Dialognetzwerk zukunftsfähige Landwirtschaft präsentiert erste Handlungsempfehlungen für die Politik

Das Dialognetzwerk zukunftsfähige Landwirtschaft als gemeinsames Netzwerk des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) in Kooperation mit dem Bundesumweltministerium (BUMV) hat nach eigenen Worten einen wichtigen Meilenstein erreicht: Bei seinem zweiten Treffen am 8. und 9. Mai 2023 in Berlin übergaben die rund 50 Mitglieder erste Ergebnisdokumente ihrer Arbeit mit Handlungsempfehlungen an die Politik. In dem Netzwerk besteht die Hoffnung, „dass wir die politischen Entscheidungsprozesse auch mitgestalten werden“, erklärt Bernhard Barkmann, Sprecher einer Arbeitsgruppe im Netzwerk und auch Ottmar Ilchmann, Mitglied im Dialognetzwerk, Milchbauer in Niedersachsen und dortiger AbL-Landesvorsitzender, hofft mit Blick auf die Erfahrungen anderer Kommissionen „auf eine angemessene Berücksichtigung unserer Arbeitsergebnisse“.

Die Mitglieder des Netzwerks haben die Handlungsempfehlungen im Zeitraum Februar bis April 2023 in zwei Arbeitsgruppen erarbeitet. Arbeitsgruppe 1 befasst sich mit dem Themenkomplex „Anwendung von Pflanzenschutzmitteln und Alternativen“. Arbeitsgruppe 2 setzt sich mit Fragestellungen zum Thema „Kreislaufwirtschaft mit standortangepasster Tierhaltung“ auseinander.

„Gemeinsam haben wir die Chance, einen Pakt mit dem Ländlichen Raum für eine nachhaltige und wirtschaftlich tragfähige Transformation der Landwirtschaft zu schließen“, zeigt sich Carsten Stegelmann, Sprecher der Arbeitsgruppe 1, überzeugt. „Wir als Praktiker haben viel Arbeit in die Erstellung der Handlungsempfehlungen gesteckt. Sie bilden eine belastbare Basis, um die Landwirtschaft noch nachhaltiger aufzustellen. Ich hoffe sehr, dass wir die politischen Entscheidungsprozesse auch mitgestalten werden“, ergänzt Bernhard Barkmann, Sprecher der Arbeitsgruppe 2.

Und Ottmar Ilchmann erklärt: „Wir sind alle persönlich und ausdrücklich nicht als Verbandsvertreter:innen berufen. Dennoch bringen wir natürlich alle unsere Erfahrungen und Prägungen mit ein. Infolge der großen Bandbreite sind die Diskussionen durchaus kontrovers und die Einigungsprozesse herausfordernd. Umso wichtiger, dass uns die Erstellung zweier geeinter Papiere zu den wichtigen Themen Pflanzenschutz und Tierhaltung gelungen ist. Wir hoffen, auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen anderer Kommissionen, auf eine angemessene Berücksichtigung unserer Arbeitsergebnisse. Und die Arbeit geht weiter, für das nächste Halbjahr liegen die Schwerpunkte auf den Themen Grünlandnutzung und Wasser in Agrarlandschaften.“

Ergebnisse der Arbeitsgruppe 1 „Anwendung von Pflanzenschutzmitteln und Alternativen“

Die Arbeitsgruppe 1 (AG 1) erstellte ihre Handlungsempfehlungen vor dem Hintergrund folgender Fragestellung: „Wie können wir zusammen mit der bundespolitischen Ebene eine für die Landwirtinnen und Landwirte wirtschaftlich tragfähige Transformation des chemischen Pflanzenschutzes mit dem Ziel der Verbesserung der Biodiversität und des Klimas bewirken?“

