, mehrfach ausgezeichnete Fachjournalistin zum Thema Rechtsextremismus, ihre Recherchen in einem Vortrag in Witzenhausen. Von Rechten organisierte Kinderlager sollen für die frühe Prägung im Sinne von rechten Ideologien sorgen. Es gäbe häufig personelle Überschneidungen, bei denen Personen teils gleichzeitig in verschiedenen rechten bis rechtsextremen Organisationen auftauchen. In einigen Familien würden völkisch-nationalistische Ideologien bereits über Generationen weitergegeben, wobei einzelne Familienmitglieder aktuell politisch in die Öffentlichkeit treten, so die Journalistin, denn die Szene fühle sich „im Aufwind“. Im Rahmen des Projektes „Landraum“ der Organisation „Ein Prozent“ aus dem Umfeld der AfD und Identitären Bewegung, werden beispielsweise gezielt Höfe und Land gesucht und gekauft, um Strukturen aufzubauen, um die „patriotische Raumnahme zu starten“, wie auf der entsprechenden Internetseite zu lesen ist. Grundsätzlich würden bereits eigene soziale und wirtschaftliche Netzwerke aufgebaut, die aber auch nach außen gerichtet seien. Bewusst werde von völkischen SiedlerInnen dann Landwirtschaft und Handwerk vor Ort (wieder)belebt, aber auch versucht, Einfluss auf, häufig freie, Kinderbetreuungseinrichtungen oder Schulen zu nehmen, so Röpke. Rechten nicht das Feld überlassen Bäuerliche und ökologische Landwirtschaft kann ein Anknüpfungspunkt für rechte Ideologien sein. Immer wieder hat es in der Geschichte Versuche gegeben, diese Inhalte von Rechts zu nutzen und zu instrumentalisieren. Es bedarf eines genauen Hinschauens aller Organisationen und Akteure der Szene, um Umdeutungen von Begrifflichkeiten und Inhalten zu erkennen und dem entgegenzutreten. Ganz zu schweigen von unabsichtlichen oder beabsichtigten Kooperationen mit menschenverachtenden Parteien und Organisationen. Eine klare Position für Menschenrechte, demokratische Strukturen und gegen rechtes Gedankengut, wie sie beispielsweise von den Verbänden des Ökolandbaus oder auch der AbL formuliert wurde, ist wichtig. Vor Ort können enge soziale Strukturen und Verflechtungen spontane Gegenreaktionen erschweren. Oft fällt es nicht leicht, bei menschenfeindlichen Äußerungen gegenzusteuern. Nela Sommer, die bei der Veranstaltungsreihe referierte und in Brandenburg Ökolandbau studiert hat, beschreibt Alltagsrassismus als alltägliche Denk- und Handlungsweisen, die Menschen aufgrund ihres Aussehens, ihrer Herkunft, Lebensweise oder Kultur abwerten, was tief in der Mitte der Gesellschaft verankert sei. „Sprüche und Ausgrenzung sind der nur vermeintlich harmlose Anfang eines Eskalationsspektrums, das bis hin zu Gewalthandlungen reichen kann“, so Sommer. Sich gegen Alltagsrassismus zu stellen, ist unangenehm. Soll dieses Fass wirklich jetzt in dieser Situation aufgemacht werden? Wie kann auf rassistische Äußerungen von NachbarInnen, HandwerkerInnen auf Haus und Hof, BerufskollegInnen reagiert werden? Das Überhören eines rassistischen Kommentars ist leichter. Wenn das aber alle machen, werden Äußerungen und Ansichten toleriert, hingenommen und die Verletzung von Betroffenen akzeptiert. Ohne Gegenrede werden rassistische Meinungen gesellschaftlicher Konsens. Nicole Denk und Gerd Arras bleiben standhaft. „Wir haben beschlossen, dass wir uns weiter für eine offene Gesellschaft und gegen Menschenfeindlichkeit einsetzen. Unser Traum wäre es, dass bei der nächsten Demo unser Trecker nicht alleine steht, sondern viele Bäuerinnen und Bauern Stellung beziehen“, so die Bäuerin aus dem Odenwald.
26.11.2018
Von: sg

Ländlicher Protest gegen undemokrtatische Parteien