Eine Frage der Solidarität

Drei Stimmen zur Landwirtschaft als Teil sozialer Zusammenhänge

E

s knistert auf EU-Ebene, weil der belgische Wirtschaftminister Johan Vande Lanotte Anfang April bei EU-Arbeitskommissar László Andor eine Beschwerde gegen Deutschland eingereicht hat. Es geht um wettbewerbsverzerrendes „Sozialdumping“ durch deutsche Fleischverarbeiter. In der Kritik: Ausländische Arbeiter bekommen nur geringe Löhne und sind nicht in die deutsche Sozialversicherung einbezogen. Diese Praxis bekommt zur Zeit auch innerhalb Deutschlands einigen Gegenwind. Gewerkschaften wie die NGG (Nahrung – Genuss – Gaststätten) kreiden die Ungleichbehandlung und Billiglöhne als inländisches Problem der Verdrängung von Arbeitern mit Tariflöhnen an. Aufmerksam auf die „Arbeitsbedingungen zweiter Klasse“ ist auch der katholische Prälat Peter Kossen in der Region Vechta geworden. Er setzt sich vehement für „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“ ein und unterstützt Forderungen nach gesetzlichen Mindestlöhnen: „Es kann nicht sein, dass der wirtschaftliche Wettbewerb zwischen Unternehmen über die Lohnkosten ausgetragen wird!“. Das Beispiel wirkt zunächst fernab von den Forderungen von Bäuerinnen und Bauern nach kostendeckenden Produktpreisen und Einflussmöglichkeiten auf den Markt. Aber es berührt grundsätzliche gesellschaftliche Vorstellungen zur Wertschätzung von Arbeit und zu einem vernünftigen Leben. Menschenwürdiges Minimum „Als Bauer fordere ich faire Preise für meine Produkte, um ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften und tier- sowie umweltgerecht arbeiten zu können“, sagt Ottmar Ilchmann, Milchbauer aus Ostfriesland und Landesvorstand der AbL Niedersachsen, und gibt zu bedenken: „Dann ist es aber nur folgerichtig zu gucken, ob die Menschen angemessene höhere Preise auch bezahlen können.“ Für ein einzigartiges Bündnis aus Gewerkschaften, Sozialverbänden, kirchlichen Einrichtungen, Bäuerinnen und Bauern sowie Umweltschutzorganisationen besteht die grundsätzliche gemeinsame Frage, wie erreichen wir ein menschenwürdiges Leben für alle? Was ist das Existenzminimum um an einer Gesellschaft teilnehmen zu können, die Rücksicht auf natürliche Ressourcen und das soziale Miteinander nimmt – und wie lässt sich das gemeinsam umsetzen? Ilchmann weiß, dass diese Zusammenarbeit für viele seiner Berufskollegen zunächst abwegig erscheint und kennt Stimmen wie diese: „Wir sind Unternehmer – mit Hartz IV Empfängern haben wir nichts gemeinsam“. Doch realistisch betrachtet sind die unternehmerische freie Entscheidungsfähigkeit oder Möglichkeiten Einfluss auf Markt und Preise zu nehmen für LandwirtInnen stark eingeschränkt. Prälat Kossen hat in seiner Region Kontakt zu einem Wirtschaftsprüfer, der dort mindestens 40 Betriebe kennt, die nach außen nicht sichtbar verkauft und sofort zurückgepachtet wurden: „Die haben sich übernommen bei einem neuen Stall oder einer Biogasanlage, die sie auch nur gebaut haben, um mithalten zu können“. Faires Einkommen für faire Preise „Wir wollen eine Abwärtsspirale umkehren, die sich auch auf Bauern und Bäuerinnen auswirkt“, führt Guido Grüner von der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO) aus. Der statistisch berechnete Hartz-IV-Regelsatz für den Bereich Ernährung reicht nach Ergebnissen einer Studie des Dortmunder Forschungsinstituts für Kinderernährung bei ausgewogener Kost nur für den Kauf von Produkten zum niedrigsten verfügbaren Preis. Da einige