Die DÜV und Panikmache

Gar kein Verständnis habe ich für die zwangsweise Unterernährung der Pflanzen, die ja in ‚roten Gebieten’ unter Bedarf der Kultur stattfinden soll. “ (WLV-Präsident Johann Rörig in „Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben“ 9/2019, S. 20).Zwei Anmerkungen.Die Wortwahl „Bedarf der Kultur“ drückt eine Verwechselung aus. Der natürliche Bedarf einer Pflanze besteht darin, dass die Pflanze wachsen kann, dass sie zur Samenreife gelangt und dass die Samenkörner die Erhaltung und Ausbreitung der Art ermöglichen. Der „Bedarf“ der Pflanzen im Sinne der DÜV drückt dagegen aus, welche Stickstoffmengen zu düngen sind, um den vom Landwirt erhofften Ertrag zu ermöglichen. Der „Bedarf“ im Sinne der DÜV berücksichtigt also nicht den Bedarf der Pflanze, sondern die Hoffnungen des Landwirts. Die neue Forderung der DÜV, für die Gebiete mit bereits hoch belastetem Grundwasser („rote Gebiete“), die Soll-Werte für die N-Düngung um 20 kg/ha zu reduzieren, bedeutet also keinesfalls, dass die Pflanzen „hungern“ müssen; es darf nur nicht mehr auf maximalen Ertrag hin gedüngt werden.Von der landwirtschaftlichen Ausbildung wird immer behauptet, sie stelle die Wirtschaftlichkeit zu sehr in den Mittelpunkt. Aber gilt das für das reale Wirtschaften tatsächlich? Geht es nicht überall in erster Linie um möglichst hohe Erträge („Leistung“)? M. E. ist diese Leistungsorientierung durchaus bedauerlich, denn eine stärkere Beachtung der Wirtschaftlichkeit hätte das Problem der weit verbreiteten Überdüngung im Ackerbau wohl erst gar nicht entstehen lassen. Das sei am Beispiel der Stickstoffdüngung erläutert; als Grundlage dient die Veröffentlichung von J. Heyn und H.-W. Olfs: „Wirkung reduzierter N-Düngung auf Produktivität, Bodenfruchtbarkeit und N-Austragungsgefährdung – Beurteilung anhand von mehrjährigen Feldversuchen“, Schriftenreihe 72 der VDLUFA, Darmstadt 2018. In diesem 264 Seiten starken Text werden insgesamt neun Stickstoff-Extensivierungsversuche von verschiedenen landwirtschaftlichen Untersuchungs- und Forschungsanstalten aus verschiedenen Bundesländern vorgestellt. Ausgangspunkt für die meisten Versuche war die Anfang der 90er Jahre intensivierte Debatte um die Rolle der N-Düngung in der Landwirtschaft und im Gartenbau bei der Verschmutzung von Grund- und Oberflächenwasser. Geprüft wurde in den Dauerversuchen (Dauer zehn bis 15 Jahre; eine tolle Leistung!), wie sich unterschiedliche Intensitäten einer Stickstoffdüngung auf Ertrag, Bodenfruchtbarkeit und Nitratauswaschung auswirken. In dem Versuch gab es eine Null-Variante (keine N-Düngung), eine Variante der N-Empfehlung der Pflanzenbauberatung („standorttypisch optimal“) und zwei (oder drei) Varianten mit reduzierter N-Düngung dazwischen.40% weniger DüngerAls Beispiel für den Zusammenhang zwischen unterschiedlicher N-Düngung und Ertrag sei hier der Versuch der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen vorgestellt. (sechs untersuchte Varianten der N-Düngung; fünf Untersuchungsstandorte mit Ackerzahlen zwischen 28 und 67; sehr unterschiedliche Fruchtfolgen; Versuchsdauer zwischen neun und 14 Jahre). Die folgende Tabelle (siehe unten) gibt nun wieder, wie sich über die Gesamtlaufzeit der Versuche die prozentualen Erträge der unterschiedlichen Varianten der N-Düngung darstellen im Vergleich zu der Variante „standorttypisch optimal“.Eine Verminderung der N-Düngung um 10 bzw. 20 % war also in diesen Langfristversuchen praktisch ohne Auswirkung auf den Ertrag. Für die aktuelle Debatte um den Zusammenhang zwischen der Höhe der Stickstoffdüngung und dem Ertrag ist deshalb die Variante mit minus 40 % Stickstoffdüngung besonders bedeutsam. Diese doch deutlich verminderte Düngermenge hat eine Verminderung des Ertrags von gerade mal 11 % zur Folge (Schwankung zwischen den Standorten 85 % bis 98 %). In einem weiteren Untersuchungsschritt wurde zudem geprüft, wie sich bei dieser N-Variante die Wirtschaftlichkeit entwickelte (dabei wurden nur die eingesparten Düngerkosten in Ansatz gebracht!). Ergebnis: Nur wenn bei Weizen ein nach dem Proteingehalt gestaffelter Preis unterstellt wird, tritt bei der Variante „minus 40 %“ der N-Düngung eine Verminderung des ökonomischen Ergebnisses von etwa drei bis vier Prozent ein. Geht man von einem einheitlichen Weizenpreis aus, unterscheidet sich das ökonomische Ergebnis praktisch nicht von der Variante mit „standorttypischer Optimaldüngung“.Ökonomisch interessantDas heißt, 40 % weniger Stickstoffdüngung führt zu keiner Verschlechterung der ökonomischen Ergebnisse! Würde man – im Gegensatz zum Rechenansatz in den Versuchen – auch noch berücksichtigen, dass bei einer um 40 % reduzierten Stickstoffdüngung mit großer Wahrscheinlichkeit keine zweite Herbizid-, keine Fungizid- und keine Insektizidspritzung erfolgen würden, so dürfte sich für die Variante „minus 40 %“ die mit Abstand beste Wirtschaftlichkeit errechnen. In der Landwirtschaft gilt eben oft: „Weniger ist Mehr“.Mit Blick auf das Anliegen der DÜV, Stickstoffauswaschung zu reduzieren, zeigte sich, dass die Nmin-Werte im Herbst bei der Variante „minus 40 %“ immer niedriger waren als bei der Variante „100 %“, allerdings bei deutlichen Unterschieden zwischen den Standorten (von – 4 kg/ha bis zu – 15 kg/ha).Die Werte der verschiedenen Versuche unterscheiden sich natürlich in ihren absoluten Zahlen von den Ergebnissen, die die Landwirtschaftskammer Nord­rhein-Westfalen ermittelte. Entscheidend ist aber, dass die Varianten mit deutlich reduzierter Düngung überall eine ähnliche (geringe) Wirkung auf die Ertragshöhe hatten.Zur Erinnerung sei noch berichtet, dass es in den 90er Jahren in Hessen eine Initiative von Ackerbaubetrieben gab, mit deutlich reduziertem Stickstoff- und Pestizideinsatz sich eine Perspektive jenseits von negativen Umweltwirkungen aufzubauen („Hessenhöfe“). Von außen waren die Felder dieser Betriebe schon daran zu erkennen, dass es in ihnen keine Fahrgassen gab. Leider hielt sich dieser Ansatz nur einige Jahre. Zu groß war der „Leistungsgedanke“, zu gering auch die öffentliche Unterstützung, zu stark auch die Ablehnung durch die Bioverbände. Onno Poppinga em. Professor für Agrarpolitik