Mehr Eigenständigkeit und gute Wertschöpfung
Carsten Schlüter ist ein Norddeutscher, trocken und geradeheraus: Ja, ein konventioneller Kollege habe ihm gerade gesagt, das sei ein Scheißgeschäft, das rechne sich nie. Ein anderer habe ihn allerdings gefragt, wo er denn die goldenen Wasserhähne anbaue, wenn er doch jetzt 75 Cent für den Liter Milch kriege. Schlüter, Bio-Milchbauer mit rund 50 Kühen in der holsteinischen Schweiz, lacht ein bisschen und sagt dann: „Es ist eine Herausforderung.“ Gemeinsam mit den 35 Berufskollegen, Bio-Milchbauern und -bäuerinnen in Norddeutschland, die zu der Bauerngemeinschaft Hamfelder Hof gehören und die gleichnamige Meierei im ostholsteinischen Mühlenrade betreiben, wagt er eine „Qualitätsoffensive, die alles überragt“. Seit dem ersten Oktober bekommen die Betriebe der Bauerngemeinschaft 20 Cent mehr für den Liter Milch, bis Ende 2022, ohne dafür Mehrleistungen erbringen zu müssen. „Es ist riskant. Wir wagen es trotzdem“ ist neu auf die Milchpappen gedruckt, die im konventionellen Lebensmitteleinzelhandel wie auch im Naturkosthandel im Kühlregal stehen. Alle Handelspartner kaufen die Milch für 20 Cent mehr ein. Ab Januar 2023 gibt es den Aufschlag dann nur noch für die Erbringung bestimmter Leistungen, die in einem Maßnahmenkatalog gelistet und auch bepreist sind. Entwickelt wurde das Ganze über drei Jahre in der Bauerngemeinschaft, diskutiert in Gesellschafterversammlungen und bei Lieferantentreffen, konkretisiert und ausgefeilt in einem Beirat aus drei Bauern, einer Bäuerin und dem Geschäftsführer der Meierei. Das Zukunftspaket teilt sich in drei zentrale Aspekte: erstens Tierwohl fördern, das heißt u. a. die Umstellung auf eine kuhgebundene Kälberhaltung, mehr Luft, Licht, Bewegung im Stall, Auslauf sowie Weidegang an 180 Tagen im Jahr. Das zweite Ziel ist, die Biodiversität zu fördern, konkret: auf zehn Prozent der Betriebsfläche Naturschutzmaßnahmen umzusetzen. Und schlussendlich sollen die Arbeitsbedingungen auf den Höfen so verbessert werden, dass sie nachfolgenden Generationen eine Zukunftsperspektive bieten.
Modern und bäuerlich
„Wir sind froh, dass wir es geschafft haben, den Handel zu überzeugen“, sagt Janosch Raymann, der Geschäftsführer der Meierei Hamfelder Hof. Er kommt selbst vom ursprünglichen Hamfelder Hof, dem Ursprungsbetrieb der Marke und ist auch Teil der Bauerngemeinschaft. Für ihn sind die jetzt vorgestellten Pläne die konsequente Weiterentwicklung der Initiative, die die Bauern und Bäuerinnen vor inzwischen acht Jahren mit der Gründung der Gemeinschaft und der eigenen Meierei angegangen sind. „Es ging darum, eigene Standards aufzubauen, den Ökolandbau voranzubringen, mehr Eigenständigkeit und eine gute Wertschöpfung für alle zu erreichen“, beschreibt er die Motivation. „Wir wollen eigene Wege gehen und die Weiterentwicklung der Landwirtschaft aktiv mitgestalten, anstatt das Feld allein dem Handel und anderen Akteuren zu überlassen.“ Er sei stolz auf den Prozess der letzten drei Jahre, in dem sich alle Betriebe einbringen konnten. Dadurch seien auch die Angst und Bedenken vor den großen Aufgaben und deren Umsetzbarkeit einer Aufbruchstimmung gewichen, die Dinge nun anzugehen. Die Landwirtschaft werde so häufig als Bremser wahrgenommen, man wolle hier auch für einen anderen Blick auf Landwirtschaft sorgen. „Wir wollen zeigen, wie wir uns moderne Landwirtschaft in bäuerlichen Strukturen vorstellen“, sagt Raymann. Dabei stehe die Wertschöpfung für die Betriebe über dem Umsatz der Meierei und ihrem potentiellen Größenwachstum. Er sei auch aufgeregt, wie sich die Zahlen nun entwickeln würden. Dass sie in der Meierei in Mühlenrade viel mehr Rückmeldungen als früher bekommen würden und die meisten Zuschriften positiv seien, stimme ihn zuversichtlich.
