„Landwirtschaft neu in Szene setzen!“

Anforderungen an die Agrarpolitik vom CDU-Bundestagsabgeordneten Hans-Georg von der Marwitz

Unabhängige Bauernstimme: Inzwischen herrscht partei- und organisationsübergreifend Einigkeit, dass die GAP zielorientierter werden muss. Wenn es allerdings nationale Möglichkeiten gab, wie die Erhöhung der Umschichtung von der ersten in die zweite Säule oder eine Erhöhung der Förderung der ersten Hektare, scheiterten die Versuche jedes Mal. Wo würden Sie ansetzen, wenn es um Ausgestaltungsfragen in der Agrarpolitik geht?

Hans-Georg von der Marwitz: Aus den Erfahrungen der letzten Reform muss man grundsätzlich feststellen, dass die Novellierung der GAP einer Sisyphusarbeit gleicht. Der Berg kreißte und gebar eine Maus. Allerdings scheint heute, auch über Fraktions- und Landesgrenzen hinweg, die Bereitschaft größer zu sein, mehr Vielfalt und mehr Gestaltung im ländlichen Raum zu fördern. Die Zahlungen der ersten Säule sind öffentliche Gelder, die momentan nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden. Zukünftig muss es mehr Gegenleistungen für die Allgemeinheit geben. Wir müssen stärker das Ohr an der Gesellschaft haben. In diesem Sinne gilt es, Landwirtschaft neu in Szene zu setzen. Schließlich stellt sich die Frage, was die Mittel der ersten Säule bewirkt haben und bewirken. Vor allem haben sie in den Dörfern Ostdeutschlands den negativen strukturellen Veränderungsprozess beschleunigt. Die Mittel wirken sich direkt auf die Liquidität der Betriebe aus und sorgen dafür, dass das Wirtschaften verstärkt mit Blick auf die Subventionen ausgerichtet wird. Eine lähmende oder gar tötende Wirkung auf Innovationen und unternehmerische Marktorientierung. Eigentlich sollten Subventionen nur ein Anschub sein und irgendwann auslaufen. Solange die GAP an ihren jetzigen Strukturen festhält, entfaltet sie eine Klammerkraft an jeden Hektar.

Es wäre aber auch zu einfach gedacht, alles von der ersten in die zweite Säule zu übertragen. Auch zukünftig muss die Landwirtschaft den ersten Zugriff auf die Mittel der zweiten Säule bekommen vor den Kommunen und Verbänden.

Meine Erfahrung ist, dass zu wenige Projekte der ländlichen Entwicklung einen unternehmerischen Charakter aufweisen. Was ist gewonnen, wenn das neue, EU-finanzierte Dorfgemeinschaftshaus der letzten Gastwirtschaft im Ort Konkurrenz macht? Aus meiner Sicht gehört es zu meiner Verantwortung als Landwirt, einen Beitrag zur Gestaltung des dörflichen Lebens zu leisten. Viele Landwirtschaftsunternehmen haben leider den Blick dafür verloren. Da gilt es gegenzusteuern.

Sie haben schon bei der letzten Reform die Kappung der Direktzahlungen gefordert, in Ostdeutschland eine unpopuläre Forderung, die eben immer mit dem Blick auf die ostdeutsche Landwirtschaftsstruktur von der Bundesregierung abgelehnt wurde und wird. Wie entwickelt sich die Struktur in Ostdeutschland?

Die spezielle Vergangenheit und die Nachwirkungen sozialistischer Strukturen haben den Konzentrationsprozess in den neuen Bundesländern zusätzlich beeinflusst. Kapitalgesellschaften und außerlandwirtschaftliche Investoren nutzten diese günstigen Umstände. Das Argument des Berufsstandes „Hektar ist Hektar, egal wer ihn bewirtschaftet“ hat gerade in Ostdeutschland zu Verhältnissen geführt, die nicht mehr akzeptabel sind. In meiner Nachbarschaft habe ich einen Betrieb mit 18.000 Hektar. Das ist die Gemarkung von mindestens 20 Ortschaften. Selbst wenn eine Fruchtfolge im Sinne der guten fachlichen Praxis eingehalten wird, führt so ein Betrieb automatisch zur Verarmung der Biodiversität, aber auch von gesellschaftlichem Leben im ländlichen Raum. Als ortsansässiger Landwirt versuche ich hier so vielfältig wie möglich zu wirtschaften und erwarte das von anderen im gleichen Maß. Daher wäre es ein bedenkenswerter Ansatz, die ersten Hektare mit mehr Geld zu fördern. Damit können die Landwirtschaft und der ländliche Raum konkret etwas gewinnen, denn dadurch werden vor allem kleinere, bäuerlich strukturierte Betriebe als auch Tierhaltungsbetriebe deutlich gestärkt. Es wäre ein Anfang im Hinblick auf eine Umverteilung.

