Landwirtschaft – Zukunft in einer Welt der Veränderung und Unsicherheit

Auszüge aus dem Vortrag von Wolfgang Reimer auf dem 40- jährigen Jubiläum der AbL- NRW

Mit seinem Grundsatzvortrag auf dem Jubiläum der AbL- NRW analysierte Wolfgang Reimer, Vorsitzender der Agrarsozialen Gesellschaft und früherer Amtschef (Staatsekretär) in Baden Württemberg und Ex- Regierungspräsident von Stuttgart, die Situation und mögliche Entwicklungsbedingungen der Landwirtschaft. Im Folgenden bringen wir Auszüge aus seinen Ausführungen.

Drei Strategien für die Landwirtschaft

„Die Landwirtschaft hat auch für die Zukunft die 3 grundsätzlichen Strategien. Erstens: Sie kann die Kostenführerschaft anstreben. Zweitens: Sie kann die Qualitätsführerschaft anstreben. Und drittens: Sie kann Erwerbskombinationen als Lösung betreiben. Die

Kostenführerschaft hatten wir einige Jahre im Veredlungssektor – allerdings unter Mithilfe der Schlachtbranche, die unter niedrigeren Standards als in Dänemark oder den Niederlanden arbeiten konnte. Bei der Milchproduktion war es schwieriger, weil selbst die DLG Spitzenbetriebe nur bei guten Weltmarktpreisen mithalten konnten.

Inzwischen sind die meisten, auch die Interessengemeinschaft Schweinehalter Norddeutschland (ISN) zu der Erkenntnis gekommen, dass wir uns mit Schweinen auf den Weltmärkten nicht werden behaupten können.

Bei Getreide wird es spannend, wenn die Ukraine in die EU aufgenommen wird. Dort sind die Kosten nochmals niedriger als in der Magdeburger Börde und die Ertragssicherheit ist höher. Gibt es dann noch die Säule 1 Prämie? Und ohne EU Prämien gab es viele Jahre, in denen die Ackerbaubetriebe nicht viel verdient haben.

Wir müssen nach einem anderen Modell suchen. Aber auch bei der Qualitätsführerschaft ist nicht alles Gold, was glänzt. Das haben wir im letzten Jahr gemerkt. Bei Bio haben wir nach wie vor eine Flaute, Premium beim Fleisch ist begrenzt. Auch die viel beworbene Marke Regional ist eingebrochen.

Einkommen durch erneuerbare Energien

Erwerbskombinationen gehen immer. Positiv ist, dass wir auf den Betrieben noch viele Möglichkeiten haben. Traditionell ist dort in der Vergangenheit viel gelaufen mit Tourismus, Freizeit, Pferde, auch Direktvermarktung oder Dienstleistungen.

Der wichtigste Bereich für die Zukunft wird der Energiebereich sein. Also entweder Flächenverpachtung oder eigener Einstieg in die Photovoltaik. Viele Landwirten erleben zurzeit, dass man Vertragsangebote bekommt für Verpachtung von Flächen für die Photovoltaik von teilweise 3000 €/ ha pro Jahr auf 30 Jahre. Ähnliches gilt für die Windkraft. Ich habe in Baden Württemberg einige Schweinehalter erlebt, die ihr Geld nicht mehr in einen neuen Schweinestall, sondern in Energie investiert haben. Wenn auch noch die Steuerfrage bei Hofübergabe geklärt wird, wird man sich damit sehr genau auseinandersetzen müssen. Die Energieschiene wird für die klassische Landwirtschaft den Boden verteuern. Weder mit Zuckerrüben noch mit intensiver Tierhaltung wird man mithalten können. 3000 €/ha bekommt man mit keiner Fruchtfolge und keinem Tierbesatz hin. Gerade weil die Planungssicherheit bei Investitionen in die Tierhaltung so gering ist und keiner weiß, wie die Bedingungen in 10 Jahren sein werden, ist damit zu rechnen, dass solche Erwerbskombinationen zunehmen werden.

Agrarpolitik: Brüsseler Gelder abgeschmolzen und/ oder bürokratisiert

In der Agrarpolitik erleben wir gerade, dass die Prämie der EU in der Säule 1 zunehmend bürokratisiert und mit zusätzlichen Auflagen versehen wird. Außerdem wurde sie etwas abgeschmolzen, so dass sie zunehmend uninteressanter wird.

Immer öfter lösen wir gesellschaftliche Auseinandersetzungen über die Bürokratie. Die Idee der EU Kommission war eigentlich, die 1. Säule Prämie über zwei Jahrzehnte abzuschmelzen und die zweite Säule auszubauen, um mit den aufwachsenden Geldern die gesellschaftlichen Leistungen der Landwirtschaft zu honorieren.

