Carbon Farming und Humuszertifikate, das ist die Idee einer klimapositiven Landwirtschaft, in der Bäuerinnen und Bauern durch ihre Arbeit Kohlenstoff im Boden speichern, für ihre Klimaschutzleistungen honoriert werden und ganz nebenbei auch noch die Klimasünden anderer ausgleichen. Dazu sind die sogenannten Humuszertifikate immer mehr in der Diskussion.
Die Bewertungen der Humuszertifikate in der Agrar- und Umweltszene gehen dabei von „Endlich finanziert uns Bauern jemand den Klimaschutz“ bis zu „Greenwashing“. In den aktuellen politischen Verhandlungen auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene sind sie jedenfalls eins der Top-Themen. Frankreich, mit seinem momentanen Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft, will das Thema noch in diesem Halbjahr weiter voranbringen. Wie sich das BMEL positionieren wird, ist noch nicht sicher.
Die parlamentarische Staatssekretärin Ophelia Nick (Grüne) kommentiert: „Wir brauchen echten Klimaschutz. Das heißt: Emissionen reduzieren und Kohlenstoffsenken schaffen! Das können wir mit konsequentem Humusaufbau erreichen und dabei auch Bodenfruchtbarkeit steigern. Ein Greenwashing darf es hingegen nicht geben. Bei der Zertifizierung sind noch viele Fragen offen. Die Kohlenstoffbindung muss bei der Berechnung wahrheitsgemäß wiedergegeben werden. Eine doppelte Anrechnung der Kohlenstoffbindung darf es nicht geben. Die Erreichung der Reduktionsziele für den Sektor darf nicht durch den Zertifikateverkauf gefährdet werden. Ob Zertifikate also die dringend notwendige Lösung für die Emissionsvermeidung bringen, müssen wir ehrlich prüfen. Wir müssen jedes Potenzial der landwirtschaftlichen Böden zum Humusaufbau nutzen. Bei dieser Aufgabe müssen und wollen wir die Bäuerinnen und Bauern dringend unterstützen."
Beispiel
Für viele, gerade aus der Start-up-Szene, bieten die Zertifikate ein neues, attraktives Geschäftsmodell. Der Zertifizierer CarboCert schreibt auf seiner Homepage: „Wir haben es uns zum Ziel gemacht, die Landwirtschaft als Lösungsweg zu nutzen, um den Klimawandel aktiv zu bekämpfen“ und „CarboCert schafft durch sein Humusaufbauprogramm wirtschaftliche Anreize für Landwirte, Humus im Boden zu mehren. Durch die finanziellen Freiräume, die für den Landwirt durch das Humusaufbauprogramm entstehen, kann sich dieser unabhängig von Märkten und Preisen in Richtung Humusaufbau und somit in Richtung aufbauende, regenerative Landwirtschaft entwickeln.“ Bei CarboCert bekommen teilnehmende Bäuerinnen und Bauern 30 Euro pro Tonne gebundenem CO2.
Christoph Trütken, Biobauer und AbLer aus Baden-Württemberg, nimmt an dem Zertifikateprogramm von CarboCert teil. Er sagt: „Ich bekomme 30 Euro pro Tonne gespeichertes CO2. Allerdings nehme ich noch nicht so lange am Programm teil, deswegen werde ich erst in ein paar Monaten wissen, wie viel der C-Gehalt meines Bodens durch meine Maßnahmen gestiegen ist. Ich setzte auf einen dauerhaft begrünten Acker, Untersaaten, Kleegras, holistisches Weidemanagement und mit Mikroorganismen aufbereiteten Wirtschaftsdünger. Wenn ich durch die Zertifikate meine Kosten für die Kohlenstoffspeicherung decken kann, wäre das doch schon mal was. Wir können nicht auf die Politik warten, bis sie Klimaschutz in der Landwirtschaft und den Ausbau der Kohlenstoffsenke Boden endlich ernst genug nimmt.“
Nestlé in Startlöchern
„Viele große Firmen wie Nestlé oder Microsoft sehen das Potential von Böden und innovativer Landnutzung wie regenerativer Landwirtschaft zur Kohlenstoffspeicherung“, berichtet Janos Wack, der mit dem Unternehmen „Triebwerk“ zu regenerativer Land- und Agroforstwirtschaft berät und Planungsleistungen anbietet. „Viele Akteure sehen darin aber auch eine lukrative Möglichkeit der Investition und der Kapitalerträge. Wenn Nestlé durch Humuszertifikate und Investition regenerative Landwirtschaft fördert, ist das natürlich einerseits gut, andererseits stellt sich schon die Frage, wer davon schlussendlich und langfristig profitiert, die Bäuer:innen, das Portemonnaie und das Image von Nestlé oder auch externe Kapitalgeber.“