Die politischen Rahmenbedingungen für den Einsatz von chemischem Pflanzenschutz in der Landwirtschaft unterliegen starken Veränderungen: Im Zuge der „Farm-to-Fork-Strategie“ des europäischen Klimaschutzprogrammes „European Green Deal“ soll die Anwendung von synthetischen Pflanzenschutzmitteln (PSM) bis 2030 zum Schutz der Biodiversität und des Klimas um 50 Prozent reduziert werden. Diese politischen Zielsetzungen sind in dem reformierten Verordnungsvorschlag der EU zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (Sustainable Use Regulation – SUR) gemündet. Die wesentlichen Inhalte des Entwurfs der SUR bestehen in einer Halbierung chemischer PSM und der sich aus ihnen ergebenden Risiken. Zudem soll die Verwendung gefährlicher PSM bis 2030 nach Intensität, Anwendung und Risiko um 50 Prozent reduziert werden.

Damit die Umsetzung dieser tiefgreifenden Transformation auf den landwirtschaftlichen Betrieben ökonomisch tragfähig gestaltet werden kann, hat die AG 1 des Dialognetzwerkes eine Reihe von Handlungsempfehlungen an die Politik formuliert. So empfiehlt die AG 1 allgemein, die Reduktionsmaßnahmen für den Einsatz von PSM so zu gestalten, dass diese unterschiedliche regionale Landschaftsstrukturen sowie klimatische Bedingungen berücksichtigen.

Eine große Chance, die Reduktion von PSM in einem systemischen Ansatz zu erreichen, besteht nach Überzeugung der AG 1 in der verstärkten Umsetzung des Integrierten Pflanzenschutzes. Integrierter Pflanzenschutz bzw. Pflanzenbau ist eine Kombination von Verfahren, bei denen unter vorrangiger Berücksichtigung biologischer, biotechnischer, pflanzenzüchterischer sowie anbau- und kulturtechnischer Maßnahmen die Anwendung chemischer Pflanzenschutzmittel auf das notwendige Maß beschränkt wird. Weiterer Verbreitung bedarf laut der AG zudem der Ansatz der Hybridlandwirtschaft, in der ökologischer und konventioneller Landbau voneinander lernen und die im Sinne der Nachhaltigkeit besten Praktiken beider Bewirtschaftungsformen vereint werden. Dabei soll nach Überzeugung der AG 1 generell eine Offenheit gegenüber modernen Technologien, auch in der Pflanzenzüchtung, gewahrt werden.

Die Mitglieder der AG 1 verweisen zudem auf die Notwendigkeit, Kennzahlen und Zielgrößen für Biodiversität wissenschaftsbasiert festzulegen. Diese seien erforderlich, um den Erfolg von Reduktionsmaßnahmen zu überprüfen und wirksame Anreize für die Betriebe setzen zu können.

Wichtige Voraussetzung, um die Reduktion von PSM voranzubringen, sei darüber hinaus die Schaffung einer passenden Förderkulisse für zielführende Systeme und Technologien. Förderprogramme müssten zunächst finanziell aufgestockt werden, um Betrieben flächendeckend eine Teilnahme zu ermöglichen. Eine Teilnahme an Förderprogrammen per Losverfahren, wie aktuell im „Investitionsprogramm zukünftige Landwirtschaft“ praktiziert, bietet den Landwirt:innen nach Auffassung der AG 1 hingegen unzureichende Planbarkeit und Verlässlichkeit.

Zudem soll die Förderkulisse des „Investitionsprogramms zukunftsfähige Landwirtschaft“ modifiziert werden. Die AG 1 empfiehlt in dem Zusammenhang, primär mechanische oder digitale Anwendungstechniken zur Reduzierung des PSM-Einsatzes zu betrachten. Stärker berücksichtigt werden in der Förderung nachhaltiger Praktiken und Technologien müssen zudem innovative Bewirtschaftungsansätze wie Spot Spraying zur zielgenauen, digital unterstützten Ausbringung von PSM. Auch Spot Farming als Anbausystem, das einen standortangepassten, punktgenauen Einsatz von Betriebsmitteln durch digitale Unterstützung ermöglicht und somit auch zur Reduzierung des PSM-Einsatzes beiträgt, bedarf der besonderen Förderung.

