Natur und Vielfalt, Felder und Teller

Mit der Vorstellung der Biodiversitätsstrategie und der Farm-to-Fork-Strategie setzt die EU-Kommission einen neuen Rahmen für die zukünftige Landwirtschafts-, Natur- und Umweltpolitik. Eigentlich war die Veröffentlichung schon für Ende März geplant. Dass sie sich bis Ende Mai hinauszögerte, lag auch an der Corona-Pandemie. Ein neuer Rahmen Auch wenn es den Anschein hat, beide Papiere stünden nebeneinander, so fällt doch auf, dass die Verfasser der Biodiversitätsstrategie mit sehr grundlegenden Feststellungen zum Verhältnis Mensch – Umwelt beginnen: „Von den großen Regenwäldern der Welt bis hin zu kleinen Parks und Gärten, vom Blauwal bis hin zu mikroskopischen Pilzen: Biodiversität ist die außergewöhnliche Vielfalt des Lebens auf der Erde.“ Schon im ersten Absatz kommen sie zu dem Schluss: „Wir brauchen Natur in unserem Leben.“ Dabei behält der Begriff „Natur“ scheinbar bewusst eine Unschärfe. Hier geht es neben der „unberührten Natur“ auch um eine nachhaltige Bewirtschaftung von Meeren, landwirtschaftlichen Flächen und Wäldern. Als Teil des von der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ausgerufenen Green Deals, der EU-Wachstumsstrategie, benennt die Biodiversitätsstrategie die Grundlagen. So sei die biologische Vielfalt für die Ernährungssicherung „von entscheidender Bedeutung“ und ihr Verlust „bedroht unsere Lebensmittelsysteme“, so die Kommission. „In den letzten vier Jahrzehnten gingen die Wildtierpopulationen infolge menschlicher Tätigkeiten weltweit um 60 % zurück. Fast drei Viertel der Erdoberfläche wurden verändert.“ Und dies kostet Geld. Jedenfalls wenn man die Ökosystemdienstleistungen, zum Beispiel die Sauerstoffproduktion eines Waldes oder die Kohlenstoffspeicherung eines Boden, aber auch die Bestäubungsleistung von Insekten, mitrechnet. „Die Welt hat von 1997 bis 2011 Ökosystemdienstleistungen im Wert von schätzungsweise 3,5 bis 18,5 Billionen Euro pro Jahr durch Änderungen der Bodenbedeckung und schätzungsweise 5,5 bis 10,5 Billionen Euro pro Jahr durch Landverödung verloren.“ Deshalb soll die Strategie einen Weg dahingehend aufzeigen, dass sich „die biologische Vielfalt in Europa zum Wohle der Menschen, des Planeten, des Klimas und unserer Wirtschaft ... bis 2030 auf einem Weg der Erholung befindet“. Ganz bewusst werden auch die wirtschaftlichen Herausforderungen in Folge der Covid-19-Pandemie angesprochen, die ebenfalls ein zentrales Element des Aufbauplanes der EU seien. Naturschutz Um die Biodiversität zu erhalten bzw. wiederherzustellen, sollen „mindestens 30 % der Landfläche und 30 % der Meere in der EU geschützt werden“. An Land sind schon in der Vergangenheit viele Schutzgebiete (FFH, Natura 2000) ausgewiesen worden, sodass deren Anteil nur um vier Prozent steigen müsste. Ganz anders im Meer, wo die Steigerung 19 Prozent betragen müsste. Jeweils zehn Prozent der Meeres- und der Landfläche sollen darüber hinaus unter strengen Schutz (klassische Naturschutzgebiete) gestellt werden. Wobei hier insbesondere noch bestehende Primär- und Urwälder vor einer drohenden Zerstörung geschützt werden sollen. Parallel zu den Schutzbemühungen innerhalb der EU sei darauf zu achten, dass diese nicht „zur Entwaldung in anderen Regionen der Welt führen“. Um einen Austausch zwischen den einzelnen Schutzgebieten zu gewährleisten, seien „ökologische Korridore“ anzulegen, die eine Vernetzung sicherstellen. Wiederherstellung Über den Schutz bestehender Strukturen hinaus spricht die Kommission von einer „Wiederherstellung von Ökosystemen an Land und im Meer“. Genannt werden hier vor allem Gebiete, die der Klima- und Wasserregulierung dienen, man will die Bodengesundheit wiederherstellen, Bestäubung sicherstellen sowie Katastrophenvorsorge und -schutz betreiben. Neben einer Renaturierung von Flussläufen und dem Anlegen von Überschwemmungsflächen dürfte hierunter auch der, insbesondere für die CO2-Speicherung wichtige, Erhalt bzw. die Wiedervernässung von Moorböden fallen. Nicht nur auf Moorstandorten soll