Lützeratz - Das Dorf, die Kohle und die Grünen

Der letzte Baum gerodet. Die Häuser planiert und die Tunnel geräumt. In Lützerath ist hinter dem doppelten Bauzaun nur noch Ödnis geblieben. Alles ist bereitet, um den Dreck über der Kohle abzubaggern. Doch der Dreck, den der Energiekonzern RWE so dringend braucht, um die Ränder auf der anderen Seite der gigantischen, mehrere hundert Meter tiefen Grube abzuflachen, ist einer der besten Böden Deutschlands. Nacheiszeitliche Lößablagerungen, viele Meter stark, gewähren gute Nährstoff- und Wasserversorgung. Beste Voraussetzungen für den Anbau von Lebensmitteln wie Getreide, Möhren und Spinat.

Der Dreck, da sind sich viele Menschen einig, liegt viel tiefer: die Braunkohle. So richtig dreckig wird sie natürlich erst bei der Verbrennung. Mehr als zwanzigtausend Menschen kamen Mitte Januar bei böigem Wind, Dauerregen und Temperaturen im einstelligen Bereich. Der Regen, der schon einige Tage vorher eingesetzt hatte, hatte die Böden aufgeweicht, Die einzige Straße, die vom fast unbewohnten Ort Keyenberg bis zur auf einer Wiese in Sichtweite zum ehemaligen Dorf Lützerath gelegenen Bühne führt, war viel zu schmal für die überraschend vielen, gut gelaunten DemonstrantInnen. Schnell wurde der Acker zur Wegverbreiterung, Schuhe und Stiefel mit einem Überzug aus gelblichbraunem Matsch versehen. Die Abbruchkante des Tagebaus ist in ca. 1.000 Meter Entfernung ohne ersichtliche Hindernisse, Zäune oder Warnschilder zu sehen. Kaum verwunderlich, dass viele DemonstrantInnen den Weg durch die Felder nahmen, um sich selbst ein Bild zu machen und ihren Widerstand gegen die klimazerstörende Kohleverstromung direkt an der Kante kundzutun. Viele tausend Menschen, die auf breiter Front ganz individuellen Impulsen folgend nahezu Gleiches tun – für die Polizei muss dieses Szenario ein Albtraum sein. Wie sichert man eine mehrere Kilometer lange Tagebaukante? Um das zerstörte Dorf Lützerath hatte RWE einen doppelten Bauzaun gezogen. Hier gibt es Straßen, parkten Wasserwerfer und Mannschaftswagen. Auf dem Acker selbst ging es nur noch zu Fuß weiter, auch für die Polizei mit Helmen, Westen und Schlagstöcken. Von außen betrachtet wirkte das Ganze wie eine Feldschlacht zu Zeiten Preußens. Kleine Gruppen von DemonstrantInnen wurden von gut geschützten PolizistInnen

abgedrängt. Auf Kommando rannten diese gut geschützten Einsatzkräfte, ganz ohne dass ein Ziel ihrer Aggressionen zur erkennen gewesen wäre, in die DemonstrantInnen, die sich gegenseitig untergehakt hatten. Darüber wurde berichtet, man kann es sich im Netz noch immer ansehen. Es wird untersucht werden und müssen.

Für die Grünen wird dieses nicht mehr existente Dorf, wird der Deal mit RWE zu einer Herausforderung. Hier könnte die Erzählung von sich als einer Partei der Klima schützenden ProblemlöserInnen demontiert werden. In jedem Fall sind die Themen Kohleverbrennung, Kimaschutz und die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels mit dem Abriss des denkmalgeschützten Hofs von Eckhard Heukamp, dem lange sich RWE widersetzenden letzten Bauern in Lützerath, nicht vom Tisch.

Gleich mehrfach wird sich Landwirtschaftsminister Cem Özdemir im Rahmen der Grünen Woche an Stelle seiner Parteikollegin, der stellvertretenden Regierungschefin in NRW, Mona Neubauer, und des Vizekanzlers für den weiteren Kohleabbau rechtfertigen müssen.

Auf dem Empfang des Bunds ökologischer Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) fordert Tina Andres, die Sorgen junger Menschen und die Bedrohung durch den fortschreitenden Klimawandel, der auf den landwirtschaftlichen Betrieben schon jetzt immer stärker wahrzunehmen ist, ernst zu nehmen. Die Kohle muss im Boden bleiben, so das klare Signal.

Die Replik des Landwirtschaftsministers erfolgt direkt, auch wenn sie in seinem Redeprotokoll nicht vorgesehen war. Und während er zuvor noch von den Erfolgen des ersten Jahres grüner Regierungsbeteiligung, einer neuen Maßeinheit für besonders schnelles Handeln beim Bau von Flüssiggasterminals, ein Habeck, schwärmte, gibt er im Fall Lützeraths doch vor allem der 16 Jahre währenden schwarz-roten Vorgängerregierung die Schuld an der Fortsetzung der Kohleverstromung und der Zerstörung landwirtschaftlicher Böden. Auch sei der zwischen Habeck, Neubauer und RWE ausgehandelte Deal, fünf weitere Dörfer vom Abriss zu verschonen und den Kohleausstieg von 2038 auf 2030 vorzuziehen, ein großartiger Erfolg für den Klimaschutz. Und am Ende der nette Versuch, alle KritikerInnen in die Verantwortung zu nehmen. Denn eine Partei mit nur 14 Prozent der Wählerstimmen könne eben nicht alles richten. Da müsse man eben dafür sorgen, dass mehr Menschen die Grünen wählten. Begeistert ist Özdemir nicht, im Rahmen „seiner“ Messe immer weder mit dem Kohlethema konfrontiert zu werden. Und wenn er auf dem BÖLW-Empfang überraschenderweise nach seiner Gegenrede zur Gastgeberin Andres von den Anwesenden viel Applaus bekam, war die Stimmung am folgenden Tag bei der Übergabe der Protestnote vor dem Außenministerium, in dem der internationale Agrarministergipfel tagte, deutlich eisiger. Vielleicht auch deshalb, weil sich die TreckerfahrerInnen schon über eine halbe Stunde in der Kälte stehen gelassen fühlten. Die Argumentationslinie war nahezu deckungsgleich: Wir brauchen die Kohle, haben als Grüne einen guten Deal ausgehandelt und mit 14 Prozent geht eben nicht mehr.

Das klingt nicht nach einer Siegergeschichte und einem baldigen Abräumen dieses Themas aus der öffentlichen Wahrnehmung. Auch deshalb nicht, weil Fridays for Future für Anfang Februar direkt neue Aktionen im Vorfeld der Berlinwahl angekündigt haben und am 3. März wird es dann auch wieder einen globalen Klimastreik geben, der das Thema weiter wachhalten wird.

20.02.2023
Von: mn