„Es sieht keiner, was das mit einem macht“

Die Blauzungenkrankheit belastet Schafbetriebe massiv durch extremen Pflegeaufwand, Tierverluste und wirtschaftliche Folgeschäden.
Ende September ist Schafhalterin Ulrike Hasenmaier-Reimer mit ihrer Zuchtherde Juraschafe im baden-württembergischen Landkreis Schwäbisch-Hall noch mitten im Geschehen: Sie hat den Blauzungenvirus Serotyp 3 (BTV3) im Betrieb. Von ihren 60 Mutterschafen und 80 Jungtieren sind in den letzten Wochen 17 Tiere erkrankt und drei Lämmer gestorben. „Das ist kein Vergleich zu dem, was wir aus Nordrhein-Westfalen gehört haben“, so die Einordnung der Bioland-Schäferin. „Hier waren es meist milde Verläufe, die Tiere haben fast alle weiter gefressen.“ Trotzdem berichtet sie von sehr unterschiedlichen Symptomen und zuletzt ganz plötzlich auftretenden Infektanzeichen mit extrem schneller Verschlechterung des Zustands der Tiere. So hatten die drei Lämmer bei vorigen Kontrollen der Gruppe gefressen, waren munter – und fingen dann an zu spucken, zu schäumen und waren wenig später tot. „Ich gehe täglich nicht mehr ein-, sondern zweimal zu den Herden. Und ich lasse sie mir von den Hunden herbringen. Normalerweise schrecke ich sie nicht beim Liegen auf. Aber so kann ich sehen, ob sich ein Tier schwer tut, mitzulaufen.“ Neben hängenden oder dicken Ohren waren bei ihr oft Lahmheiten erste Anzeichen. Einige Schafe hatten hohes Fieber, manche gar nicht.

Ausbreitung und Heftigkeit
„Das kam langsam runter nach Süden. Ausgehend von den Niederlanden, dann NRW, im Frühjahr Rheinland-Pfalz.“ Dann gab es aus ungeklärten Gründen einen plötzlichen Sprung und am 1. August tauchte mitten in Baden-Württemberg, 30 km von ihr entfernt, der erste Fall auf. „Acht bis zehn Tage vorher hatte ich meine Tiere geimpft – als einer der ersten Betriebe hier“, blickt Hasenmaier-Reimer zurück. „Ich bin nicht so eine Impffreundin – aber es gibt Fälle, wo du die Herde schützen musst, wo es wichtiger ist, Leben zu retten, als dass vielleicht ein, zwei Tiere Impfnebenwirkungen haben.“ Sie wollte der herannahenden Seuche gut vorbereitet begegnen – was zeitlich nicht mehr klappte. Sie führte auch noch die mittlerweile empfohlene zweite Impfung durch. „Am gleichen Tag zeigte das erste Schaf Symptome, wir hatten also mitten ins Infektionsgeschehen reingeimpft.“ Die Viruserkrankung lässt sich nicht behandeln. Mit Schmerzmitteln, Fiebersenkern und Entzündungshemmern können Symptome gelindert werden. Antibiotika kommen zum Einsatz, wenn Folgeerkrankungen auf den verletzten, entzündeten Schleimhäuten auftreten. Manche Tiere hatten Augenentzündungen, andere Maulschleimhautentzündungen, einige sehr aggressive, schnell fortschreitende Lungenentzündungen. „Ich glaube, ich habe in meinem Leben noch nicht so viele schulmedizinische Medikamente eingesetzt wie in den letzten Wochen“, beschreibt Hasenmaier-Reimer die Ausnahmesituation. Denn sie setzt sonst vor allem auf homöopathische Behandlung, hat viele Jahre lang Fortbildungen für Nutztierhalter dazu organisiert. „Aber bei 41 Grad Fieber setze ich neben Homöopathika auch Fiebersenker ein und tue alles, damit es nicht auf 42 Grad hochgeht.“
Ein wesentlicher Faktor, von dem viele Schäferinnen und Schäfer berichten, ist Stress – ihn gilt es zu vermeiden, um die Tiere nicht zu schwächen und damit anfälliger für die Krankheit zu machen. „Also, wo immer möglich, keine längeren Laufwege, wenig Umtriebe, keine Tiere sortieren“ erklärt die Schäferin und sieht noch einen anderen Faktor für die schweren Verläufe: „Das war insgesamt ein extremes Jahr für Schafe durch die Nässe. Die Parasitenprobleme waren immens, da kam man kaum hinterher. Die Herden waren also schon geschwächt.“  