es deshalb eine enge Zusammenarbeit mit den Landwirten geben, um sie beim „Übergang zu vollkommen nachhaltigen Verfahren zu unterstützen und Anreize dafür zu schaffen“. „Feldvögel und -insekten, insbesondere Bestäuber, sind Schlüsselindikatoren für die Gesundheit von Agrarökosystemen und von entscheidender Bedeutung für die landwirtschaftliche Erzeugung und die Ernährungssicherheit. Ihr besorgniserregender Rückgang muss umgekehrt werden“, so die Kommission. Um dies zu erreichen, sollen „die Verwendung und das Risiko chemischer Pestizide sowie der Einsatz hochriskanter Pestizide jeweils bis 2030 um 50 %“ reduziert werden. Zehn Prozent der landwirtschaftlichen Flächen sollen mit Landschaftselementen, Hecken und Feldgehölzen Rückzugsmöglichkeiten für Tiere und Pflanzen bieten. Da der ökologische Landbau großes Potential sowohl für die Landwirte als auch für die Verbraucher habe, „10 bis 20 % mehr Arbeitsplätze pro Hektar als herkömmliche landwirtschaftliche Betriebe“ aufweise und „Agrarerzeugnisse mit höherer Wertschöpfung“ produziere, sollen 2030 mindestens 25 Prozent der Flächen ökologisch bewirtschaftet werden. Dies, so die Farm-to-Fork-Strategie, könne „nicht ohne eine Änderung des Ernährungsverhaltens der Menschen vollzogen werden“. Eine Änderung des Verbrauchsmusters sei zum einen bezüglich der ungesunden Zusammensetzung, aber auch wegen der mit 20 Prozent hohen Menge an weggeworfenen Lebensmitteln unausweichlich. Globaler Ansatz Dies, so Farm to Fork, sei nur möglich, „wenn wir den Rest der Welt mit auf die Reise nehmen“. Neben einem qualifizierten Marktzugang gehe es um die Anhebung der Produktionsstandards. Verhindert werden müsse, dass nicht nachhaltige Praktiken exportiert werden. Es geht den Verfassern darum, den ökologischen Fußabdruck der Lebensmittelproduktion zu verkleinern und im besten Fall sogar positive Umweltauswirkungen zu erreichen. Neben der schon in der Biodiversitätsstrategie genannten Reduktion von Pflanzenschutzmitteln sollen Maßnahmen ergriffen werden, „um die Nährstoffverluste bei gleichbleibender Bodenfruchtbarkeit um mindestens 50 % zu verringern“. Konkret wird eine Reduktion des Düngemitteleinsatzes bis 2030 um 20 Prozent genannt. Weitere Punkte sind die Reduktion der vor allem durch die Tierhaltung erzeugten Treibhausgasemissionen und eine Reduktion des Einsatzes antimikrobieller Mittel (z. B. Antibiotika) in der Aquakultur und der Nutztierhaltung um 50 Prozent bis 2030. Untermauert werden sollen diese Maßnahmen durch die neue GAP, die allerdings schon von der Vorgänger-Kommission im Juni 2018 vorgeschlagen wurde. Dabei sollen die Eco-Schemes eine Quelle zur Förderung „nachhaltiger Verfahren wie Präzisionslandwirtschaft, Agrarökologie (einschließlich ökologischem Landbau), klimaeffiziente Landwirtschaft und Agrarforstwirtschaft“ bilden. Ernährungssicherheit Als Reaktion auf die Corona-Pandemie formuliert die Kommission die Absicht, derartigen, auch das Lebensmittelsystem betreffenden Krisen zukünftig mit einer gemeinsamen europäischen Reaktion entgegenzutreten. Die beiden Strategiepapiere bilden einen neuen Rahmen für eine zukünftige europäische Landwirtschafts- und Ernährungspolitik. Dabei steht für die Verfasser der Erhalt bzw. die Wiederherstellung der natürlichen Grundlagen im Mittelpunkt. Nur wer sie erhält, wird auch nachhaltig und ökonomisch erfolgreich Lebensmittel produzieren und die Versorgung mit Lebensmitteln sicherstellen. Die Reaktionen der berufsständischen Vertreter der Landwirtschaft zeigen allerdings, dass die Veränderung des Blickwinkels, weg von einem durch produktionstechnische Maßnahmen möglichst reduzierten Einfluss von Umweltfaktoren hin zu einem Wirtschaften mit der Natur, der Einführung eines grundsätzlich anderen Denkmodells und Naturverständnisses bedürfen. Umwelt ist nicht Produktions- sondern Lebensraum. Der Green Deal setzt hier einen neuen Rahmen, den es jetzt inhaltlich zu füllen gilt.
12.06.2020
Von: mn

Der Greendeal muss sich auch in der deutschen Landwirtschaftspolitik niederschlagen