„Maßstäbe unverhältnismäßig und nicht zielführend“

AbL-Bundesvorsitzende Elisabeth Fresen über die Niederungen des bürokratischen Alltags.

 

Unabhängige Bauernstimme: Du hast immer wieder davon berichtet, dass du mit so viel Bürokratie konfrontiert bist. Ist denn dein Betrieb so kompliziert?

Elisabeth Fresen: Wir halten etwa 100 Mutterkühe in ganzjähriger Außenhaltung, bewirtschaften 140 ha Grünland und 15 ha Acker und haben eine Direktvermarktung mit Selbstbedienungshofladen und Vertrieb an Gastronomie. Der Betrieb ist Bioland-zertifiziert und viele unserer Flächen stehen unter Naturschutz oder wir nehmen an Agrarumweltmaßnahmen teil. Ich würde nicht sagen, dass unser Hof kompliziert ist. Auf eine gewisse Art ist er sogar sehr einfach: Das Einzige, was wir zukaufen, sind Mineralfutter und Saatgut. Wir verkaufen Fleisch, Absetzer aus der Mutterkuhhaltung und ab und zu Feldfrüchte.

Und wo steckt dann der bürokratische Aufwand?

Machen wir’s mal konkret: An einem Sommertag lasse ich früh morgens eine Mutterkuhherde auf eine neue Weide, damit die Kühe wieder frisches Gras haben. Ich öffne anschließend den Hofladen, nehme eine Gemüselieferung des Nachbarhofs an und anschließend steige ich auf den Trecker und mähe Gras, weil die nächsten Tage Heuwetter angesagt ist. Solche abwechslungsreichen, produktiven Tage sind für viele Bäuer*innen der Grund, in der Landwirtschaft zu arbeiten. Der Papierkram, der mit einem solchen Tag verbunden ist, ist immens:
Ich trage in mein Weidetagebuch ein, welche Tiere mit welchen Ohrmarken auf welche Fläche umgeweidet wurden. In meine Schlagkartei trage ich ein, wie viele Tiere oder Großvieheinheiten in welchem Zeitraum auf welcher Fläche waren. Wenn auf der Fläche eine Agrarumweltmaßnahme läuft, muss die Beweidung in bestimmten Vordrucken dokumentiert werden. Bei der Öffnung des Hofladens entnehme ich die Einnahmen des Vortages und notiere sie im Kassenbuch, das stets tagesaktuell und auf den Cent genau geführt werden muss. Ich vermerke auf dem Lieferschein des Gemüses vom Nachbarhof, dass der Lieferschein den Bio-Anforderungen genügt. Auch die Preisschilder für das neue Gemüse müssen den Anforderungen entsprechen.
Auch dass ich Gras gemäht habe, trage ich in meine Schlagkartei ein und vermerke auf den Vordrucken bei Agrarumweltmaßnahmen, wie viel Schonfläche, Randstreifen o. ä. ich stehen gelassen habe – tagesaktuell, versteht sich.

Was gibt es denn für Beispiele, die vielleicht auch besonders absurd wirken?

Als ich eine Vor-Ort-Kontrolle der Umsetzung meiner Agrarumweltmaßnahmen hatte, lag auch Monate nach der Abgabe meines Agrarantrags der Datenbegleitschein dem Prüfdienst nicht vor. Mitte Mai hatte ich den Antrag mit Hilfe der Landwirtschaftskammer digital abgeschickt. Den Datenbegleitschein konnte ich ebenfalls digital ausfüllen, ausdrucken und unterschreiben. Dieser muss in Papierform eingereicht werden. Die örtliche Bezirksstelle der Landwirtschaftskammer sendet ihn per Fax an die Bewilligungsstelle. Dort werden die Faxe dann wieder digitalisiert und stehen dann in der digitalen Akte dem Prüfdienst zur Verfügung. Doch Mitte September waren noch nicht alle Faxe digitalisiert, sondern stapelten sich wohl in der Bewilligungsstelle. So war der Datenbegleitschein weder in meiner digitalen, noch in meiner Papierakte.
Und noch etwas ist absurd: Bei der Vor-Ort-Kontrolle sollte ich das digitale Protokoll unterschreiben. Eine Kopie davon kann man als Landwirt*in aber nicht direkt erhalten, sondern muss teilweise Monate darauf warten. Diese Prüfprotokolle sind aber die Grundlage für Sanktionen und müssen unterschrieben werden. Ich kenne keinen anderen Bereich, wo das so gehandhabt wird.