Echte Herausforderung
Carsten Schlüter ist einer der Bauern, die sich im Beirat intensiv damit auseinandergesetzt haben, welche Maßnahmen sinnvoll, praktikabel, gewünscht und auch wie finanzierbar sind. Er sagt: „Was richtig gut ist, ist, dass die Bauern gesagt haben: ‚Das geht und das geht nicht‘ und nicht Lidl oder Edeka und nicht die Politik oder die Verbraucher.“ Dass es trotzdem nicht leicht für die Höfe wird, bis 2030, so die Festlegung, die Ziele zu erreichen, steht für ihn außer Frage. „Gerade für Betriebe, die viele Pachtflächen haben, die ja mit der Verpflichtung belegt sind, in einem ordnungsgemäßen Bewirtschaftungszustand wieder zurückgegeben werden zu müssen, sind die zehn Prozent Naturschutzmaßnahmen nicht einfach zu realisieren.“ Und natürlich sei es gerade für spezialisierte Milchviehbetriebe, wie es doch einige gerade unter den Schleswig-Holsteinern in der Bauerngemeinschaft gebe, eine echte Herausforderung, alle Kälber aufzuziehen. Normalerweise blieben nur 20 bis 25 Prozent der Tiere auf dem Betrieb. „Das heißt jetzt, der Tierbestand wächst um ein Drittel, ohne das ich weiß, ob sich das rechnet.“ Denn eine Vermarktung wird erst noch aufzubauen sein. „Ich brauch also mehr Platz oder muss meinen Bestand abstocken“, sagt Schlüter. Und mit dem Abstocken täte sich so mancher schwer, das merke man auch daran, dass immer mehr Betriebe in der Bauerngemeinschaft an der vorgegebenen betrieblichen Obergrenze von 150 Kühen wirtschafteten. Er bedauert ein bisschen, dass Themen wie strengere Futtervorgaben oder gar ein degressiv gestaffelter Milchpreis unter den Bauern und Bäuerinnen keine Mehrheiten gefunden haben. Wichtig sei ihm, dass die Maßnahmen vom Mehrpreis gedeckt werden, wenn es auch eng kalkuliert sei.
Neuer Stall
„Es ist ja grundsätzlich zu wenig Geld auf den Höfen“, sagt Matthias Stührwoldt, Schlüters Nachbar und auch mit rund 50 Kühen in der Bauerngemeinschaft. Auch deshalb sieht er dem „groß gedachten Konzept“ positiv entgegen, jetzt komme erstmal Geld auf die Betriebe, um Bewegungsfreiheit für Weiterentwicklungen herzustellen. Es sei ein gutes Signal, sagt auch Stührwoldt, dass alle Handelspartner mitgezogen hätten, „die hätten uns ja auch auslisten können“. Gleichzeitig sieht auch er die Herausforderungen. „Das Ziel ist ja, dass 2030 auch kein Bullenkalb mehr in den konventionellen Markt geht.“ Das Thema ist drängend in der Bio-Milchviehhaltung. Bislang gibt es noch kaum Initiativen, die sich mit einer Aufzucht und Mast der „Bruderkälber“ beschäftigen, während in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung gerade solche Themen sensibel sind. Ähnlich ist es bei der Frage, wie die Kälber in den ersten Tagen und Wochen gehalten werden. „Die Verbraucher fahren total auf muttergebundene Kälberhaltung ab“, so Stührwohlt. Er könne das gut verstehen, und es sei keine Frage, dass er sich damit auseinandersetzen werde. Gleichzeitig treibt ihn die Sorge um, ob, wenn er nicht mehr „der gute Onkel mit dem Nuckeleimer“ sei, seine Jungrinder verwilderten. Klar sei auch, so Stührwoldt, dass am Ende alle Betriebe einen neuen Stall bauen müssten. „Das hat natürlich auch was, ich hab schon oft gedacht: ‚Wie gern wäre ich in einem anderen Stall.‘“ Und nun biete sich die Chance, das tatsächlich auch finanziell gut stemmen zu können. Aber Betriebe der Gemeinschaft, die keinen Nachfolger hätten, würden den Weg wohl nicht mitgehen, so Stührwoldt. „Aber auf alle Betriebe, nicht nur uns Hamfelder, kommen neue Anforderungen zu“, sagt Matthias Stührwoldt, „nur dass wir jetzt formulieren, was wir brauchen, um sie umzusetzen.“