Frust und Stress
Schäferkollegin Stefanie Lamberti aus dem nordrhein-westfälischen Landkreis Mettmann hat die Blauzungenkrankheit mit voller Wucht erlebt: „Da war kein Schaf, das nicht erkrankt ist.“ Sie hält in ihrem Bioland-Betrieb150 Schafe, hauptsächlich Coburger Fuchs zur Landschaftspflege und eine kleinere Herde Suffolk-Mutterschafe und deren Jungtiere für die Fleischvermarktung. 30 Tiere sind  gestorben. Was bleibt, sind die Nachwirkungen: Hohe Tierarztkosten müssen noch abgerechnet werden. Die Schafe sind erholungsbedürftig, brauchen gutes Futter – ihr Handling und das Erfüllen des Weidekonzepts für die Landschaftspflegeverträge bleibt aber noch eine Gratwanderung. Es gibt keinen eigenen einsatzfähigen Zuchtbock mehr. Sollte der im Süden zugekaufte und noch nicht abgeholte Bock ausfallen, dann fällt auch die Nachzucht und der Ersatz der gestorbenen Tiere im Folgejahr aus. Lamberti selbst ist angeschlagen, hatte einen Hörsturz. „Der Frust ist enorm. Man ist sehr allein gelassen politisch – alles wurde immer nur aufs Impfen reduziert. Aber es gibt viele, die trotz Impfung schwere Erkrankungen hatten. Das waren acht Wochen Katastrophe, die über einen gekommen sind. Das macht was mit einem – und das wird gar nicht gesehen.“ Sie selbst wollte impfen. Doch der erste Impfstoff wurde im Frühjahr zurückgezogen, weil es nach Anwendung zu Virusnachweisen gekommen war. Als Anfang Juni drei Impfstoffe vorläufig freigegeben wurden, verpassten Lamberti und ihr Tierarzt den Zeitpunkt – Anfang Juli lahmten die ersten Schafe aus verschiedenen Gruppen auf unterschiedlichen Flächen. Als dann noch Schaum vor dem Mund hinzukam, stand die Diagnose Blauzunge fest. Es tauchten Sekundärinfektionen auf, offene Stellen an Gelenken, am Brustbein, an der Mundschleimhaut, Blasen auf der Haut, Entzündungen am Kronsaum der Klauen, sich lösendes Klauenhorn und Fliegenmaden auf betroffenen Stellen. „Das Leiden der Tiere, ihre Schmerzen mitzukriegen – das hat mich nachts nicht schlafen lassen.“

Rücken frei halten
Lamberti blickt aber insgesamt nach vorn: „Wir müssen die Ärmel hochkrempeln und überlegen, wie können wir uns für ein nächstes Mal besser aufstellen? Was lässt sich aus dieser Situation lernen?“ Ihre persönliche Nachlese: Die an sich gute Härtefallregelung im Seuchenfall, wonach Schäferinnen und Schäfer die Mutterschafprämie aus der EU-Förderung auch für Falltiere vor dem Stichtag Mitte August erhalten, sorgte in der Umsetzung für zusätzlichen Druck: „Durch das vorgegebene Zeitfenster von zwei Wochen musste ich in der Hochseuchenphase Anträge schreiben – außerdem sollte zunächst das völlig überlastete Veterinäramt den Blauzungenfall nochmal bestätigen, obwohl es schon das Laborergebnis gab.“ Die Tierseuchenkasse ist wenig hilfreich; Beiträge werden in NRW für Schafe seit 2019 nicht mehr erhoben, derzeit wird ein Impfzuschuss von einem Euro pro Impfdosis gezahlt. „Für Schäfer, die von ihrem Betrieb leben müssen, könnte es Sinn machen, in irgendeine Art von Versicherung einzuzahlen – wenn man für Falltiere eine Entschädigung bekommen würde“, meint die Schäferin. Was ihr ein Stück weit den Rücken frei hält, ist der vertrauensvolle Umgang der Vertragspartner für die Landschaftspflege. „Der Kreis schätzt mein Weidekonzept, wir sind jedes Jahr im Austausch. Das ist ein beruhigendes Gefühl, auf die Zahlungen kann ich mich verlassen – und die akzeptieren auch jetzt meine Begründung, warum es gerade anders läuft als geplant.“

25.09.2024
Von: cet

Schafhalterin Ulrike Hasenmaier-Reimer Foto: privat