Bei betrieblichen Entscheidungen schwingt immer auch der Papierkram mit ...

Ja, als mir kurzerhand unser Schlachter einen Termin abgesagt hatte, musste ich sehr kurzfristig einen Ersatz finden. Mithilfe von Kolleg*innen bekam ich innerhalb von wenigen Stunden einen Schlachttermin in einem anderen Betrieb. Ein Wunder. Der Papierkram, der damit einherging, zog sich über einen ganzen Arbeitstag: Warenflusskonzept, Benachrichtigung von Bio-Kontrollstelle, LAVES und Bioland via Formblätter. Die Bürokratie lähmt häufig meine eigentliche Arbeit.
Eine Zeit lang hatten wir 45 Hühner im Mobilstall. Um auch während der Vogelgrippe Eier verkaufen zu können, haben wir für diesen kleinen Bestand eine Packstelle angemeldet. Die Kontrollkosten für die Genehmigung des kleinen Mobilstalls sowie der zwei Quadratmeter großen Packstelle beliefen sich auf mehrere Hundert Euro. Ich habe die Hühner nun wieder abgeschafft, weil durch die teuren Kontrollen die Produktionskosten für ein Ei ins Unermessliche gestiegen sind.

Eigentlich denkt man immer, Bauern und Bäuerinnen arbeiten im Stall und auf dem Trecker. Wie viel Zeit verbringst du im Büro?

Das ist schwer zu sagen, vielleicht ein Drittel oder die Hälfte meiner Arbeitszeit? Nicht jede Büroarbeit ist gleich Bürokratie, einiges ist auch Kund*innenbetreuung, Social Media und Rechnungen schreiben und bezahlen. Es gibt Tage, an denen bin ich nur im Büro. Zum Glück erledigen meine Eltern viele der Arbeiten draußen. Ich bedaure das aber sehr. Für den Naturschutz wäre ja viel mehr gewonnen, wenn ich draußen eine Hecke pflanzen oder pflegen würde, als wenn ich auf zig Papieren niederschreibe, wann ich wo gemäht habe. Häufig werden Maßstäbe an unsere Betriebe angelegt, die sehr unverhältnismäßig und nicht zielführend sind.

Kontrolliert wird inzwischen auch per Satellit und KI, wie fühlt sich das an?

Das ist sehr unwirklich und unvorstellbar. Auf den Bildern kann man ja jede einzelne Kuh sehen. Bei ganzjähriger Außenhaltung bedeutet das, dass jeder unserer Arbeitsschritte aufgezeichnet wird. Da könnte man fast meinen, im Büro wäre ich dann ja immerhin unbeobachtet. Aber nein. Jeder Klick im Portal zur Anmeldung unserer Tiere wird gespeichert.

In deinem Hofladen setzt du auf Vertrauen. Die Tür steht allen offen, bezahlt wird per Vertrauenskasse. Ist das nicht der Gegensatz zu dem, wie Behörden mit Landwirtschaft umgehen?

Das ist ein interessanter Gedanke, der mir noch gar nicht gekommen ist. Für mich ist der Selbstbedienungshofladen eine arbeitswirtschaftliche Entscheidung. Es ist schlichtweg unrealistisch, dass ich während der Öffnungszeiten durchgehend im Hofladen bin. Ich denke, dieser Aspekt ist auch auf die behördlichen Kontrollen übertragbar. Wir sollten die Verhältnismäßigkeit überprüfen: Wie viel Dokumentations- und Kontrollaufwand ist für welche Effekte vertretbar?
Und noch etwas könnte verbessert werden: Die Schnittstellen der einzelnen Programme, sodass ich ein und dieselbe Information nur noch einmal und nicht mehrfach dokumentieren muss.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

20.12.2023
Von: cs

Foto: Bartholdy