Mit Tierschutz punkten, ihn versilbern oder vergolden?

Unterschiedliche Initiativen wollen mehr Tierschutz im Stall und auch noch einiges andere mehr

Das Bild von der Sau, die mit großem Hallo durchs Dorf getrieben wird, stellt sich ein, setzt man sich derzeit mit dem Thema Tierschutz auseinander. Und das nicht nur, weil es doch maßgeblich um Schweine geht, wenn von allen Seiten derzeit wortgewaltig Verbesserungen in der Nutztierhaltung eingefordert werden. Sogar der Bauernverband will nun ein Tierwohlkonzept entwickeln, offenbar hat er gemerkt, dass ihm inzwischen niemand mehr glaubt, dass doch in allen deutschen Ställen immer alles prima ist. Offensive ist da immer gut, schließlich müssen sich auch wesentlich glaubwürdigere Vertreter in Sachen Tierschutz derzeit vorwerfen lassen, zu wenig konkret zu sein. So ergeht es gerade dem Konzept einer Arbeitsgruppe aus der Tierschutzorganisation Pro Vieh, den Schlacht- und Fleischvermarktungsunternehmen Tönnjes, Thönes Natur und Böseler Goldschmaus sowie dem Handelskonzern Rewe. Punkte sammeln Die Idee ist ein Punktesystem, mit dem bestimmte tierschutzrelevante Haltungsmerkmale im Stall belegt werden. Die Bauern und Bäuerinnen, die an dem Zertifizierungsprozess teilnehmen, können diese Punkte sammeln und werden – so der Plan – direkt dafür aus einem Fonds mit Extrazahlungen belohnt. Der Fonds soll sich, so die Pro Vieh Vorstellung, auch aus höheren Preisen für alle Fleischprodukte an der Theke speisen. Je mehr Punkte, sprich je mehr positive Aspekte unter dem Gesichtspunkt einer artgerechten Tierhaltung im Stall, desto mehr finanzieller Aufschlag auf den üblichen Schweinepreis. Stefan Johnigk von ProVieh, einer der Motoren dieser Tierschutz-Initiative, sieht darin die „Chance auf einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess in den Betrieben“. Man entlaste Betriebe sofort finanziell, anstatt sie in Vorleistung gehen zu lassen für ein etwaiges Label, dessen Preisaufschlag erst am Markt erwirtschaftet werden müsse. In seiner Vorstellung spielt eine große Rolle, dass qualifizierte Zertifizierer sehr genau in der jeweiligen Stallsituation erfassen, wie es dem Tier geht. Nicht nur gesundheitlich, sondern auch von den Möglichkeiten her, sein arteigenes Verhalten auszuleben, auch wenn die Stalleinrichtung nicht der Optimalzustand ist. Und die Frage, für welche Kriterien am Ende Punkte zu holen sind, ist noch sehr offen. Kritiker erheben den Vorwurf, das Konzept diene nur der Verhinderung echter Verbesserungen in Sachen Tierschutz, zumal von der Initiative angedacht ist, den administrativen Apparat des QS-Systems zu nutzen. Dem haftet aber sowieso schon ein negativer Weichspülergeschmack an. Die konkrete Kritik, dass gerade die Rewe nur Interesse an dem Tierschutz nach Punkten habe, um das Tierschutz-Label des Tierschutzbunds zu verhindern, steht im Raum. Zumal bislang nicht klar ist, ob und wie die Tierschutz-Mehrleistung auf dem Endprodukt ausgelobt wird. Ein, wenn nicht der Aspekt, der für die Handelskonzerne normalerweise im Vordergrund einer Verbesserungsinitiative steht. Politisch verstehen Aber auch das Label des Tierschutzbunds muss sich Kritik gefallen lassen. Lange war unkonkret, welche Standards für die beiden geplanten Siegel – Premium oder Gold und Einstieg oder Silber – definitiv gelten sollen. Auch da aber ab November die ersten 20 Schweineställe und die Wiesenhof Privathof Geflügelställe für die Silberstufe zertifiziert werden und ab Januar 2013 die ersten Produkte in den Regalen liegen sollen, gibt es nun Konkretisierungen. Bestandsobergrenzen