In der Auseinandersetzung um das Erntegut-Urteil rudert RWZ zurück, STV will noch weiter.
Unter dem Motto „Fairness bringt Fortschritt“ hatte die Saatgut-Treuhandverwaltungs-GmbH (STV) gemeinsam mit dem Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter (BDP) Anfang Juni zur Zoom-Pressekonferenz eingeladen. Vorgestellt werden sollte ein Online-Tool, mit dem Bauern und Bäuerinnen sich eine sogenannte Erntegut-Bescheinigung ausstellen lassen können.
Warum das Ganze? Der Jurist des BDP, Moritz von Köckeritz, machte klar, wie BDP und STV das BGH-Urteil auslegen, das in den vergangenen Wochen bereits Landhandel, Bauern und Bäuerinnen in Atem gehalten hatte. In diesem Gerichtsverfahren ging es darum, dass Schwarzhandel von Getreide bei einer Prüfung der STV aufgeflogen war und der abnehmenden Landhandelsgenossenschaft nun vom Bundesgerichtshof eine „Erkundigungspflicht“ im Hinblick auf eine sortenschutzrechtskonforme Erzeugung dessen, was bei ihnen abgekippt wird, auferlegt wurde. Im Urteil sei, so von Köckeritz, eine „verschuldensunabhängige Haftung“ der aufnehmenden Hand von Erntegut, also der Landhändler, neben der Erkundigungspflicht festgeschrieben. „Der Handel muss sicherstellen, dass entweder Z-Saatgut eingesetzt oder eine Nachbauerklärung abgegeben wurde.“ Eine Selbsterklärung, bei der nur ein sortenschutzrechtskonformes Verhalten abgefragt werde, reiche aus seiner Sicht nicht aus.
Damit erteilt er dem, womit der Landhandel auch auf Empfehlung seiner Dachverbandsorganisationen in den vergangenen Wochen begonnen hatte, eine Absage. Deren Lieferantenerklärungen, ganz egal, ob eine Vertragsstrafe oder andere Drohkulissen dort hineinformuliert werden, sind dem BDP und der STV längst noch nicht weitreichend genug. Dabei stoßen schon damit die Händler zunehmend auf Ablehnung bei ihren Kunden, den Bauern und Bäuerinnen, die solche Erklärungen nicht unterschreiben wollen. Die IG Nachbau (IGN) hat von Anfang an dazu aufgerufen, die weitreichenden Erklärungen, bei deren Erstellung die Juristen der Landhandelsdachverbände zu Druck durch vielfältige Sanktionierungsandrohungen gegenüber den Bauern und Bäuerinnen geraten hatten, nicht zu unterschreiben. Inzwischen tut das auch der Bauernverband.
Zu weit gegangen
Besonders weit aus dem Fenster gelehnt hatte sich die Raiffeisenwarengenossenschaft (RWZ) in Köln, die nicht nur Strafandrohungen formulierte, sondern auch, dass man das gelieferte Getreide nicht bezahlen werde, wenn die Erklärung nicht unterschrieben werde. Die IG Nachbau beauftragte daraufhin den Kartellrechtsanwalt Kim Künstner gemeinsam mit IGN-Anwalt Jens Beismann, auf kartellrechtlicher Ebene dagegen vorzugehen. „Wir sehen in dem Vorgehen der RWZ einen Missbrauch der Marktmacht“, heißt es in der IGN-Stellungnahme. Die Reaktion der RWZ ließ nicht lange auf sich warten. Zwar sah man sich in keinster Weise in Konflikt mit Kartell- oder anderem Recht, aber die RWZ schrieb nun in neuerlichen Anschreiben an die bäuerliche Kundschaft: „Für alle Mitglieder der Wertschöpfungskette ist dies rechtliches Neuland. Die praktische Umsetzung des jüngsten BGH-Urteils ist mangels konkreter Vorgaben den Händlern überlassen. ln unserem ersten Schreiben sind wir bezüglich der Auslegung der finanziellen Konsequenzen für solche Geschäftspartner, die uns die erbetene Bestätigung nicht schicken, möglicherweise nicht optimal vorgegangen.