Die Düngeverordnung – mit dem bisherigen Ansatz sind die Probleme nicht zu lösen.

Die Landwirte haben es schon längst gemerkt – die bisherigen Änderungen der Düngeverordnung (DÜV) haben „die Kuh nicht vom Eis geholt“, nicht für die Landwirte, aber erst recht nicht für die Politik. Zwar steht die Einteilung in „rote Gebiete“ immer noch im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen (einschließlich des aktuellen Gerichtsurteils in Mecklenburg-Vorpommern), es gibt aber viel mehr Baustellen. Leider wird immer noch nicht darüber nachgedacht, wie denn eine DÜV aussehen würde, die Bauern und Bäuerinnen als Unterstützung und nicht als Bedrohung wahrnehmen könnten. Dringend erforderlich sind jetzt zum einen eine Entlastung der vielen Betriebe, deren Art zu wirtschaften das Grundwasser nicht belastet, und zum anderen ein von Grund auf anderer Ansatz, bei dem es zum Eigeninteresse der Landwirte wird, grundwasserschonend zu wirtschaften.

Seit Jahrzehnten sind die Landwirte darauf eingestimmt worden, ihr Düngeverhalten als Rechenaufgabe anzusehen: 1. Welchen Ertrag strebe ich an (verballhornt „Bedarf der Pflanze“ genannt)? 2. Wie viele Nährstoffe werden im Boden wirksam werden und welche Düngermengen muss ich zusätzlich ausbringen?

Von Anfang an war ein Problem dabei die grundsätzliche Haltung sowohl bei vielen Landwirten wie auch bei den Pflanzenbauberatern, dass auf jeden Fall möglichst hohe Naturalerträge anzustreben seien. Ob nun in der Hoffnung, dann seien in Ackerbau und Grünlandwirtschaft die höchsten Gewinne zu machen, oder in dem Selbstverständnis, dass hohe Erträge die Visitenkarte dafür seien, dass man ein guter Landwirt ist (an anderer Stelle nennt man das „Produzentenstolz“). Es nimmt deshalb nicht wunder, dass alle bisherigen Düngeverordnungen so „gestrickt“ sind, dass auf jeden Fall weiterhin hohe Erträge möglich sein sollen. Woran man das erkennen kann? Aktuell erzwingt die Explosion der Preise für Stickstoffdünger, dass man doch wohl über die Düngermenge nachdenken sollte. Und siehe da: Plötzlich sprechen Berater davon, dass eine Verminderung der Menge an Stickstoffdünger um zehn, 20 oder gar 30 Prozent möglich ist, ohne sonderliche Einbußen beim Ertrag befürchten zu müssen (ein Beispiel für die N-Düngung von Zuckerrüben in: „Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben“, 10/2022, S. 40-41).

Aufwand reduzieren

Zu dieser Grundausrichtung in den bisherigen Düngeverordnungen, dass unbedingt hohe Erträge möglich bleiben müssen, passt auch, dass die vielen Betriebe, die andere Zielsetzungen haben (weil sie ökologisch wirtschaften, weil sie Ressourcen schonen wollen, weil sie mehr am Einkommen interessiert sind als am Umsatz), in der DÜV nicht begünstigt werden. Alle müssen die gleichen aufwendigen Bilanzierungsverfahren durchführen, egal, ob ihr Düngeverhalten zu Belastungen führen kann oder eben nicht. Dabei gibt es in der DÜV selber eine Formulierung, die genutzt werden könnte, um Betriebe mit geringem Viehbesatz und geringem Düngemittelzukauf von dem ganzen Bilanzierungsaufwand zu befreien und – vor allem – um das Verursacherprinzip zu beachten! Ich meine damit die Formulierung „grundwasserschonend wirtschaftende Betriebe“, die sich in den Vorgaben zu den „roten Gebieten“ befindet. Sie sagt aus, dass Betriebe, die maximal 160 kg Stickstoff je Hektar ausbringen (davon wiederum max. 80 kg N als N-Mineraldünger), sich von der sonst in den „roten Gebieten“ geltende Verpflichtung, die N-Düngermenge um 20 Prozent zu reduzieren, befreien lassen können.

Die Formulierung „grundwasserschonend wirtschaftende Betriebe“ sollte nun von der Politik sinnvollerweise in der Weise verallgemeinert werden, dass alle Betriebe, die „grundwasserschonend wirtschaften“, von den Pflichten zur Nährstoffbilanzierung befreit werden. Die Überprüfung könnte sehr einfach erfolgen: zum einen über das Viehregister, zum anderen über die Angaben zum Zukauf von Düngemittel in der Buchführung.

Zudem wäre es naheliegend, „grundwasserschonend wirtschaftende Landwirtschaft“ zu einem eigenständigen Fördertatbestand in den „Öko -Regelungen“ zu machen. So würde man nicht nur die Bauern und Bäuerinnen fördern, die jetzt schon grundwasserschonend wirtschaften. Man würde zugleich einen Anreiz für weitere Betriebe setzen, in Zukunft auch ihre Äcker und ihr Grünland grundwasserschonend zu bewirtschaften.

