„Fit-for-55“-Paket: Hintergründe, Neuerungen und Bewertungen des von der EU-Kommission vorgeschlagenen Gesetzespakets

Letzten Mittwoch, am 14.Juli 2021, stellte die EU-Kommission ihr Gesetzespaket „Fit-for-55“ vor. Die Verhandlungen im Trilog aus EU-Parlament, EU-Rat und EU-Kommission werden nun voraussichtlich bis Ende 2022 oder Anfang 2023 dauern. Als Teil des europäischen Green Deals soll mit dem Legislativpaket der Klimaschutz in der EU vorangebracht werden. Bis 2030 will die EU ihre Treibhausgase um mindestens 55% gegenüber 1990 gesenkt haben, 2050 soll die Klimaneutralität erreicht sein. Der Titel soll zeigen, dass die EU „fit“ für die Reduktion der Emissionen um 55% sei. Damit liegt die EU hinter dem frisch novellierten deutschen Klimaschutzgesetz, laut dem Deutschland 2030 65% der Emissionen reduziert, und bereits 2045 treibhausgasneutral sein will. Kurzer Überblick über einige EU-Klima-Regularien
„Fit-for-55“ betrifft eine ganze Reihe von Mechanismen. Die verschiedenen Sektoren (wie z.B. Verkehr, Landwirtschaft, Landnutzung und Landnutzungsänderungen, Gebäude, Abfall, Energie) sind in verschiedene Gruppen aufgeteilt. Diese sind: - Das Emission Trade Systeme (ETS): Beim ETS (auf Deutsch: Emissionshandel) handelt es sich um „das“ zentrale Instrument der europäischen Klimagesetzgebung. Es betrifft ca. 40% der europäischen CO2-Emissionen und adressiert z.B. die Stromerzeugung und einige Industriezweige. Ziel ist die Senkung von Treibhausgasemissionen. Dazu werden eine begrenzte Anzahl von Emissionsrechte ausgegeben, welche die erfassten Unternehmen emittieren oder handeln können. Die Obergrenze der Zertifikate („Cap“), und damit der Emissionen, wird regelmäßig gesenkt. Da die Cap relativ hoch, und der Preis für die Zertifikate lange relativ gering war, ist die Umweltwirkung des ETS umstritten. - Die Effort Sharing Regulation (ESR) betrifft alle Sektoren, die nicht unter den ETS fallen. Dabei handelt es sich z.B. um Landwirtschaft, Transport, Gebäude und Abfall, sie verantworten zusammen 60% der THG-Emissionen der EU. Die ESR (auf Deutsch: „Lastenteilungsverordnung“) definiert Reduktionsziele für die Emissionen der Sektoren, die es zu erreichen gilt. Für das Erreichen der Ziele sind - anders als beim ETS – die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten verantwortlich. Seit Implementierung des ESR sind die Emissionen der betroffenen Sektoren aber weniger gesunken, als laut ESR vorgesehen. - Die Land Use and Land Use Change-Regulation (LULUCF-Regulation) betrifft den Sektor Landnutzung und Landnutzungsänderung und erfasst die Emissionen und Senkenleistung aus beispielsweise Wälder, Moorböden, Ackerflächen oder Grünland. Wird z.B. ein Grünland umgebrochen, so werden diese Emissionen hier erfasst. Für diesen Sektor gilt die „No-Debit-Rule“, welche besagt, dass die Mitgliedsstaaten sicherstellen müssen, dass die Emissionen des Sektors bilanziell kompensiert werden. Da dieser Sektor Kohlenstoff in den Senken binden kann, wird er ein immer größerer Teil der Debatte. So wurde im neuen deutschen Klimaschutzgesetz von Juni 2021 das erste Mal ein Ziel für diesen Sektor definiert. „Fit-for-55“: Einige Neuerungen
Hier eine kurze Übersicht über einige der Neuerungen und erste Bewertungen aus einer Kurzanalyse von Germanwatch. Das 55%-Ziel ist ein Netto-Ziel, d.h. die Senkenleistungen der Wälder, Moore, usw. werde angerechnet. Das Brutto-Ziel (ohne die Anrechnung der Senken) beträgt ca. 53% Reduktion der Emissionen. Das bedeutet immer noch eine Verdopplung des Klimaschutztempos im Vergleich zu den bisherigen Zielen, laut Wissenschaftler:innen bräuchte es zum Erreichen des 1,5°C-Ziels aber eine Reduktion von mindestens 65%. Auch muss sich die EU darauf vorbereiten, dass die Wälder und Moore ihre Senkenleistungen wegen der zunehmenden Belastung durch den Klimawandel nicht erfüllen werden können. Neu eingeführt wird der „Carbon Border Adjustment