Krabben gebündelt für mehr Markteinfluss

Wie der Arbeitsalltag von Krabbenfischern und ihre Antwort auf Konzentrationen im Handel aussieht

Dann zieh‘ Dir wenigstens das Ölzeug an!“, ruft mir Friedhelm Müller (44), Kapitän des Krabbenkutters „Merlan“, schmunzelnd aus dem Steuerhaus zu. Es wird langsam hell über dem Wattenmeer zwischen Festland und den Nordseeinseln Baltrum und Juist. Windig ist es und mittlerweile regnet es auch – gerade werden die beiden Netze des Kutters zum zweiten Mal eingeholt. Hin und wieder schwappen die Wellen so an die Bordwand, dass sich ein ordentlicher Schauer über das Deck ergießt. Ich möchte trotzdem raus und mitbekommen, wie der Fang entladen, sortiert und verarbeitet wird - und bekomme seetaugliche Regenklamotten geliehen. Um Mitternacht habe ich Müller und seinen Matrosen Uwe Hoogstraat (21) im Hafen von Greetsiel in Ostfriesland getroffen und bin an Bord des 16 m langen Schiffes gegangen. Mich interessiert der Arbeitsalltag der Fischer, die genauso wie Bauern und Bäuerinnen natürliche Ressourcen nutzen und stark vom Wetter abhängig sind. Neben allen Unterschieden, die einem dennoch in den Kopf kommen, haben die Fischer, bezogen auf die Vermarktung, auch ganz ähnliche Probleme wie in der Landwirtschaft: Der Handel ist stark konzentriert, jeder fischt für sich, zeitweise sind so viele Krabben auf dem Markt, dass die Preise in den Keller rutschen und nicht mehr kostendeckend sind. Solidarisch mit Milchbauern Deshalb haben sich die Krabbenfischer in den letzten Jahren immer wieder mit den Milchbauern solidarisiert und gemeinsam für kostendeckende Preise demonstriert. Als im Frühjahr 2011, zu Beginn der Krabbensaison, in der sonst bis zu acht Euro pro Kilo Krabben gezahlt werden, die Preise unter drei Euro lagen, entschloss sich ein Großteil der Fischer, im Hafen zu bleiben. Die Händler erwarteten nur einen kurzen Streik und griffen verstärkt auf die noch reichlich gefüllten Lager tiefgefrorener Krabben zurück. Doch die Fischer hielten vier Wochen durch, die verfügbare Krabbenmenge sank und die Preise stiegen wieder an. Seit Anfang diesen Jahres haben sich über 60 % der deutschen Krabbenfischer, zu denen auch Müller zählt, in einer Erzeugergemeinschaft zusammengeschlossen, um ihre Fangmengen zu bündeln. Im Falle von sehr hohem Krabbenaufkommen und Niedrigstpreisen wollen sie sich selbst Fangquoten auferlegen, um die angelandeten Mengen zu begrenzen und den Preis hochzuhalten. Alles braucht hier seine Zeit: allein um aus dem Hafen und durch die Schleuse aufs offene Wattenmeer zu kommen vergeht eine Stunde. Das Schleusen findet nur bei Hochwasser statt und so verschiebt sich der Arbeitsbeginn der Fischer den Gezeiten entsprechend täglich um etwa 50 Minuten. Die Krabben halten sich in der Nähe der Sandbänke auf. Im Frühjahr kommen sie aus der Nordsee in die flachen Gewässer des Wattenmeeres, um dort abzulaichen. Bis zum Herbst vergrößert sich die Population, bis die Krustentiere sich zum Winter wieder zurückziehen. Der Krabbenfang ist ein Saisongeschäft von April bis November für die nicht hochseetauglichen Kutter. Deshalb frieren die Händler von den üppigen Fängen im Herbst Vorräte für den Winter ein. Jeder Fischer hat eigene Erfahrungen zu Fanggebieten und eine individuelle Auswahl sogenannter „Striche“ - Strecken, entlang denen er die Netze schleppt. Bis zu zwei Stunden und mehr kann ein solcher „Fischzug“ dauern. In dieser