Aus Sicht des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM) muss die massive bundesweite Protestbewegung der Bauern über alle Sektoren hinweg ernst genommen werden und in einem radikalen Politikwechsel münden. Die Diskussionen und der Widerstand der Bäuerinnen und Bauern, die sich aktuell am Agrarpaket, immer mehr Auflagen und dem Gefühl mangelnder Wertschätzung für die Landwirte entzünden, sind nach Ansicht des BDM Systemprobleme, die sich nicht mit Geld aus öffentlichen Töpfen und einem „Weiter so wie bisher“ lösen lassen.
„Systemprobleme erfordern ein strukturelles Handeln. Wir haben lange genug davor gewarnt, dass es so nicht weitergehen kann und dass der politisch verfolgte Weg einer weltweiten Wettbewerbsfähigkeit der Ernährungsindustrie mit immer günstigeren Lebensmitteln in eine Sackgasse führt. Die Ernährungsindustrie kassiert die Exporterfolge, und während der Verbraucher immerhin noch von günstigen Lebensmitteln profitiert, bleibt die Landwirtschaft in einem Teufelskreis aus Preis- und Kostendruck, daraus folgendem Effizienz- und Intensivierungsdruck, negativen Folgen für Mensch, Tier und Umwelt, daraus resultierenden Auflagen und damit wieder steigenden Kosten sitzen. Seit Jahren treten wir als BDM im Dialog mit der Gesellschaft und der Politik dafür ein, dass die Marktrahmenbedingungen geändert werden müssen“, erklärt BDM-Vorsitzender Stefan Mann.
Laut BDM erleben wir aktuell eine Diskussion, die sich ganz häufig um wechselseitige Schuldzuweisungen dreht, wer für die Misere der Landwirte verantwortlich ist: der Handel, die NGOs, einzelne Parteien oder Politiker, die Verbände etc. „Und von allen Seiten wird gerne die Schuld auf den ominösen Verbraucher geschoben, der einfach nicht mehr zahlen will als er muss. Wer sich nur mit der Frage der Schuld beschäftigt, wird irgendwann zu dem Schluss kommen, dass alle irgendwie ihren Teil dazu beitragen, weil es hier eben um Systemprobleme geht. Aber was haben wir von der Schuldfrage? Damit allein kommen wir der Lösung doch nicht wirklich näher“, so Mann.
Die Fragestellung müsse vielmehr lauten, wer den größten Hebel in der Hand hat, um eine Situation aufzulösen, in der gesellschaftliche Ansprüche und landwirtschaftliche Erfordernisse immer weiter auseinanderdriften. Und das ist nach Ansicht des BDM nun einmal die Politik, die den Rahmen vorgibt, in dem sich alle Marktteilnehmer bewegen müssen. „Die Wucht der bäuerlichen Proteste sollte allen endlich vor Augen führen, dass es jetzt Zeit ist, die Agrarmarktpolitik umzusteuern, damit sich die Landwirte ein Mehr an Tierwohl, Umwelt- und Klimaschutz leisten können. Wir brauchen (Markt-)Erlöse für unsere Produkte, die es uns ermöglichen, unsere Betriebe wirtschaftlich nachhaltig weiterzuentwickeln und mit denen wir die notwendigen Veränderungen in Bezug auf Umwelt-, Klima-, Naturschutz und Tierwohlstandards leisten können. Es ist nicht realistisch, das mit öffentlichen Geldern dauerhaft und erfolgreich im Ergebnis zu finanzieren“, erklärt der BDM-Vorsitzende abschließend.
Nach Ansicht des BDM müssen dafür drei wesentliche Aufgaben in Angriff genommen werden, die der BDM auch in seiner BDM-Sektorstrategie 2030 für den Milchmarkt beschreibt:
- Die Weiterentwicklung und Neuausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik GAP 2020 in Verbindung mit der Gemeinsamen Marktordnung GMO: Um Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern, müssen die Zielvorgaben für die Landwirtschaft mindestens auf europäischer Ebene einheitlich definiert sein. Die Ausrichtung der europäischen Agrarpolitik auf weltweite Wettbewerbsfähigkeit über Billigpreise muss überdacht werden.
- Ein effizientes Krisenmanagement, mit dem Marktkrisen mit immensen Wertschöpfungs- und Substanzverlusten für die landwirtschaftlichen Betriebe effizient begegnet werden kann: Nur Agrarmärkte, die einigermaßen ausgeglichen sind, lassen mindestens kostendeckende Preise zu – eine absolute Grundvoraussetzung für eine tiergerechte, umwelt- und klimafreundliche Landwirtschaft. Wenn Kosten über den Markt nicht gedeckt werden können, wird die Landwirtschaft an ihre Leistungsgrenzen getrieben mit negativen Folgen für Mensch, Tier und Umwelt.
- Eine deutliche Verbesserung der Marktstellung der Landwirte: Es gilt auf EU-Ebene eine Branchenorganisation für jeden landwirtschaftlichen Sektor als eigenständige Branche anzuerkennen, also z.B. eine Branchenorganisation Milchviehhaltung. Bisher ist das nicht möglich, da immer mindestens zwei Akteure der Wertschöpfungskette Teilnehmer einer nach EU-Recht zulässigen Branchenorganisation sein müssen. Angesichts der Übermacht von wenigen Oligopolen auf Handels- und Industrieseite und einer immer stärker konzentrierten verarbeitenden Industrie müssen die Landwirte für jeden Sektor eine zentrale Plattform haben, die ihre Marktposition stärkt.