“ Deshalb habe man „im Ergebnis unser Vorgehen noch einmal überdacht“ und komme als „Fazit dieser internen Überlegungen“ nun „der durch den BGH auferlegten Prüfpflicht nun auch auf eine praxistauglichere Art und Weise“ nach. Im aktualisierten Schreiben wird nur noch die Versicherung unterschrieben, sortenschutzrechtkonform erzeugtes Erntegut anzuliefern. Die Androhung von Vertragsstrafen oder der Nichtbezahlung der Ernte findet sich nicht mehr im Schreiben. IG Nachbau und AbL begrüßen die Entwicklung. „Es kommt nun darauf an“, so IGN-Geschäftsführer Georg Janßen, „dass alle Agrarhandelsunternehmen im Bundesgebiet ihre schon im Umlauf befindlichen oder geplanten Lieferantenerklärungen überarbeiten und mit den Landwirten vor Ort zusammen eine gute, unbürokratische Lösung finden. Wir rufen alle beteiligten Verbände dazu auf, gemeinsam an einer Lösung zu arbeiten. Erfreulicherweise haben sich schon einige Agrarhandelsunternehmen im Bundesgebiet dazu bereit erklärt.“
Passagen streichen
So lange bleibt den Bauern und Bäuerinnen noch die Möglichkeit, zumindest die strittigen Passagen in den Schreiben zu streichen oder auch eigene Formulierungen zu verwenden. Wichtig ist, mit den Landhändlern vor Ort ins Gespräch zu gehen, schließlich geht es immer noch um ein Verhältnis zwischen Kunden und Dienstleister. Wer jetzt hofft, noch durch eine schnell für das laufende Wirtschaftsjahr abgegebene Nachbauerklärung finanzielle Schadensbegrenzung betreiben zu können, täuscht sich unter Umständen. Es gibt erste Rückmeldungen, dass dieses Vorgehen ein sofortiges Nachhaken der STV mit Anfragen für die drei zurückliegenden Jahre zur Folge hat. Die Erwartung sollte jedenfalls nicht sein, dass man von der STV irgendwelche Zugeständnisse erreichen werde. Sie wird immer die ganze Hand nehmen, wenn man ihr den kleinen Finger reicht.
Online-Offenbarungseid
Deshalb kann die Lösung in der Frage des Umgangs mit dem BGH-Urteil aus Sicht von IGN und AbL nicht das von STV und BDP auf ihrer Presseveranstaltung vorgestellte und ab Ende Juni verfügbare Online-Tool sein. Nach Eingabe aller Anbaudaten erhält man eine Erntegut-Bescheinigung, wenn man entweder die Nachweise für die gemachten Angaben in Form beispielsweise des Agrarantrags hochgeladen hat oder mit seiner Unterschrift Vor-Ort-Kontrollen der STV zulässt. Mit der Erntegut-Bescheinigung möchten STV und BDP Bauern und Bäuerinnen auf einen vermeintlich einfachen Weg lotsen. Das Instrument soll aus ihrer Sicht endlich dafür sorgen, dass in einem nennenswerten Umfang die Nachbaugebühren in den Kassen der Züchter landen. Stephanie Franck, Vorsitzende des BDP und im Verwaltungsrat der STV, betont, dass keine Daten zwischen den beiden Organisationen ausgetauscht würden. Besonders glaubhaft wirkt das schon durch die Doppelfunktion, mit der sie auf der Pressekonferenz sitzt, nicht. Authentischer ist da ihr Ausruf auf die gestellten Nachfragen zum Datenschutz für die Bauern und Bäuerinnen: „Es geht nicht um die Datenlage, wir wollen die Nachbaugebühren bezahlt bekommen!“ 32 Mio. Euro jährlich müssten eigentlich an Nachbaugebühren bei den Züchtern landen, rechnet Franck vor, nur 19 Mio. Euro sind es tatsächlich. Vielleicht will sie wirklich vor allem kleinere Züchtungsprogramme wie ihren Dinkel finanzieren. Andere Akteure wollen aber etwas ganz anderes. Das Machtgefälle zwischen Züchtern und Bauern wird durch einen online geleisteten Offenbarungseid jedenfalls nicht kleiner.