Zeit ist nicht viel mehr zu tun als den Kurs zu halten - Geduld ist gefragt. Friedhelm Müller und Uwe Hoogstraat schnacken per Funk mit Kollegen, surfen im Internet, trinken Kaffee – und ich stelle Fragen und beobachte erst den Sternenhimmel und später andere Fischerboote, Seehunde, Kegelrobben und Möwen. Arbeit mit fließend Wasser Wenn die Netze per Hydraulik und Stahlseilwinden eingeholt werden, beginnt die Aktivität an Deck: Der Fang wird in eine große Wanne geleert: zwischen grau durchscheinenden Krabben laufen Krebse umher und schnappen mit ihren Scheren, dazwischen liegen kleine, schillernde Fische und Seesterne. Gespült mit Meerwasser werden die Tiere über ein Förderband in eine Sortiertrommel befördert. Im Netz wurde durch Vornetze und eine Maschenweite von 2,5 cm „ausgewählt“. Der trotzdem enthaltene zu kleine oder zu große Beifang überlebt die Prozedur nur selten oder in Form der Krebse – und endet somit zwar wieder im Wasser, aber hauptsächlich als Möwenfutter. Die Krabben werden in einem großen Wasserbehälter gekocht. Dann werden sie nochmals gespült und per Hand auf noch enthaltene Torfstückchen, kleine Fische und anderes durchsortiert – eine Arbeit fast wie am Sortierband im Kartoffellager. Über eine Rutsche gelangen die nun durchs Kochen rötlichen Krabben in den Kühlraum unter Deck. 300 bis 800 kg Krabben kommen so pro Tag zusammen und werden im Hafen in Kühl-LKWs umgeladen. Die Erzeugergemeinschaft betreibt in Neuharlingersiel eine eigene Anlage zur Größensortierung der Krabben. Der Fang aus den verschiedenen Häfen wird dort zusammengefasst und erst nach diesem Verarbeitungsschritt an einen Händler abgegeben, der sie zum Pulen, d.h. Entfernen des Chitinpanzers per Hand, nach Marokko fährt. Aufkäufer sind zur Zeit die niederländischen Firmen Heiploeg und Klaas Puul. Gemeinsam Perspektive schaffen „Der Handel ist schon sehr konzentriert – eigentlich alles in der Hand von ein paar holländischen Unternehmen“, erklärt Müller. In Greetsiel gibt es noch einen eigenständigen Händler, dem die Gründung der Erzeugergemeinschaft sehr missfällt. Zuvor hatte er alle Krabben der 26 Fischer des Hafens vermarktet. Über günstige Kredite für Schiffskauf oder -reparatur hatte er viele an sich gebunden und darüber z.B. versucht, auf Müller Druck auszuüben dem Zusammenschluss nicht beizutreten. „Doch das war endlich wieder eine Perspektive – so kann es klappen, wir haben nun eine Möglichkeit Einfluss auf den Markt zu nehmen“, beschreibt Müller die Stimmung. Es gab Zeiten, da hat er überlegt die „Merlan“ zu verkaufen, weil nie genug Geld reinkam. Bisher sind die Preise gut und die Mitglieder der Erzeugergemeinschaft mussten sich noch nicht in einem Ernstfall zur Begrenzung ihrer Fangmengen zusammenraufen. Mitbestimmen sollen dann auch Interessenvertreter für kleine, mittlere und große Kutter – denn entsprechend der Fangkapazitäten und Kostenunterschiede soll auch die Quotierung abgestuft werden. „Es stimmt schon, wir würden die Gesamtmenge dadurch runterdrücken, dass wir uns selbst beschränken, um die Preise aufzufangen – profitieren tun dann alle, auch die, die weiterfischen. Aber so ist das halt – die wird es immer geben und wir anderen sind uns einig, dass das der richtige Weg ist“, fasst der Kapitän der „Merlan“ die Solidarität und gemeinsame Aufbruchstimmung der organisierten Küstenfischer zusammen.
10.10.2013
Von: Christine Weißenberg, unabhängige Bauernstimme