Wo sind die Daten?
Das Auge des Herrn sollte das Füttern und die Datenhoheit im Blick behalten
Irgendjemand hat sich die Mühe gemacht und gezählt: Fast 300 Mal taucht der Begriff Digitalisierung im aktuellen Koalitionsvertrag auf. Da geht also offenbar was, scheint von übergeordnetem öffentlichem Interesse. Ausgerechnet die Landwirtschaft, sonst eher ein Lebens- und Wirtschaftsbereich, der besonders von außen als etwas hinterwäldlerisch betrachtet wird, ist in dem Thema ganz vorne. Stolz wird immer gerne vermerkt, dass die Landwirtschaft längst digitalisierter sei als die sonst gerne am tollsten und innovativsten daherkommende Autoindustrie: sowohl in der Tierhaltung mit Fütterungs-, Lüftungstechnik und dem sich immer weiter etablierenden Melkroboter als auch beim Ackerbau mit seinen Möglichkeiten der teilflächenspezifischen Bewirtschaftung durch Boden-, Wetter- und Anbaudaten. Konnte man in den Anfängen der landwirtschaftlichen Digitalisierung nur eine Vielzahl von Daten an jedem einzelnen neuen Technikelement sammeln, die man dann selbst auswerten musste, so werden diese heute längst automatisch miteinander verknüpft. Zudem ist die Technik immer genauer selbst in der Lage zu filtern und zu analysieren, was sie ermittelt. Das Bild, welches Daten von einem Betrieb zeichnen, wird immer genauer. Umso wichtiger ist, dass der Betriebsinhaber darüber bestimmen können müsste, wer das Bild zu sehen bekommt. Facebook hat gerade vorgemacht, wie es eigentlich nicht laufen sollte. 50 Mio. Nutzerprofile waren einer Firma zugänglich, die diese mit ausgewählten Informationen bespielte, die Mutmaßungen reichen bis hin zur Beeinflussung von Wahlen und Weltpolitik.
Entlang der Wertschöpfungsketten
„Im Bereich des Datenschutzes bewegen wir uns in der Landwirtschaft auf einem ganz niedrigen Niveau“, sagt Bernd Voß, AbL-Milchbauer aus Schleswig-Holstein und Landtagsabgeordneter für die Grünen. Wer kontrolliere schon, ob nicht vom eigenen Trecker oder gar von dem des Lohnunternehmers, der einem den Ackerbau mache, die gesammelten Daten direkt an irgendwelche Firmen der Agrarszene weiterflössen, fragt er rhetorisch. Viele Firmen sind inzwischen so breit aufgestellt, dass sie entlang ganzer Wertschöpfungsketten agieren können. Prominentestes Beispiel ist da sicherlich aktuell die Elefantenhochzeit von Bayer und Monsanto, die bei beiden in den vergangenen Jahren aufgebaute bzw. zugekaufte Digitalsparten verheiratet. Dadurch lassen sich Klima-, Standort-, Bewirtschaftungsdaten zusammenbringen mit Saatgut, Mineraldünger und Pestiziden aus einem Haus. Die oft geäußerte Hoffnung, dass Digitalisierung zu nachhaltigeren Landwirtschaftssystemen führe, wird sich wohl kaum bewahrheiten, wenn Konzerne, die damit Geld verdienen Produktionsmittel zu verkaufen, aufgrund der von ihnen erlangten Datenhoheit die Anbauplanung übernehmen. „Wir brauchen unabhängige Systeme“, mahnt Bernd Voß. Datenschutz und Datenrechte müssten vor allem politisch abgesichert werden.
Bäuerlicher Sinn
Franz Häusler, AbL-Vorstand in Baden-Württemberg und Milchbauer, sagt, es erschrecke ihn, wie unkritisch sich besonders junge Berufskollegen geradezu berauschten an den digitalen Verheißungen, die verbreitet würden. Sein Eindruck ist, da werde allzu bereitwillig so etwas wie der „sechste bäuerliche Sinn“ preisgegeben. „Das Auge des Herrn füttert das Vieh“ heiße eine Bauernweisheit nicht umsonst, so Häussler. Bäuerliches Erfahrungswissen, ausgebaut über Jahre, sei ein zentraler wirtschaftlicher Erfolgsfaktor. Auch Bernd Voß warnt davor, sich nur noch auf den Blick auf den Acker durch das Smartphone zu verlassen, technische Analysen müssten immer wieder mit der Realität vor Ort abgeglichen werden und auch in Zukunft abgleichbar bleiben. „Es darf nicht sein, dass die Technik diktiert.“ Und es dürfe auch nicht sein, dass behördliche Kontrolle sich ausschließlich auf Technik berufe. Dabei gehe es, so Voß, nicht um Technikverweigerung, sondern um einen realistischeren Umgang mit einem Hype. „Digitalisierung macht Landwirtschaft nicht per se besser oder nachhaltiger“, sagt er. Häusler verweist darauf, dass sich der Arbeitsplatz des Bauern gravierend verändere. Zwar entbinde beispielsweise der Melkroboter von der täglichen Routine des Melkens, verlagere Tätigkeiten aus dem Stall vor den Computer, reduziere aber auch die wichtige, sonst fast automatisch stattfindende Zeit der Tierbeobachtung.
Gut hinsehen
Gerade Tierbeobachtung ist ein Aspekt, von dem beispielsweise Berufsschullehrer und Berater beklagen, dass sie heutzutage auf Betrieben und gerade bei der jüngeren Generation eher zu kurz komme. Besonders in der artgerechten Tierhaltung ist sie allerdings essentiell. „Die Rolle des Menschen bei der Steuerung hoch automatisierter Agrartechnik ist zwiespältig“, so schrieb schon vor ein paar Jahren das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). „Einerseits wird er zum passiven Anlagenüberwacher degradiert, andererseits richten sich an ihn hohe Erwartungen, wenn kritische Situationen oder Störfälle auftreten.“ Das Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft (KTBL) konstatiert allerdings auch Befreiung von monotonen Routinetätigkeiten zu Gunsten einer hohen Flexibilisierung und eines viel stärkeren Bedarfs, die eigenen Fähigkeiten immer wieder an neue Erkenntnisse anzupassen, sich weiterzubilden. Das könnte, so das KTBL, auch zu Überforderung und Frustration bis hin zur inneren Kündigung führen. Insgesamt werde die Digitalisierung den Strukturwandel weiter forcieren, sagen KTBL und die deutsche Landwirtschaftsgesellschaft (DLG) übereinstimmend. Die Gefahr, dass bei Größenwachstum noch mehr der erfahrene Blick für die Besonderheiten eines Standorts verloren gehe, sei nicht von der Hand zu weisen. Und noch etwas ärgert Franz Häusler: Die teure Technik sammle zum Teil auch ungewollt Daten, so seine Befürchtung angesichts überall auf neuen Maschinen vorinstallierter Features, und lande später als, wenn überhaupt, nur aufwendig zu recycelnder Elektroschrott auf den Müllhalden der Dritten Welt. Die Firmen wollten in erster Linie ihre Produkte verkaufen, die Bauern müssten hinterfragen, ob sie ihnen auch nützten, resümiert Bernd Voß. Am Ende ist Landwirtschaft ein generationenübergreifendes Projekt und die Halbwertzeit elektronisch generierter Daten vielleicht doch kürzer und weniger einprägsam als der Blick und das Fingerspitzengefühl echter Menschen.