Die Milchbauern und -bäuerinnen in Deutschland bekommen die Kosten für die Erzeugung der Milch weiterhin nicht über den Auszahlungspreis bei den Molkereien gedeckt. Das teilt das European Milk Board (EMB) angesichts der jetzt vorliegenden vierteljährlichen Kostenzahlen für Deutschland mit. Eine „fatale Rolle“ für die Situation der Milchviehbetriebe spielt nach Ansicht des Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft Niedersachsen (AbL), Ottmar Ilchmann, der Bauernverband.
Im April 2019 waren die Produktionskosten laut EMB nur zu 78% gedeckt. Die Kosten der Erzeugung betrugen im April 2019 44,33 ct/kg, dem gegenüber erhielten die MilcherzeugerInnen für ihr Produkt allerdings nur 34,56 ct/kg. Den ErzeugerInnen fehlen somit 9,77 ct/kg zur Kostendeckung.
Johannes Pfaller, Vorstandsmitglied des EMB und Milcherzeuger aus Süddeutschland kommentiert: „Die anhaltende Spreizung der Schere zwischen den Kosten der Milcherzeugung und den gezahlten Milcherzeugerpreisen zeigt: Die Molkereiwirtschaft lässt uns Milchviehhalter an der ausgestreckten Hand zappeln, zahlen uns immer gerade nur so viel, dass ihnen der Milchfluss erhalten, für uns aber nichts übrig bleibt.“ Eine Ursache dafür ist das vom Bundeskartellamt in der Sektoruntersuchung Milch festgestellte Marktmachtgefälle zu Ungunsten der Milchviehhalter. „Insgesamt erfolgt die Preisfindung derzeit nicht in einem funktionsfähigen Wettbewerbs- und Verhandlungsumfeld“, so das Bundeskartellamt. „Daran müssen wir schleunigst etwas ändern, dazu ist auch die Ausrichtung der EU-Agrarmarkt-Politik auf billige Rohstoffe für die Molkerei- und Ernährungsindustrie zu beenden“, so Pfaller.
Um dieser „chronischen Unterdeckung“ entgegenzuwirken, schlägt das European Milk Board die gesetzliche Verankerung eines Kriseninstruments vor. Dieses
Marktverantwortungsprogramm (MVP) beobachtet und reagiert auf Marktsignale durch eine Anpassung der Produktion.
Eine „schleichende Milchkrise“ übe Jahre nennt Otmar Ilchmann, AbL-Vorsitzender in Niedersachsen und selbst Milchbauer, die Situation für die Milchbauern und -bäuerinnen. „Immer noch bestreiten Molkereien ihre Expansions- und Weltmarktprojekte auf dem Rücken und auf Kosten der Bäuerinnen und Bauern. Gerade große, stark gewachsene Betriebe erreichen nicht die von klugen Beratern errechneten Deckungsbeiträge und rutschen in die Schulden- und Arbeitsfalle. Schlimmer ist, dass kleinere, an sich gut aufgestellte Betriebe, die nicht auf den Wachstumshype hereingefallen sind, ebenfalls Substanz verlieren und vor allem auch den Mut weiterzumachen“, schreibt Ilchmann in der
Unabhängigen Bauernstimme. In einer „fatalen Rolle“ sieht er dabei den Bauernverband, der durch Durchhalteparolen, Einfordern von staatlicher Hilfe wie bei der Dürre, die Vorgabe absurd niedriger Preisziele von 33 Cent und nicht zuletzt als einzige landwirtschaftliche Vertretung im Lenkungsgremium der Milchsektorstrategie „jede wirksame Verbesserung der Marktposition der Milcherzeuger“ verhindere.
Als Lösungsansatz nennt Ilchmann neben einem Kriseninstrument „die Stärkung der Position der Milcherzeuger durch eine Branchenstrategie, die den Namen wirklich verdient“, wobei „vor allem die Verpflichtung zu Verträgen mit Mengen-, Preis- und Qualitätsvereinbarungen vor der Milchlieferung zu nennen“ sind. Profitieren könnten gerade bäuerliche Betriebe aber auch von „Wertschöpfungsstrategien“ wie zum Beispiel Weidemilch oder Heumilch.
Die vom EMB veröffentlichten Zahlen entstammen der vierteljährlichen deutschen Kostenstudie des Büros für Agrarsoziologie und Landwirtschaft (BAL). Mit den Berechnungen vom April 2019 wurde die Ermittlung der Milcherzeugungskosten turnusmäßig auf die neuesten INLB-Daten von 2017 umgestellt.