Höchste Zeit für Regionalsierung der Ernährungswirtschaft

„Ist unsere Ernährung in Krisenzeiten gesichert?“, fragen sich nach Ansicht des Bundesverbands der Regionalbewegung derzeit zu Recht viele Verbraucherinnen und Verbraucher. “Höchste Zeit für eine Regionalisierung in der Ernährungswirtschaft“, heißt es in einer gemeinsam mit Marktschwärmer Deutschland, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Netzwerk Solidarische Landwirtschaft e.V. und den Ernährungsräten aus Frankfurt und Köln veröffentlichten Pressemitteilung. Wie anfällig globale Lieferstrukturen sind, werde gerade immer deutlicher und wirke wie Wasser auf die Mühlen der Regionalbewegung in Deutschland. „Die Corona-Pandemie zeigt, wie verletzlich die arbeitsteilige Weltwirtschaft ist. Die Schwächen der globalen Handelsstrukturen werden nicht nur im Medizinbereich schmerzlich sichtbar“, erklären die Organisationen. Auch an den globalen Nahrungsmittelmärkten gehe es turbulent zu: Einige Länder verhängen Exportstopps oder versuchen große Mengen Reis, Weizen und andere Grundnahrungsmittel aufzukaufen und einzulagern. Die Akteure der Regionalbewegung, der Ernährungswende und der bäuerlichen Landwirtschaft plädieren daher für konkrete Maßnahmen hin zu einer Regionalisierung in der Ernährungswirtschaft. Wie extrem der deutsche Markt von Im- und Exporten abhängt, zeigen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes: Insgesamt hat sich der weltweite Warenexport in den letzten 40 Jahren verzehnfacht, etwa ein Viertel aller in Deutschland erzeugten landwirtschaftlichen Produkte gehen in den Export. Eine bemerkenswerte Situation ergibt sich hier vor allem in der Milchindustrie. Während der Absatz im Lebensmittelhandel enormen Zuwachs erfährt, verlieren die großen Molkereien und Milchviehbetriebe in der aktuellen Krise ihren internationalen Absatzmarkt und somit ihre Wirtschaftlichkeit, die auf diesen Großstrukturen basiert. Aus Sicht der Regionalbewegung sind jedoch dezentrale Strukturen in der Nahrungsmittelgrundversorgung und in der Lebensmittelverarbeitung elementare Stabilitätsfaktoren nicht nur in Krisenzeiten. Die politisch forcierte Exportorientierung und das Zerschlagen des regionalen Marktes mit dezentralen regionalen Wirtschaftskreis-läufen zeigt nach Ansicht der Organisationen hier deutlich das Marktversagen. Dahingegen werden laut Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI) rund zwei Drittel des in Deutschland verzehrten Gemüses importiert. „Auch hier verlässt man sich auf den internationalen Markt ohne eine systematische Entwicklungsstrategie regionaler Strukturen mit regionaler Wertschöpfung vor Ort voranzutreiben. Die unabdingbare „Luftbrücke“ für osteuropäische Erntehelfer zeigt die fragilen Großstrukturen im Obst- und Gemüseanbau in Deutschland“, heißt es in der Mitteilung. Eine Versorgung überwiegend aus regionalen Wirtschaftskreisläufen - und das weltweit - könnte Regionen in Krisensituationen resilienter machen und durch lokale Wertschöpfung auch Kleinst-, kleine und mittlere Wirtschaftsbetriebe vor Ort stärken. Daher drängen der Bundesverband der Regionalbewegung, die Marktschwärmer Deutschland, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, das Netzwerk Solidarische Landwirtschaft und Ernährungsräte gemeinsam auf eine Regionalisierung und damit De- Globalisierung in der Ernährungswirtschaft. Bund und Länder sind hier gefragt, Regionalisierungsstrategien gemeinsam mit den relevanten Praxisakteuren der Land- und Ernährungswirtschaft zu entwickeln. Für die Organisationen besteht jetzt die zu ergreifende Chance, den Aufbau von regionalen Nahversorgerstrukturen systematisch zu unterstützen. Die Resilienz der Kommunen und Regionen werde nicht nur im Medizinbereich eine tragende Rolle spielen müssen. Der Erhalt und Aufbau regionaler Wirtschaftskreisläufe für eine hohe Wertschöpfung in den Regionen und eine weitgehende Unabhängigkeit von globalen Handelsstrukturen sind Voraussetzung für eine zukunftsträchtige und krisenfeste Daseinsvorsorge – eine Pflichtaufgabe für Kommunen, für deren Rahmenbedingungen Bund und Länder sorgen müssen. Konkret bietet die Regionalbewegung mit ihrem Netzwerk der „Zukunftskommission Landwirtschaft“ der Bundesregierung und des Bundeslandwirtschaftsministeriums die aktive Mitarbeit und Beratung zur Sicherung und dem innovativen Ausbau der Nahversorgerstrukturen im regionalen Wirtschaftskreislauf an. Die Bedeutung dieser Zukunftskommission sollte jetzt auch den höchsten Entscheidungsgremien bewusst geworden sein. Gleichzeitig empfiehlt die Regionalbewegung ein „Bundesprogramm Regionale Wertschöpfung“ aufzulegen, das nicht nur Lippenbekenntnis für die Kleinst-, kleinen und mittleren Betriebe der Ernährungs- und Landwirtschaft ist, sondern adäquat mit Finanzmitteln ausgestattet ist, um über eine Gießkannenförderung hinaus Teil eines zukünftigen, systemrelevanten und resilienten Ernährungssystems zu werden.