Indien: Wachsender Widerstand gegen EU-Freihandelsabkommen

Ein Gespräch mit einer indischen Bauernvertreterin über das geplante Freihandelskommen mit der EU und die gesellschaftliche Bewegung im Land

Am 10. Dezember hat das Gipfeltreffen zwischen Indien und der EU in Brüssel stattgefunden. Dabei ist das geplante Freihandelsabkommen ein Stück fester gezurrt worden. Auch für Agrarprodukte sollen die Zölle fallen. Kurz vor dem Treffen in der EU mobilisiert sich die Zivilgesellschaft. In einem gemeinsamen offenen Brief (Bauernstimme 12-2010) fordern mehr als 240 Nichtregierungsorganisationen aus Europa und Indien den Stop der laufenden Gespräche. Was in Indien los ist, erzählt Dr. Sagari R Ramdas. Sie ist Direktorin der indischen Nichtregierungsorganisation ANTHRA, die sich mit nachhaltiger Viehhaltung und kleinbäuerlichen Strukturen auseinandersetzt. Bauernstimme: Frau Ramdas, ANTHRA hat den offenen Brief mitgezeichnet. Wie schätzen Sie die zivilgesellschaftliche Bewegung ein? Dr. Sagari R Ramdas: Ich bin der Meinung, nur ein starkes Bündnis zwischen der indischen und europäischen Bewegung kann die Freihandelsgespräche noch in eine andere Richtung lenken. Wir müssen den Druck auf die jeweiligen Abgeordneten aufrecht erhalten und ihnen deutlich zu verstehen geben: Sie können nicht machen was ihnen gefällt. Es steht zu viel auf dem Spiel. Existenzen von Millionen von Bäuerinnen und Bauern würden durch ein Freihandelsabkommen zerstört werden. Sowohl in Indien als auch in der EU. Erklären Sie uns bitte genauer, was auf die Bäuerinnen und Bauern in ihrem Land zukommt. 90 Prozent der Bauern sind marginalisierte Kleinproduzenten. Ihre Existenz hängt ausschließlich an der Landwirtschaft. Ein Freihandelsabkommen, wie es derzeit diskutiert wird, würde ihre Lebensgrundlage mächtig zerrütten. Das zeigt das Beispiel Milch. Im Jahr 2002 senkte Indien die Zölle für Milchprodukte auf Null. Butter und Milchpulver, auch exportsubventioniert, gelangte aus der EU auf unseren Markt und drückte den Milchpreis derart nach unten, dass die Zölle wieder eingesetzt worden sind. Derzeit sind es 30 Prozent. Eine erneute Marktöffnung im Milchbereich hätte also fatale Auswirkungen. In den Handelsgesprächen geht es neben der Öffnung von Märkten auch um Investitionsabkommen, den Zugang zu Rohstoffen und weiteren Themen. Ja, es winken von mehreren Seiten Probleme. Wird der Zugang zu Investitionen gelockert, dann könnte das Landgrabbing noch schneller vorangetrieben werden. Außerdem sind alle Bauern und indigenen Völker Produzenten und Konsumenten zugleich. Sie sind angewiesen auf das sogenannte öffentliche Beschaffungs- und Verteilungssystem für Getreide zur eigenen Versorgung, um die Ernährungssicherheit in den Haushalten zu gewährleisten. Die EU will den Zugang zu diesem öffentlichen Beschaffungssystem. Und zu guter Letzt würden auch die indigenen Völker mit dem Rücken an der Wand stehen, wenn der Zugang zu unseren Rohstoffen liberalisiert wird. Sie leben meist in Wäldern, in denen teilweise eben auch Eisenerz, Granit, Halbedelsteine und vieles mehr zu finden ist. Sie könnten beim Abbau vertrieben werden. Wir arbeiten mit der indigenen Gruppe Adivasi zusammen. Sie werden sich mit Händen und Füßen wehren, denn sie haben viel zu verlieren. Gibt es auch noch weitere Vernetzungen in der Gesellschaft? In Deutschland besteht beispielsweise eine enge Zusammenarbeit zwischen Bauern, Umweltschützern, Tierschützern und Entwicklungsorganisationen. In Indien ist es so, dass unsere großen Bauernverbände oft mit politischen Parteien verbunden sind. Die meisten davon arbeiten mit der Kongresspartei oder der nationalen Partei BJP zusammen und haben sich an den Protesten bisher nicht beteiligt. Bauernorganisationen, die mit den linken Parteien zu tun haben oder unabhängig sind, unterstützen meistens die Protestbewegungen. Gemeinsam mit Entwicklungsorganisationen und einigen Umweltgruppen. Es gibt aber auch Umweltverbände, meist sind es die großen, die nicht in diesen Bewegungen sind. Wie beziehen Sie die Gesellschaft in diese Debatte? Die wichtigsten Zeitungen berichten in Englisch und den heimischen Sprachen über die wachsenden Proteste, unsere kritischen Analysen und den Widerstand gegen das Abkommen zwischen der EU und Indien. So wird eine breitere Gesellschaft involviert.   In früheren Gesprächen der Welthandelsorganisation ist Indien immer eher als Kritiker der Marktöffnung aufgefallen. Wie passt das mit einem Freihandelsabkommen zusammen, in dem wesentlich weitreichendere Abschlüsse geplant sind? Indiens Position ist gespalten. In den WTO-Verhandlungen hat die Politik die Position der Zivilgesellschaft und im Sinne der Bürger eingenommen. Damit sollten Wählerstimmen gesammelt werden. Das hat die Menschen getäuscht. Selbst die Bauern glaubten, dass die Politik hinter ihnen steht. Wie dem auch sei, bei den laufenden Freihandelsgesprächen werden die Gelegenheiten für schmutzige Deals genutzt. Diese Verhandlungen sind für die Öffentlichkeit nur schwer nachzuvollziehen. Die Türen bleiben uns verschlossen. Und die Zivilgesellschaft muss sich sehr anstrengen, um überhaupt an Informationen zu kommen. Das war bei den WTO-Verhandlungen anders. Vielen Dank für das Gespräch 
01.01.2011
Von: Unabhängige Bauernstimme, Berit Thomsen