Nils Tolle hat sich in seiner Masterarbeit mit eben dieser Frage beschäftigt. Er entwickelte ein Modell für die Planung einzelbetrieblicher Maßnahmen zur Anpassung an die Folgen der Klimakrise. Dieses Modell testet er aktuell am Beispiel des elterlichen Betriebs und stellte im Rahmen der Veranstaltung am 6. September 2021 seine bisherigen Erkenntnisse vor. Während der bäuerliche Klimaaustausch bisher nur online stattfand, gab es am Tag darauf zusätzlich die Möglichkeit, sich vor Ort im nordhessischen Fürstenwald die ersten Umsetzungen seiner Pläne auf dem Hof Tolle anzuschauen.
Beginnend mit dem theoretischen Ansatz als einer Verbindung von landwirtschaftlicher BWL und speziellen Anpassungsmodellen, warf er die vielleicht zentrale Frage auf, die sich Bäuerinnen und Bauern im Zusammenhang mit dem Klimawandel stellen: „Woran muss ich mich eigentlich anpassen?“
Unstrittig ist, dass sich die mittlere Temperatur durch den Treibhauseffekt insgesamt erhöht und dadurch Wetter-Extreme häufiger werden. Für Deutschland ist unter anderem davon auszugehen, dass sich die jährlichen Niederschläge tendenziell eher in den Winter verschieben und im Sommer öfter als bisher längere Trockenphasen auftreten können.
Die Problematik ist jedoch, dass das Klimasystem sehr komplex ist und eben keine hundertprozentigen Prognosen möglich sind. Außerdem wirkt sich die Klimakrise je nach Region, Jahr und Standort sehr unterschiedlich aus, wodurch eine „Standard-Anpassung“ nicht möglich ist. Auch die unterschiedlichen Erfahrungen der Anwesenden bestätigten dies. Einige äußerten ihre Beobachtung, dass sich mit dem Wetter kaum noch planen ließe.
Doch auch wenn die Gefahr einer Fehlanpassung durchaus gegeben ist – gar nicht zu handeln ist mit Sicherheit eine schlechte Option.
Was tun, wenn ich nicht wissen kann, ob im nächsten Jahr wieder Dürre ist oder es doch ein feucht-kalter Sommer wird?
Darauf gibt es – wie fast immer in der Landwirtschaft – keine pauschale Antwort. Daher betont Nils Tolle die Bedeutung guter Beratung und Schulung in diesem Bereich, damit Bäuer:innen sich betriebsindividuell auf die kommenden Krisen einstellen könnten und besser vorbereitet seien – so gut es eben geht. In seinem Modell unterscheidet Nils Tolle zwischen kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen. Wichtig sind auch die wirtschaftliche Situation des Betriebes, die Ziele der Betriebsleiter:innen und viele Faktoren mehr.
Anhand des familiären Betriebs, der im Nebenerwerb geführt wird, beschrieb Nils Tolle einige geplante und teilweise auch bereits umgesetzte Maßnahmen. Kurzfristig umsetzbar seien Dank entsprechend verfügbarer Landtechnik einfache Fruchtfolgeumstellungen. Dazu gehört ein erhöhter Leguminosenanteil, möglicherweise sogar schon bald Kichererbsen. Sie tragen zur Diversifizierung bei und verringern so das Risiko von totalen Ernteausfällen. Ebenfalls mit dem Ziel der Risikostreuung hat Nils Tolle begonnen, Gemüsebau auf einer kleinen, intensiv bewirtschafteten Fläche zu betreiben („Market Gardening“). Bewässert werde das Gemüse durch die eigene Regenwasserzisterne, die schon beim Bau der Hofstelle mitgeplant wurde. Zwei Freunde bauen diesen neuen Arbeitsbereich mit eigener Vermarktung auf und es muss sich zeigen, ob dies auch wirtschaftlich zur Stabilisierung des Betriebs beitragen wird. Aufgrund der sehr schweren Böden und ihrer Lage im Regenschatten eines Mittelgebirges, sei bei manchen Flächen die langfristige Ackerfähigkeit nicht sicher. Daher stelle die Umwandlung in Dauergrünland zur Aufstockung der Mutterkuhhaltung hier eine mögliche Anpassungsstrategie dar – besonders, da für das Fleisch bereits eine eigene Direktvermarktung bestehe. Bei der Beweidung experimentiert Nils Tolle aktuell mit dem aus Trockenregionen bekannten Ansatz des „mob grazing“, auch holistisches Weidemanagement genannt. Dadurch soll Humus aufgebaut und so unter anderem die Wasserhaltekapazität des Grünlands gesteigert werden. Perspektivisch prüft die Familie die Anlage von Agroforststreifen zur Beschattung der Rinder und für einen zusätzlichen Biomasse/Ernte-Ertrag, beispielsweise zur energetischen Verwertung. Da solch langfristige Maßnahmen wie das Pflanzen von Bäumen nicht von heute auf morgen umsetzbar seien, sei es lohnend, sich hier frühzeitig Gedanken zu machen.
Für die Anwendung des Modells betonte Nils Tolle, dass hierbei nicht nur das Klimasystem als Faktor in der betrieblichen Planung zu berücksichtigen sei. Ebenso spielen auch die gesellschaftlich-politischen Bedingungen, Situationen auf den Märkten, Förderungsmöglichkeiten und nicht zuletzt die persönlichen Ressourcen an Arbeitskraft und Motivationen eine wichtige Rolle. Und wie in jedem Planungsprozess sei die Überprüfbarkeit und das Auswerten der Maßnahmen ein wesentlicher Schritt, um auch nachsteuern zu können. Angemerkt wurde hier, dass all diese Planung viel Zeit brauche – Zeit, die im betrieblichen Ablauf ohnehin knapp sei und sonst auf Kosten der eigenen Regeneration ginge. Klimaanpassung brauche also auch eine ehrliche Auseinandersetzung mit der jeweiligen Arbeitsbelastung und dem was ein Mensch zu leisten im Stande ist, bzw. leisten möchte.
Etwas mulmige Stimmung kam auf, als es um die sogenannten „worst case“-Szenarien ging. Solche Szenarien mit mehreren Grad globalem Temperaturanstieg und einer sich selbst beschleunigenden Klimaerwärmung. Sollte es soweit kommen, ist unklar, ob die Landwirtschaft wie wir sie kennen, dann überhaupt noch möglich wäre. Damit dieses Szenario nicht Realität wird, sei es notwendig neben den gebotenen Anpassungsstrategien die Umsetzung von Klimaschutz im Sinne des 1,5 Grad Ziels aus dem Pariser Klimaabkommen politisch immer wieder einzufordern. Weil jeder Hof zählt, zählt auch jedes Zehntel Grad.
Aus diesem Grund setzt sich die AbL mit vielen Verbündeten, u.a. im Klimastreik-Bündnis, für Klimagerechtigkeit ein und fordert zahlreiche politische Maßnahmen für wirksamen Klimaschutz in den
12 Kernforderungen zur Bundestagswahl.
Der Mittschnitt des bäuerlichen Klimaaustausches wird bald auf dem
YouTube-Kanal der AbL zu sehen sein. Die Videos von vorherigen Veranstaltungen sind
hier bereits zu finden.