Mechanism“ (CBAM): Dieser „Kohlenstoffgrenzausgleich“ soll verhindern, dass durch höhere Klima-Standards in der EU die Produktion ins außereuropäische Ausland abwandert („Kohlenstoff-Leakage-Effekt“), er soll den Wettbewerb aufrechterhalten und die Länder außerhalb der EU dazu ermuntern, klimafreundlich zu produzieren. Umgesetzt wird der CBAM in Steuern und Zölle für Einfuhrgüter in die EU, abhängig von ihren Treibhausgas-Emissionen. Er betrifft die Importgüter Zement, Eisen, Stahl, Strom, Aluminium und mineralischen Dünger. Die Kommission schlägt im Fit-for-55-Paket vor, dass der ETS ausgeweitet wird und ein eigenes, separates Handelssystem für die Sektoren Gebäude und Verkehr eingerichtet wird. Außerdem soll ein fester, ansteigender Mindestpreis für die Zertifikate eingeführt werden, welcher laut Germanwatch „überfällig“ sei. Gleichzeitig soll der Anteil der kostenlos zugeteilten Zertifikate reduziert werden. Germanwatch kritisiert, dass die Cap, also die Obergrenze der Emissionszertifikate im ETS, weiterhin höher sei als die realen Emissionen und fordert, dass diese entsprechend gesenkt wird. Für den ESR sieht das Fit-for-55-Paket ebenfalls einige Änderungen vor, z.B. wurden die Reduktionsziele angehoben und dem neuen EU-Ziel angepasst. Germanwatch weist darauf hin, dass hier insbesondere die Mitgliedsstaaten in der Verantwortung stehen. Für den LULUCF-Sektor sind verbindliche Senkenziele definiert, welche vorsehen, dass die Senkenleistung der Wälder und Moore ausgebaut wird. Kritiker:innen weisen darauf hin, dass angesichts der Klimawandelfolgen die Senkenwirkung allerdings in Frage steht. Der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien (EE) ist auch ein Teil des Fit-for-55-Pakets, bis 2030 soll der Anteil der EE am Gesamtstrommix zwischen 45 und 50% betragen. Dies bedeutet auch für Deutschland eine Anhebung des eigenen Ausbauziels. Reaktionen
„Unser Ziel ist es, dass wir unsern Planeten erhalten, aber wir wollen auch unsern Wohlstand erhalten. Wir haben das Ziel, jetzt zeigen wir die Karten für den Weg dorthin“, so EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen bei der Vorstellung des Pakets. Germanwatch bewertet die Vorschläge der EU-Kommission grundsätzlich positiv. „Bei diesem wegweisenden Paket stimmt die Richtung um die EU-Klimaziele zu erreichen. Aber ohne einen Garantiemechanismus zum Umsetzen der Klimaziele – auch für den Fall dass die Wälder als CO2-Senken ausfallen - ist das Erreichen der Ziele nicht ausreichend sichergestellt. Die Kommission will den Trödelklimaschutz der vergangenen Jahrzehnte beenden, springt aber bei wichtigen Fragen noch zu kurz“, kommentiert Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch. Germanwatch warnt, dass die CO2-Aufnahmefähigkeit der Wälder und Moore bis 2030 durch den sich verschärfenden Klimawandel und trotz der geplanten zusätzlichen Anstrengungen bei unter Null liegen könne. „Für einen solchen Fall muss im Klimapaket ein Garantiemechanismus eingebaut sein, der das Minderungsziel in den anderen Sektoren automatisch verschärft, damit das Klimaziel von mindestens minus 55 Prozent auch dann sicher erreicht wird“, so Bals. Die Europäische Koordination von La Via Campesina (ECVC) kommentiert: „Wir müssen die Emissionen reduzieren, anstatt einen zerstörerischen Wettlauf zur Kohlenstoffneutralität zu verfolgen“ und kommt zu dem Schluss: „Das Fit for 55-Paket enttäuscht jedoch aus bäuerlicher Sicht. Die zwölf Initiativen, die in dem Paket skizziert werden, werden der Ausgangspunkt für die politischen Verhandlungen der nächsten zwei Jahre sein. Statt eines dringend notwendigen ambitionierten Ansatzes, enthält das Fit for 55-Paket jedoch nur kleine Korrekturen und bloße Kompensationsmaßnahmen.“
19.07.2021
Von: xb

Das Gebäude der EU-Kommission erstrahlte anlässlich von "Fit-for-55" mit dem Schriftzug "European Green Deal" in grün. Foto: Europäische Union, EC-Audiovisual service