EuG: Gemeinwohl- vor Wirtschaftsinteressen
Studien, die die Toxizität und die krebserregende Wirkung des Pestizids Glyphosat behandeln, hätten öffentlich gemacht werden müssen. Das hat das Gericht der Europäischen Union (EuG) entschieden und damit einer Klage von vier Europa-Abgeordnete der Grünen stattgegeben.
„Wieder einmal stellt ein Europäisches Gericht klar: Gemeinwohlinteressen haben in der europäischen Gesetzgebung Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen. Mit dem Urteil erklärt das EuG das Wiederzulassungsverfahren für das meistverkaufte Pestizid endgültig zur Farce, denn die EU-Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA hat mit ihrem Vorgehen nicht nur die Rechte der Europaabgeordneten und der Öffentlichkeit beschnitten, sondern auch ihre eigenen“, kommentiert Florian Schöne, politischer Geschäftsführer des Umweltdachverbands Deutscher Naturschutzring (DNR) das Urteil.
Sowohl die EFSA als auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), das federführend für die europäische Risikobewertung war, sind auf Grundlage der geschwärzten Herstellerstudien zu ihrer Einschätzung „gesundheitlich unbedenklich“ gelangt und haben in ihrer Begründung dabei nachweislich ganze Passagen aus den Industriestudien übernommen.
„Bis heute ist dieser skandalöse Umgang ohne politische Konsequenzen geblieben. Im Ergebnis des heutigen Urteils ist die Bundesregierung gefordert, den Glyphosat-Ausstieg auf nationaler und europäischer Ebene auf den Weg zu bringen. In Deutschland müssen der Vereinbarung im Koalitionsvertrag, wonach die Anwendung von Glyphosat ‚so schnell wie möglich und grundsätzlich zu beenden‘ ist, endlich konkrete Ausstiegspläne folgen. Das Gefeilsche um möglichst minimale Anwendungseinschränkungen und Zulassungsverlängerungen Glyphosat-haltiger Herbizide für die Landwirtschaft muss ein Ende haben“, so Schöne.
Auf EU-Ebene erwartet der DNR von der Bundesregierung, dass sie die Forderung der Abgeordneten des Europäischen Parlaments nach mehr Transparenz in Zulassungsverfahren für Pestizide vorbehaltlos unterstützt und sich gegen eine erneute Zulassung des Wirkstoffs nach 2022 ausspricht. „Auch das ist zum Vorteil der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland, um EU-weit gleiche Wettbewerbsbedingungen zu garantieren“, erklärt Schöne.
Für Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen und Mitglied des Umwelt- und Gesundheitsausschusses des Europäischen Parlaments und in dieser Funktion verantwortlich für die Ausgestaltung der zukünftigen Transparenzrichtlinie im Agrar- und Lebensmittelsektor, ist das EuG-Urteil ein Sieg für Gesundheit und Umwelt. „Jetzt wird ans Tageslicht kommen, was die Geschäftemacher uns vorenthalten wollten. Wir müssen jetzt auf sofortige Herausgabe aller Studien drängen und diese umgehend analysieren. Wenn sich die vermuteten Belege dafür finden, dass Glyphosat tatsächlich krebserregend ist, wäre das ein Skandal mit weitreichenden Veränderungen: Glyphosat müsste sofort verboten werden“, so der EU-Abgeordnete.
In dem „bahnbrechenden Urteil“ sieht er auch Rückenwind für die Umsetzung der zukünftigen Transparenzrichtlinie im Agrar- und Lebensmittelbereich, nach der Antragsteller, die Studien, mit denen sie die Unbedenklichkeit ihres Produktes belegen, öffentlich machen müssen. „Die Pestizid-Hersteller müssen sich in Zukunft warm anziehen“, so Häusling.