Gerade in Ostdeutschland spielen die Landflucht und das Gefühl, abgehängt zu sein, bei denen, die bleiben, eine erhebliche Rolle in der öffentlichen Wahrnehmung. Wie kann, wie muss auch Agrarpolitik dazu beitragen, dass diese Entwicklungen sich nicht verschärfen?

Landwirtschaft ist heute nicht mehr der Wirtschaftsfaktor Nummer eins im ländlichen Raum. Jedoch spielt sie von jeher eine wichtige gesellschaftliche Rolle. Landwirte in Familienbetrieben bestellen nicht nur den Boden, sie engagieren sich in Vereinen und Kommunalpolitik, gestalten das Zusammenleben und erhalten Arbeitsplätze. Sie denken in Generationen, jeder Einzelne fühlt sich als Glied in einer Kette und bewirtschaftet seinen Standort in diesem Sinne. Dies müssen wir uns vor Augen halten, wenn wir der Anonymisierung der Agrarstrukturen in Ostdeutschland etwas entgegensetzen wollen. Leider geht dieses Verständnis auch unter Landwirten verloren, zu oft zählt nur noch die Größe. Deshalb müssen agrarpolitische Anreize nicht nur in Ostdeutschland geschaffen werden, sich wieder zu engagieren und Menschen in Bewegung zu bringen. Der ländliche Raum muss so ausgestaltet werden, dass dort Familien wieder gerne hinziehen und tätig werden, auch über die Landwirtschaft hinaus. Grundlage dafür ist eine funktionierende Infrastruktur, die nicht nur Straßen, sondern auch Internet, Nahverkehr und Daseinsvorsorge umfasst. Wir brauchen hier einen visionären nationalen Wurf. Andernfalls folgen auch politische Verwerfungen. Wir dürfen es gar nicht erst so weit kommen lassen, dass Leute, die sich abgehängt fühlen, den nächstbesten Radikalen wählen.

Ein weiterer Bereich, in dem Agrarpolitik auch Gesellschaftspolitik ist, ist der Bereich der Tierhaltung. Die Gesellschaft fordert mehr Tierwohl, wie kann ein Umbau gelingen, ohne dass der Strukturwandel weiter angeheizt wird?

Auch das ist ein sehr komplexes Thema. In Sachen Tiergesundheit und artgerechte Haltung ist die Stallgröße irrelevant. Wenn wir aber sagen, es sei gemeinsamer Konsens, dass bestimmte Größenordnungen nicht mehr gewollt sind, dann müssen wir dies auch als Strukturpolitik kennzeichnen und mit entsprechenden Mitteln flankieren. Wir haben eine sehr sensibilisierte Bevölkerung und es gibt vieles an der Tierhaltung, was kritikwürdig ist. Außerdem müssen wir über unser Tun offen und transparent reden, um in der Gesellschaft neues Vertrauen für die Landwirtschaft zu gewinnen. DLG-Präsident Carl-Albrecht Bartmer hat mit seinen zehn Thesen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft auf Fehlentwicklungen hingewiesen, aber auch Vorschläge für Verbesserungen aufgezeigt. Es wird jedoch nicht ausreichen, nur ein bisschen am Baurecht zu drehen und den GV-Schlüssel zu senken. Solche Veränderungen bedürfen langer Vorlaufzeiten, mindestens zehn Jahre, gerade bei Strukturen, die über Jahrzehnte gewachsen sind.

Was raten Sie jungen Leuten, die in die Landwirtschaft einsteigen wollen?

Landwirtschaft ist wunderbar! Macht es und sucht nach Möglichkeiten, unternehmerisch aktiv zu werden. Die Innovationskraft muss wieder stärker in den Mittelpunkt gerückt werden. Ich kenne Beispiele von Neugründungen hier, wo Leute auch mit zehn Hektar sehr erfolgreich sind. Wachsen oder weichen, das was bis jetzt gelehrt wird, was auch mir beigebracht wurde, ist nicht mehr zukunftssicher. Es muss mehr Wert auf Kreativität gelegt werden. Ich sage meinen Lehrlingen und Praktikanten: „Landwirtschaft ist mehr als ein Beruf, es ist Berufung und ihr müsst dafür brennen.“

Vielen Dank für das Gespräch!

Hans-Georg von der Marwitz bewirtschaftet
rund 1.000 Hektar nach den Richtlinien des
ökologischen Landbaus im brandenburgischen
Friedersdorf zum Teil auf den ehemaligen
Flächen seiner Vorfahren, die im
Zuge der Zwangskollektivierung nach
Bayern übersiedelten. Von der Marwitz ist
seit 2009 Bundestagsabgeordneter für die
CDU und tritt auch jetzt wieder als Direktkandidat
im Wahlkreis Märkisch-Oderland/
Barnim II an.

30.08.2017
Von: cs

Hans-Georg von der Marwitz