nahe der BImSch-Grenze, 3.000 Schweine, 60.000 Masthühnchen, ein Verbot des Schwänzekupierens mit zweijähriger Übergangsfrist und eine Umstellung auf eine gentechnikfreie Fütterung in drei Jahren sind Hürden, die für Betriebe durchaus überspringbar sind. Aber das ist ja auch gewollt beim Silberstandard: Er soll möglichst vielen konventionellen Schweinehaltern die Möglichkeit geben, am Programm zu partizipieren. Der Tierschutzbund könne sich nicht darauf zurückziehen, nur ein Premiumprogramm wie Neuland zu unterstützen, so Präsident Thomas Schröder, man könne die Millionen nicht so gehaltener Schweine nicht ignorieren. „Man muss das auch politisch verstehen, wir wollen mit der Einstiegsstufe auch Druck auf den Gesetzgeber machen, zeigen, es geht, damit das vielleicht irgendwann der Standard wird.“ Zeigen, dass es geht, auch unabhängig von der Betriebsgröße. „Ein wissenschaftlicher Zusammenhang zwischen Bestandsgröße und artgerechter Tierhaltung ist nicht so einfach herzustellen“, so Schröder, trotzdem habe man Beschränkungen gemacht, damit einem da nicht „später etwas ins Kreuz falle.“ In der Premiumstufe gibt es eine Beschränkung auf maximal 950 Schweine. „Eine Verpflichtung für die Betriebe, von der Einstiegsstufe zum Premium weiter zu gehen, krieg ich nicht in die Kriterien“, bekennt Schröder, wenn auch dieser betriebliche Entwicklungsweg seine Hoffnung ist. Bernd Kuhn, der innerhalb eines Forschungsprojekts die ersten 20 Silberbetriebe berät, ist da abgeklärter: „Silber ist nicht der Weg zu Gold.“ Der Silberstandard ist das, was ein konventioneller Betrieb maximal machen kann ohne bauliches und unter Umständen damit auch finanzielles Tabularasa, so sieht er das. Das war noch anders, als die meisten Neulandbetriebe umgestellt haben, da gab es noch mehr alte Ställe, weniger perforierte Böden, Möglichkeiten, Ausläufe anzubauen... Außerdem waren die Bauern Idealisten, die zwar auch Geld verdienen wollten, aber eine größere Bereitschaft hatten, erst mal nur in eine gute Idee zu investieren. Und die vielleicht auch noch näher an ihren Schweinen waren. Für Kuhn ist ein zentrales Kriterium, ob artgerechte Schweinehaltung funktioniert oder nicht, die Frage, „wie viel die Bauern im Stall sehen“. Seiner Meinung nach ist es, nach Jahren technischer Optimierung der Tiere auf ein vorgegebenes System, immer weniger. Blaue Augen Stefan Johnigk will mit seinem Punktesytem die belohnen, die genauer hingucken und bereit sind, sich zu entwickeln. Bernd Kuhn glaubt, dass nur ein Gesamtsystem funktionieren kann. Das tut auch Thomas Schröder, wenngleich er lobt, dass auch beim Punktekonzept der Tierschutz in die Breite geht und gleich Geld beim Bauern landen soll. Denn ihm wie auch allen Anderen ist auch klar, dass das Interesse der Vermarkter und des Handels nicht in erster Linie das Tierwohl, sondern das eigene Portmonee ist. Schlachtkonzern und Tierschutzlabel-Kooperationspartner Vion lässt verlauten, dass man einen Markt sehe, den es zu erschließen gelte, über Konkurrent Tönnjes wird kolportiert, ihm wäre es egal, wenn weniger Fleisch gekauft würde, Hauptsache das, was noch gekauft werde, ist von ihm. Und die Rewe sieht sich seit Anbeginn ihres Nachhaltigkeitskonzepts mit dem nicht ganz von der Hand zu weisenden Vorwurfs konfrontiert, ihr Pro Planet Label diene in erster Linie ihr selbst. Tierschutzpräsident Thomas Schröder bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: „Das sind alles keine fröhlichen Tierschützer und wir werden uns noch das eine oder andere blaue Auge holen.“
07.11.2012
Von: unabhängige Bauernstimme, cs