MISEREOR-Studie räumt mit zahlreichen (Vor-)Urteilen über kleinbäuerliche Betriebe in Afrika auf

Trotz des sichtbaren volkswirtschaftlichen Beitrags von kleinbäuerlichen Familienbetrieben setzen viele afrikanische Regierungen in immer größerem Ausmaß auf einen ländlichen Strukturwandel mittels großflächiger agrarindustrieller Betriebe über kapitalkräftige Investoren. Dieser wird teilweise auch von der deutschen Bundesregierung bzw. von staatlichen Banken wie der KfW gefördert. Aber: Bringen großflächige Landnahmen, die gerade in vielen Teilen Afrikas stattfinden, um großflächige Betriebe in Produktion zu bringen, aus Entwicklungsperspektive wirklich den versprochenen Mehrwert? Wird die Ertragslücke geschlossen, Hunger verringert? Können Regionen sich entwickeln? Um diese Fragen zu beantworten hat MISEREOR in einer Studie einen systematischen Vergleich von kleinbäuerlichen Familienbetrieben mit großflächigen agrarindustriellen Betrieben in Sub-Sahara Afrika vorgenommen – mit aufschlussreichen Ergebnissen, die mit zahlreichen gängigen (Vor-)Urteilen aufräumen. Die Studie vergleicht betriebswirtschaftliche Leistungen wie Ertrag und Einkommen sowie die sozialen Folgen von Investitionen in Land (insbesondere von Large Scale Land Acquisitions, LSLA) und was diese für die betroffene Bevölkerung in Bezug auf ihre Existenzsicherung, die ländliche Ökonomie sowie Landrechte bedeutet. Sie kommt dabei zu bemerkenswerten Ergebnissen: Ökonomische Indikatoren
- Umsetzung der Landkäufe
: Nur etwa die Hälfte der abgeschlossenen Landkäufe sind heute produktive Betriebe. Lediglich auf 11 Prozent der Fläche dieser Landkäufe hat die landwirtschaftliche Produktion begonnen. Die meisten Fehlschläge beruhen auf fehlenden Informationen zum Produktionspotenzial, Grenzkonflikten mit angrenzenden Kleinbauern oder anderen agrarindustriellen Betrieben, Schwierigkeiten beim Import von Betriebsmitteln (Pestiziden, Dünger und Maschinen) und der Unsicherheit über die langfristige Gültigkeit des Landkaufs. Welchen Anteil Bodenspekulationen als Ursache für die geringe Inwertsetzung haben, ist bislang nicht bekannt.
- Lebensmittelproduktion
: Ein Großteil der Produktion auf großflächigen Betrieben dient dem Export von Agrarrohstoffen. Mit dem Wechsel von kleinbäuerlichen Systemen hin zur industriellen Landwirtschaft ist häufig ein effektiver Rückgang der Lebensmittelproduktion in der Region verbunden. Die Behauptung, großflächige Landnahmen mit ebensolchen Strukturen würden generell zur Verbesserung der Lebensmittelversorgung beitragen, ist daher falsch.
- Produktivität
: Kleinbauern erzielen in der Regel hohe Erträge pro Hektar. Das liegt an der sehr arbeitsintensiven Produktion und der Diversifizierung der Kulturen. Im Gegensatz dazu erreichen Großbetriebe eine höhere Kapital- und Arbeitseffizienz bei gleichzeitig geringeren Hektarerträgen. Kleinbauernbetriebe weisen zudem eine hohe technische Effizienz auf – wenn alle Inputfaktoren berücksichtigt werden.
- Erträge
: Das gängige Argument, LSLA-Betriebe könnten dazu beitragen, die Ertragslücke zu schließen, wird durch die Studie nicht untermauert. Die verfügbaren Belege stützen also nicht die Annahme, dass LSLA-Betriebe generell höhere Erträge pro Fläche erzielen als kleinbäuerliche Betriebe – obwohl sie meist höhere Mengen an externen Betriebsmitteln einsetzen. Einige Studien haben sogar gezeigt, dass größere Betriebe unter den gleichen agro-ökologischen Bedingungen im Allgemeinen eine geringere Produktivität pro Hektar erzielen als kleinere Betriebe. Soziale Indikatoren
- Zugang zu Land
: Es ist die lokale Bevölkerung, die besonders stark unter den Landnahmen leidet. Sie verliert ihre landwirtschaftlichen Flächen. Ihre Kleinbauern haben wenig Möglichkeit, sich gegen diese Landnahmen zur Wehr zu setzen. Ihre rechtliche Situation und Sicherheit sind häufig ungeklärt bzw. unzureichend. Land, das ursprünglich dem Gewohnheitsrecht nach oder in Form von Gemeinschaftsflächen (Commons) organisiert ist und bewirtschaftet wird, geht der ländlichen Bevölkerung häufig dauerhaft verloren. Der Verlust von Land – und damit der landwirtschaftlichen Produktionsgrundlagen – hat schwerwiegende negative Folgen: Ihre Nahrungsmittelsicherheit und ihre ökonomischen Existenzen sind dadurch stark gefährdet. Denn die Nahrungsmittelunsicherheit ist im Umfeld von großflächigen Betrieben deutlich höher als in kleinbäuerlich geprägten Strukturen.
- Arbeitskräftebedarf
: Abhängig von der Kultur haben großflächige Betriebe einen Bedarf an Arbeitskräften (AK), der zwischen 0,1 und 1 AK pro Hektar liegt. Im Gegensatz dazu weisen Kleinbauern konsistent einen Arbeitskräftebedarf von 1 AK pro Hektar auf – dies geht bis zu 3,77 AK pro Hektar, abhängig von den Anbaukulturen. Außerdem ist unter kleinbäuerlichen Bedingungen das Risiko sehr niedrig, erwerbslos zu werden. Das bedeutet, dass die kleinbäuerliche Landwirtschaft mehr Menschen pro Hektar beschäftigt als die großflächige und damit für mehr Ernährungssicherheit und ökonomische Auskommen sorgt.
- Freisetzung von Arbeitskräften: Auf großflächigen Betrieben werden bis zu 74 % der Menschen nicht mehr als Arbeitskräfte benötigt und verlieren damit ihre Lebensgrundlage.
- Schaffung von Arbeitsplätzen
: Durch die Schaffung der neuen großflächigen Betriebe entstehen neue Arbeitsplätze. Dies ist jedoch mehrheitlich saisonale Beschäftigung (zwischen 2 und 5 Monaten). Und bedingt durch die niedrige Bezahlung reichen diese saisonalen Anstellungen oft nicht aus, um die Verluste aus den Erträgen der kleinbäuerlichen Betriebe zu kompensieren und ihre Familien zu ernähren. Das Fazit von MISEREOR
Das schlechte Image kleinbäuerlicher Betriebe bei Afrikas Regierungen und zu großen Teilen auch in der deutschen Entwicklungspolitik hält demnach einer wissenschaftlichen Betrachtung nicht stand. Es ist unstrittig, dass die Landwirtschaft in Afrika Unterstützung, Investitionen, Beratung und verlässliche Rahmenbedingen benötigt, vor allem was den Zugang zu Land, Saatgut und Wasser angeht. Aber Investitionen in industrialisierte Landwirtschaft sind dabei sicherlich nicht der richtige Weg – das hat die Studie eindrucksvoll belegt.
03.07.2021
Von: FebL/PM