Arbeitgeber diese nicht ausreichende „Grundsicherung“ zudem als Kombilohn missbrauchen, dient sie mittlerweile auch 1,4 Millionen Erwerbstätigen als Existenzminimum, die ihre niedrigen Gehälter „aufstocken“ müssen. Die somit politisch mitverursachte Nachfrage von Billigpreisprodukten setzt wiederum insgesamt die Produkt- und Erzeugerpreise unter Druck. „Deswegen fordern wir bei gemeinsamen Aktionen und im Bündnis für ein menschenwürdiges Existenzminimum: Faire Preise, faire Löhne, faire Regelsätze“, so Ottmar Ilchmann und Guido Grüner (www.menschenwuerdiges-existenzminimum.org). Sie sind sich bewusst, dass ihr gemeinsames Auftreten häufig für Verwirrung sorgt und schätzen die daraus resultierende Aufmerksamkeit als strategischen Pluspunkt bei öffentlichen Aktionen. Denn beiden ist klar: Um mit ihren Anliegen weiterzukommen, braucht es die Bereitschaft Ungleichgewichte sichtbar zu machen, den gewohnten Fluss der Dinge zu unterbrechen und die gesellschaftliche Auseinandersetzung zu führen. Würde und Gerechtigkeit Dem besonnenen und nichts desto weniger kämpferischen Prälat Kossen gefällt die Ausrichtung des Bündnisses, denn für ihn ist Solidarität wichtigster Bestandteil einer Gesellschaft: „Letztlich ist das immer wieder die Frage, was gehört hier vor Ort, aber auch woanders, zum Existenzminimum. Das muss in jeder Generation neu ausgehandelt oder wenigstens diskutiert werden: Wo sind wir aufgerufen zur Solidarität, wo sind die gemeinschaftlichen Herausforderungen, um die wir uns kümmern müssen, um nichts Wesentliches zu verlieren?“ Kirchen haben nach seiner Ansicht die Aufgabe einen bestimmten Blick auf den Menschen einzufordern: „Die Würde des Menschen, die Würde von Arbeit hat was mit einem Menschenbild zu tun und drückt sich auch in der Bezahlung aus.“ Im Bezug auf ländliche Regionen sieht Kossen eine besondere Notwendigkeit zur Solidarität: „Warum sollten wir sonst auf dem Land Infrastruktur bereit halten? Das kann man nicht nur als Kosten-Nutzen-Relation betrachten.“ Die Landwirtschaft ist für ihn wichtiger Bestandteil ländlicher sozialer Strukturen. Bauern und Bäuerinnen sieht er jedoch in der Gefahr immer unfreier zu werden, wenn sie immer weniger Einfluss auf die Wertschöpfungsketten haben und in einen ruinösen Wachstumswettbewerb eintreten. Die hohen Investitionssummen der Landwirtschaft für große Bauvorhaben sorgen außerdem zunehmend für soziale Verwerfungen auf den Dörfern. An diesem Punkt bestehen für Kossen auch Schnittpunkte zu weiteren Fragen der Gerechtigkeit, die mit weltweiter Verantwortung zur Ermöglichung eines menschenwürdigen Lebens zu tun haben: Kritisch betrachtet er beispielsweise im Bezug auf die Welternährung den hohen Preis massiver Futtermittel- und somit Flächenimporte, um die hiesige Fleischproduktion auf derzeitigem Niveau betreiben zu können. Der im Konflikt mit intensiv betriebener Landwirtschaft stehende Umweltschutz ist dem Prälat ebenfalls ein Anliegen – nicht nur theologisch als Bewahrung von Schöpfung, sondern als Form von gerechtem Umgang mit natürlichen Ressourcen, um sie kommenden Generationen zu erhalten. Für Peter Kossen gehört der Blick auf die Menschen und das Benennen von Ungerechtigkeit zum Kerngeschäft der Kirche. Nicht nur in Bezug auf Kirchenvertreter dürfte wohl sein Grundsatz gelten: „Wenn man die Möglichkeit hat, Unrecht zu benennen und sich für Veränderung einzusetzen, liegt darin auch eine Verantwortung.“
10.05.2013
Von: unabhängige Bauernstimme, cw