Strukturwandel ganz anders

Der Hof von Ada Fischer liegt fast direkt am Meer. Nur ein Winter- und ein Sommerdeich und das dazwischenliegende Deichvorland trennen sie von der Nordsee und dem Wattenmeer. Das ist in Niedersachsen seit 1986 als Nationalpark geschützt. Seit 1992 ist das Wattenmeer UNESCO-Biosphärenreservat und seit 2009 auch Weltkulturerbe. Den Hof von Ada Fischer gibt es schon viel länger. Als Bioland-Hof wirtschaftet sie seit über 30 Jahren im Einklang mit der Natur und in der Tradition der bäuerlichen Kultur, die sich hier an der Grenze von Meer und Land über Jahrhunderte entwickelt hat. Die Gezeiten, das ständige Kommen und Gehen des Meeres, sind Teil des Alltags genauso wie die mehrmals im Jahr vorkommenden besonders hohen Fluten, die Teile der Weiden für Stunden und Tage mit salzigem Meerwasser überspülen. Vor allem im Winter mit seinen heftigen Stürmen kommt es zu hohen Fluten, vor denen das massive Bauwerk des Winterdeichs die Siedlungen schützt. Um die Wiese zwischen Deich und Meer im Sommer nutzen zu können, haben die Bauern vor über hundert Jahren einen niedrigeren Sommerdeich angelegt. Dieser hält die Sommerhochwasser zurück und schützt so die Weiden vor Versalzung und vor allem die Weidetiere vor dem Ertrinken. Leben überall Egal wohin man geht, es gibt keinen Naturraum, der nicht von Pflanzen und Tieren besiedelt worden ist. Auch in den widrigsten Lebensräumen findet man Leben. Das gilt auch für die Region zwischen Land und Meer, die vor dem Eingreifen des Menschen durch den Bau von Deichen immer wieder vom Salzwasser überspült wurde. Auf den so entstandenen Salzwiesen herrschen ganz eigene Lebensbedingungen. Der Sommerdeich, als bäuerliche Kulturleistung, reduziert den Einfluss des Meeres. Mit der Anerkennung als Biosphärenreservat wurden von staatlicher Seite die Prioritäten in der Bewirtschaftung dieser Küstenregion verschoben. Da, wo Bäuerinnen und Bauern über viele Jahrhunderte versuchten, dem Meer Flächen abzuringen, um „sicheres“ Land für Beweidung und zum Teil auch für Ackerbau zu erlangen, sollen jetzt Lebensräume für die ursprünglich hier vorkommenden Pflanzen und Tiere zurückerobert werden. Strukturwandel Angesiedelt ist die Verwaltung, Betreuung und Entwicklung des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer beim Umweltministerium. Mit Stolz und voller Begeisterung berichtet der für die Gebietsbetreuung im Landkreis und der Stadt Cuxhaven verantwortliche Peter Bartz von den Entwicklungen der vergangenen zehn Jahre. „Damals waren hier die meisten Flächen in Privatbesitz“, so Bartz, „jetzt gibt es außer dem Land nur noch drei Besitzer.“ Eine der drei ist Ada Fischer, die im Deichvorland sowohl eigene Flächen als auch Pachtflächen mit ihrer Angusherde bewirtschaftet. „Auch mir hat man einen Kaufvertrag angeboten.“ Und gleichzeitig deutlich gemacht, dass es, wenn sie nicht verkaufe, schwierig sei, ihren Pachtvertrag zu verlängern. Ganz anders schildert Bartz das Vorgehen der Nationalparkverwaltung. „Die 15 ha Eigentums- und Pachtfläche haben wir aus der Planung genommen“, so Bartz, „niemals haben wir eine private Fläche angefasst oder verändert.“ Trotzdem ist der Strukturwandel natürlich auch hier vorangeschritten und vielleicht durch die Kaufangebote sogar noch beschleunigt worden. Salzwiesen entwickeln Ein Ziel des Nationalparks ist es, den besonderen Lebensraum der Salzwiesen wieder zu entwickeln. Durch den Sommerdeich hat der Einfluss des Meerwassers auf die Vegetation abgenommen. Nach und nach soll daher in dem fast 1.000 ha umfassenden Planungsgebiet der Sommerdeich geöffnet werden. Im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens 2007, in dem auch die Belange des Küstenschutzes berücksichtigt wurden, erfolgte ein Weideverbot für Holstein-Friesian-Rinder, weil diese von den kargen Salzwiesen nicht ausreichend ernährt werden könnten. Bartz entwickelte daraufhin in der Kooperation mit verschiedenen Landwirten ein Bewirtschaftungskonzept, in dessen Mittelpunkt die vom Aussterben bedrohte Rasse Deutsches Schwarzbuntes Niederungsrind steht. Neun Betriebe habe er inzwischen gefunden, die von ihren eigenen Höfen aus die Pachtflächen des Nationalparks bewirtschaften. Für Bartz sind das viele positive Ansätze: Salzwiesen entwickeln, Niederungsrind erhalten und Landwirten Perspektiven eröffnen. Auch die Vermarktung sei gesichert. Es gebe einen Abnahmevertrag für Ochsen über zehn Jahre. Sieben Euro pro Kilo Schlachtgewicht würden für die dreijährigen Ochsen gezahlt, deren Fleisch dann zu Produkten einer „Edelmarke“ verarbeitet werden soll. Ohnmacht und Kulturverlust Für Ada Fischer ist die bäuerliche ökologische Landwirtschaft hingegen auch ein schützenswertes Gut. Und dazu gehört die Freiheit in der Entscheidung, im Handeln. „Ich bin ja experimentierfreudig“, sagt die Bäuerin, „aber ich will es mir nicht vorschreiben lassen.“ Und das bezieht sich auch auf ihre Angusherde. Mit der Nationalparkverwaltung ist in der Region ein enorm finanzstarker Akteur entstanden. Ein Wachstum in der Fläche ist seitdem schon aus finanziellen Gründen nicht mehr möglich. Die Ausgleichsmittel von der Erweiterung des Bremer Seehafens und der Weservertiefung geben der Nationalparkverwaltung enormen wirtschaftlichen Spielraum, dem ein einzelner landwirtschaftlicher Betrieb wenig entgegenzusetzen vermag. Der Naturschutz beeinflusst damit ganz wesentlich und großflächig die Agrar- und Sozialstruktur. Ob es gelingt, Bäuerinnen und Bauern in diesen Strukturen nicht bloß als Landschaftsgärtner „anzustellen“, bleibt spannend.
06.08.2020
Von: mn

Und hinter dem Deich, das Meer.