Da diese Strategie von den großen europäischen Bauernverbänden abgelehnt wurde, orientierten sich auch die konservativ geführten Regierungen der Mitgliedsstaaten in Richtung Ablehnung.

Die Reaktion der Kommission war dann, die Prämien in der 1. Säule zu konditionieren (sprich die Prämie an gewisse Umweltanforderungen anzubinden). Dieser Prozess wird bei der nächsten Reform weitergehen und die Einkommenswirkung weiter sinken.

Deshalb müssen wir wieder stärker über Mindestabsicherungen am Markt reden. Die Betriebe sind heute so groß und kapitalintensiv, dass sie längere Krisen und Preissprünge wie vor ein paar Jahren im Milchmarkt nicht mehr überleben werden. So viel Eigenkapitalreserven sind meist nicht vorhanden, um solche Preisstürze zu verkraften. Deshalb muss die Gemeinsame Marktordnung VO 1308/2013 weiter entwickelt werden.

Immerhin hat man vor zwei Jahren mit dem Artikel 210 a gesehen, dass der Marktpreis die gestiegenen Nachhaltigkeitskosten (Tierschutz, Klima, Umwelt usw) nicht ausdrückt und deswegen über die Branche hinweg Absprachen erlaubt, wie diese Kosten abgegolten werden. Nun zur Nachhaltigkeit gehören auch soziale Aspekte, so dass man auch die durchschnittlichen Produktionskosten aufnehmen könnte. Diese Neuregelung könnte auch über den Artikel 148 eingeführt werden.

Eine sowieso schon beschlossene Marktbeobachtungsstelle könnte diese Durchschnittsproduktionskosten berechnen und bei einer deutlichen Unterschreitung durch den Marktpreis eingreifen.

Dabei hat der Eingriff der EU Kommission 2016 durch einen delegierten Rechtsakt auf der Grundlage des Artikel 227 (damals wurden Milchbetriebe mit 14 Cent/kg nicht produzierter bzw. abgelieferter Milch entschädigt) schnell Wirkung gezeigt und die Preise stabilisiert bei einem geringen Mittelaufwand.

Wie geht es weiter mit dem Umbau der Schweineproduktion?

Ich habe eingangs meines Referates mit Absicht sehr ausführlich die Vermögensverteilung und die Einkommenssituation in Deutschland geschildert.

Ein Umbau der Tierhaltung mit hohen Anteilen der Haltungsstufe 3,4 und 5 wird alleine über die Konsumenten nicht zu erreichen sein.

Deshalb war sowohl in dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats des BMEL als auch in der Borchert Kommission davon ausgegangen worden, daß pro Jahr 3-5 Mrd. € aus staatlichen Mitteln (finanziert aus der Erhöhung der MWSt auf Fleisch und Fleischerzeugnisse) kommen müssen.

Die Umsetzung des Gesamtkonzeptes ist vorläufig nicht möglich, weil der FDP Finanzminister Steuererhöhungen (auch wenn es nur um Bereinigungen der MWSt geht) kategorisch ablehnt und auch nur 1 Mrd.€ Haushaltsmittel herausrückt und weil der grüne Agrarminister nicht ausreichend durchsetzungsfähig ist und auch einige Webfehler in der Tierhaltungskennzeichnung und der Investitionsförderung gemacht hat.

So verständlich es ist, dass die Borchert Kommission keine Lust mehr hat, weiterzuarbeiten, so wichtig ist es trotzdem den Plan weiter zu verfolgen.

Die Bundesländer sollten versuchen ihre AFP Programme und die Gelder des europäischen Innovationspartnerschaftsprogramms (EIP) zusammen mit dem Bundesgeld zu bündeln und auf den Umbau der Tierhaltung zu konzentrieren. Das kann man über die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur im Herbst noch realisieren.

Die Länder können ferner über ihre Agrarumweltprogramme, die ja inzwischen um Tierschutz und Klimaschutz erweitert wurden, eine Tierwohlprämie gekoppelt an die Haltungsstufen 3-5 einführen.

In meiner Amtschefzeit in Baden Württemberg haben wir beide Maßnahmenbereiche umgesetzt und noch mit Edeka Südwest gesprochen, die mit den Erzeugern der Stufen 3-5 zehnjährige Verträge mit Preisaufschlagsklauseln vereinbart hat.

Das sollte jetzt auf Bundesebene gemacht werden, denn Aldi und Lidl können auch nicht hinter ihre vollmundige Werbebotschaft zurück!

 

20.09.2023
Von: Wolfgang Reimer

Wolfgang Reimer blickt nach vorn Foto: Schievelbein