Kritik
Gemeinsam mit rund 30 weiteren Verbänden veröffentlichte die AbL im Dezember 2021 ein Papier, in dem auf Schwierigkeiten der Zertifikate hingewiesen wurde. In dem Papier weisen sie u. a. darauf hin, dass Humus in landwirtschaftlich genutzten Böden nicht stabil ist. Der darin gebundene Kohlenstoff kann auch wieder abgebaut werden, z. B. durch Erosion oder zu intensive Nutzung. Humusgehalte in landwirtschaftlich genutzten Böden lassen sich nicht beliebig erhöhen. Die Kunst besteht dann darin, dieses Gleichgewicht durch angepasste Bewirtschaftung zu erhalten. Nur so erfüllen Böden ihre Funktionen als Lebensraum für tausende von Bodenorganismen, die bei der Versorgung mit Pflanzennährstoffen sowie bei der Regelung des Wasserhaushalts eine wichtige Rolle spielen. In dem Papier fordern die Unterzeichner:innen einkommenswirksame Förderung humusaufbauender und -erhaltender Bewirtschaftungsmaßnahmen bei der Ausgestaltung agrarpolitischer Steuerungsinstrumente. Finanzielles Engagement aus der Privatwirtschaft könne dabei nur eine Rolle spielen, „solange sich die Unternehmen auf einen glaubhaften 1,5-Grad-konformen Emissionsreduktionspfad begeben haben“.
ECVC, die Dachorganisation der bäuerlichen Verbände in Europa, veranstalte im Februar 2022 eine Online-Pressekonferenz, bei der sie zu den Plänen der EU-Kommission Stellung nahm. ECVC ist der Meinung, dass „die vorgegebene Richtung fehlgeleitet und unzureichend ist, um die Ziele des Green Deal erfolgreich zu erreichen“. Weiter kritisiert ECVC, dass die EU trotz des großen Budgets von immerhin 30 % der Haushaltsgelder für die GAP nicht in der Lage sei, eine nachhaltige Landwirtschaft zu unterstützen. Daher bestünde die Lösung der EU-Kommission darin, sich an private Investoren zu wenden, um Umweltmaßnahmen und Ökosystemleistungen zu finanzieren, anstatt daran zu arbeiten, das nicht nachhaltige System in seinem Kern zu ändern.
Und für die Moore?
Für die Moore könnten die Zertifikate tatsächlich ein Geschäftsmodell sein, sagt Bodenexpertin Dr. Andrea Beste. Denn anders als bei der C-Speicherung in Mineralböden ginge es beim Moorschutz darum, entstehende Emissionen durch die trockene Nutzung zu vermeiden, und nicht zusätzlichen Kohlenstoff zu binden. Und der Finanzbedarf zur Wiedervernässung der Moore ist gigantisch. Das sieht auch Ottmar Ilchmann, Milchbauer auf Moorflächen und Vorsitzender der AbL Niedersachen, so. „Aktuell ist völlig offen, wie es mit den Moorbetrieben weitergehen soll. Die Wiedervernässung ist beschlossene Sache, aber eine wirtschaftliche Perspektive für die Höfe fehlt. Denn die diskutierten Alternativen wie Paludikultur bieten leider keine praxistaugliche Lösung für die meisten Betriebe. Die Zertifikate könnten da ein Teil der Lösung sein.“
Fazit
Klar ist: Es braucht mehr Tempo beim Klimaschutz in der Landwirtschaft – sowohl, was die Reduzierung der Emissionen angeht, als auch den Ausbau der Kohlenstoffsenken. Denn sowohl die EU als auch Deutschland können die vereinbarten Klimaziele nur dann einhalten, wenn die Landwirtschaft in Zukunft mehr Kohlenstoff im Boden speichert. Das ist sicher einer der Gründe für das große Interesse an dem System der Humuszertifikate. Allerdings sollte das die Verantwortlichen nicht davon entbinden, neben den Möglichkeiten, die sie bieten, auch die kritischen Aspekte solch eines Zertifikatsystems mindestens ebenso in den Blick zu nehmen. Dazu gehört auch, wer schlussendlich an den Zertifikaten verdient oder die grundlegende Frage, ob eine Kompensation von Emissionen zielführend ist. Zudem gilt es gerade auch wegen bestimmter Schwachstellen nach weiteren Möglichkeiten zu suchen, wie die Landwirtschaft den von ihr erwarteten Beitrag auf eine Art und Weise leisten kann, bei dem Bäuerinnen und Bauern nicht auf der Strecke bleiben.