Bilanzierung, aber richtig

Die seit mindestens drei Jahrzehnten vorliegenden Belege für Überdüngung, für Auswaschung in Grund- und Oberflächenwasser, für Ammoniak- und Lachgasverluste an die Atmosphäre, für unerwünschte Konzentrationen von NPN und Rohproteinen in Lebens- wie in Futtermitteln sollten aber auch Anlass sein, mal zu fragen, ob der Gedanke, Düngung als Bilanzierungsverfahren zu begreifen, die Vorgänge wirklich in genügender Genauigkeit zu erfassen vermag. Vor allem ist dieser Ansatz immer gleichbedeutend mit einer Kontrolle von außen, es wird in den Betrieb „hineinregiert“. Viel, viel besser wäre es doch, wenn die Vermeidung von Düngerüberschüssen sich aus dem Eigeninteresse der Landwirte entwickeln würde. Die Praxis zeigt schon längst, wie das gehen könnte; man kann es bei Braugerste, Brauweizen und Zuckerrüben studieren.

Fangen wir mit den Zuckerrüben an: Bis Anfang der 90er Jahre gehörten Zuckerrüben zu den Kulturen, die besonders intensiv gedüngt wurden, um hohe Erträge und Erlöse zu erzielen. Da hohe Mengen an N-Dünger in Verbindung mit starker N-Mobilisierung im Boden aber zu hohen NPN-Verbindungen in der Rübe führten und da das für die technischen Verfahren zur Zuckergewinnung höchst nachteilig war, setzte die Zuckerindustrie ein anderes Vergütungssystem (und ein anderes Verfahren zur Bodenuntersuchung) durch. Bezahlt wurde (und wird) nicht mehr nach dt Rübe, sondern nach Zuckergehalt! Die Folge: Wenn heute von Überdüngung die Rede ist, dann nicht mehr von Zuckerrüben. Trotzdem blieb die Rübe (bis zur Abschaffung des Quotensystems) für die Landwirtschaft eine Kultur mit hohem Gewinnbeitrag.

Bei Braugerste ist es ganz ähnlich: Gerste kann nur als höherpreisige Braugerste vermarktet werden, wenn der Rohproteingehalt im Korn unter zehn Prozent liegt, weil NPN im Gerstenkorn den Mälz- und Brauprozess stört.

Die vom Anbauumfang her bei weitem wichtigste Getreideart in Deutschland ist seit langem der Weizen. Weil es lange Jahre so war, dass Qualitätsweizen höhere Erlöse erzielte als Futterweizen, und weil Qualitätsweizen hohe Rohproteingehalte aufweisen musste, gibt es gerade zu Weizen intensive N-Gaben. Die Vorgaben für Rohprotein-Gehalte verraten sofort, warum das so ist: B-Weizen 11,5 bis 12 Prozent; A-Weizen 13 Prozent; E-Weizen 14 bis 14,5 Prozent Rohprotein.

Nun gibt es schon lange Bemühungen vom Bundessortenamt, von der Pflanzenzucht, von der Backwarenindustrie und (sogar) von Agrarverwaltungen, vom Kriterium Rohproteingehalt wegzukommen. Im Gegensatz zu früheren Einschätzungen hat sich nämlich gezeigt, dass nicht der Rohproteingehalt entscheidend für die Backqualität ist. Viel wichtiger für die Teigeigenschaften sind die Kleberqualität und sonstige sortenspezifische Parameter. Da der Erfassungshandel an dem für ihn sehr einfachen Kriterium Rohproteingehalt aber festhält, kommt es hier nicht zu einer Lösung aus der Branche selber heraus.

Besonders vor dem Hintergrund der in Bezug auf Auswaschung besonders problematischen Spätdüngung ist deshalb hier politisches Handeln erforderlich. Über eine „Getreidegüteverordnung“ wäre sicherzustellen, dass der Handel bei Überschreitung eines bestimmten Rohproteinwertes (von beispielsweise11 bis 12 Prozent bei Weizen) Abschläge beim Auszahlungspreis vornehmen muss. Bei Gerste, Roggen, Triticale und Körnermais wären ähnliche Regeln zu entwickeln.

Eine flächenmäßig und für den Grundwasserschutz wichtige Kultur ist auch der Raps. Der Ansatz für eine auf den Grundwasserschutz zielende Verminderung der N-Düngung könnte hier darin bestehen, deutlich stärker als bisher nach dem Ölgehalt zu bezahlen. Verbreitet ist bisher die Bezahlung nach „Ölmühlenbedingung“. Dabei wird von einem Ölgehalt von 40 Prozent als Basis ausgegangen; für jedes Prozent höheren Ölgehalt gibt es 1,5 Prozent Aufschlag auf den Preis (bei Abweichung nach unten analog). Der Zusammenhang mit der N-Düngung besteht darin, dass eine Reduzierung der N-Düngung mit einer Zunahme des Öl-Gehalts einhergeht.

Ertrag ist nicht alles

Den Ansatz, durch Vorgabe von Obergrenzen bei den Rohproteingehalten oder andere N-haltige Bestandteile im Erntegut die Stickstoffdüngung im Eigeninteresse der Landwirte zu vermindern, könnte man auf alle Erzeugnisse ausdehnen, die über Märkte verkauft werden. Bei der Düngung von Grünland und von Mais zur Silagegewinnung ist nach anderen indirekten Möglichkeiten zu suchen. Ich bitte alle AbLer hier mitzudenken, damit grundwasserschonende Landwirtschaft nicht mehr von außen aufgezwungen wird, sondern zum eigenen Interesse der Landwirte selber wird.

 

30.03.2022
Von: Onno Poppinga, em. Prof. für Agrarpolitik der Universität Kassel

Beim Getreide nicht nur aufs Protein schauen