Heftige Kritik an rein ökonomischer Milchmarktbewertung

Die Milchpreise sinken immer noch weiter, in die von Molkereiinteressen geleiteten Durchhalteparolen von Bauernverband und Milchverarbeitern mischen sich neben den Stimmen der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und dem Bundesverband Deutscher Milchviehhalter mal mehr und mal weniger deutliche Vorschläge aus den Ländern, EU-Nachbarn oder von einzelnen Molkereien zu mengensteuernden Maßnahmen. Anfang Juni ließen eine Reihe an deutschen Agrarfakultäten tätige Agrarökonomen in ihrer gemeinsamen Stellungnahme „Wiedereinführung der Milchquote kein sinnvolles Instrument der Agrarpolitik“ verlauten, sie hielten Mengen begrenzende Maßnahmen, ob politisch oder privatwirtschaftlich organisiert, für „ökonomisch wenig sinnvoll“. Sie plädieren für „eine wettbewerbsorientierte Anpassung, bei der diejenigen Produzenten mit den ungünstigsten Kostenstrukturen aus der Milchproduktion aussteigen“. Beteiligt sind die Professoren/innen Brümmer, Cramon-Taubadel, Mußhoff, Qaim, Spiller, Theuvsen, Odening, Hüttel, Uehleke. Ob dieser unbedingten Marktgläubigkeit ging zwei anderen Agrarwissenschaftlern mit völlig anderer Bewertung der derzeitigen Marktlage, aus jeweils unterschiedlichen Hintergründen, der Hut hoch: „Durchhalteparolen sind weder begründet noch hilfreich“, so der Nutztierwissenschaftler, Professor Dr. Albert Sundrum von der Universität Kassel: „Sie verhindern eine grundlegende Analyse der Hintergründe und die dringend erforderlichen Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, welche diese Entwicklung überhaupt erst hervorgebracht haben.“ Er führt weiter aus: „Angesichts nicht kostendeckender Preise können sich die Betriebe keine Mehraufwendungen für Tier-, Umwelt- und Verbraucherschutz leisten. Schlimmer noch, es liegen eine eklatante Wettbewerbsverzerrung und eine systemimmanente Fehlentwicklung vor, wenn sich Primärerzeuger auf Kosten von Gütern des Gemeinwohles einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. In der aktuellen Situation geht es folglich nicht nur um die bedauernswerte Lage von Milchviehbetrieben und Milchkühen. Es geht auch nicht nur um Ungerechtigkeiten, sondern es geht um Marktversagen im Hinblick auf qualitative und auf das Gemeinwohl ausgerichtete Güter.“ Schon Anfang Juni hatte Professor Dr. Onno Poppinga, ebenfalls Uni Kassel, eine detailierte Gegendarstellung zur agrarökonomischen Sichtweise veröffentlicht. Er rückt die reale Marktsituation ins Blickfeld und weist drauf hin: „Die Verwendung einer marktökonomischen Begrifflichkeit ist bei der Analyse der Beziehungen zwischen Milcherzeugern und Molkereien vom Grundsatz her falsch, weil es sich dabei nicht um Markt - sondern lediglich um Lieferbeziehungen handelt. Alle grundlegende Bedingungen für Märkte sind bei der Beziehung zwischen Milcherzeugern und Molkereien nicht vorhanden: Es stehen sich nicht Anbieter und Nachfrager gegenüber, die über Mengen, Preise und Qualitäten verhandeln und zwischen denen Waren ge- und verkauft werden.“ Poppinga macht an Hand von praktischen Beispielen der Krabbenfischer, der Weinbranche u.a. deutlich: „Auch ist es sachlich falsch, Zusammenschlüsse von Milcherzeugern als „wettbewerbsrechtlich unzulässig“ zu bezeichnen: Das Wettbewerbsrecht ist kein unveränderliches Regelwerk, sondern kann (und wird) an spezifische Marktbedingungen angepasst.“ Sowohl Poppinga als auch Sundrum verweisen auf die Notwendigkeit, sich insgesamt über die gesellschaftlich getragene Milchviehhaltung Gedanken zu machen und Wege zu finden, Produktqualitäten und schonenden Umgang mit Gemeinwohlressourcen am Markt nicht der Kostenminimierung zu unterwerfen. Poppinga zitiert die Agrarökonomen: „'Ganz unabhängig davon, dass es unsinnig ist, Lebensmittel künstlich zu verknappen...' - Gegenfrage: Welchen Sinn soll es denn machen, Lebensmittel zu erzeugen, für die es keinen Markt gibt und wo staatliche Gelder für Lagerhaltung, Liquiditätshilfen u.a.m. aufgebracht werden müssen?“