Die Ausbildung von angehenden Landwirt:innen muss nach Überzeugung der AG 1 dahingehend angepasst werden, dass diese systemische Ansätze zur Reduktion von PSM sowie die Nutzung moderner, digitaler Technologien zu dem Zwecke vermittelt. Auch Berater sollen entsprechend fortgebildet werden, um einen wirksamen Know-how-Transfer zu den Betrieben zu gewährleisten.

Ergebnisse der Arbeitsgruppe 2 „Kreislaufwirtschaft mit standortangepasster Tierhaltung“

Die Arbeitsgruppe 2 (AG 2) betrachtet das Thema „Kreislaufwirtschaft mit standortangepasster Tierhaltung“ vor allem unter dem Aspekt des Klimawandels sowie der Resilienz. Die AG 2 hat daher folgende Leitfrage als Zielbild formuliert: „Wie können wir zusammen mit der bundespolitischen Ebene klimapolitische Maßnahmen in der Nutztierhaltung so fordern und fördern, dass Klimaschutz und eine wirtschaftlich sowie sozial tragfähige, krisenfeste (resiliente, robuste) Landwirtschaft ermöglicht werden?“.

Die Tierhaltung in Deutschland ist durch die klimapolitischen Ziele der Bundesregierung gefordert, einen grundlegenden Transformationsprozess zu durchlaufen: Deutschland hat sich im Klimaschutzgesetz von 2019 (geändert 2021) auf das Ziel verpflichtet, die THG-Emissionen gegenüber 1990 bis zum Jahr 2030 um mindestens 65 Prozent und bis zum Jahr 2045 auf netto Null zu reduzieren. Die Obergrenzen für die THG-Emissionen der Landwirtschaft sind demnach von 70 Mio. t CO2-Äquivalente für das Jahr 2020 auf 56 Mio. t CO2-Äquivalente für das Jahr 2030 zu reduzieren.

Der Transformationsprozess in der Tierhaltung durch steigende gesellschaftliche und politische Anforderungen zeigt sich nach Ansicht der AG bereits in rückläufigen Zahlen der Betriebe, mit Ausnahme der Geflügelhaltungen. So ist die Zahl der schweinehaltenden Betriebe von 2010 bis 2020 um 47 Prozent zurückgegangen. Der Strukturwandel betrifft auch die vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsstufen, beispielsweise Futtermittelversorgung, Schlachthöfe, Metzgereien oder Molkereien.

Die Mitglieder der AG 2 richten daher die Forderung an die Ministerien, die tierhaltenden Betriebe zu unterstützen, um ihren Fortbestand sowie ihre Weiterentwicklung zu gewährleisten. Um den Tierhaltern dabei eine wirtschaftlich tragfähige Basis und eine Zukunftsperspektive zu geben, sind die Vorschläge der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) und damit des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung („Borchert-Kommission“) unverzüglich umzusetzen.

Die Handlungsempfehlungen der AG 2 konzentrieren sich auf die drei Themenbereiche Standortangepasste Kreislaufwirtschaft, klimaangepasste Fütterung der Nutztiere sowie Treibhausgasminderung und Kompensation für die Einsparung von CO2. Um eine Kreislaufwirtschaft zu stützen, muss eine flächendeckende standortangepasste Tierhaltung gefördert werden. Dabei sind die regionalen natürlichen sowie sozialen Rahmenbedingungen der Betriebe zu berücksichtigen. Zudem müssen Umfang und Art der Nachfrage nach tierischen Lebensmitteln im Blick behalten und regionale Wertschöpfungsketten für qualitativ hochwertige Erzeugnisse mit hohem Wertschöpfungspotenzial aufgebaut werden. Die überbetriebliche Kooperation von Landwirt:innen zum Aufbau beschlossener Kreisläufe soll seitens der Politik ermöglicht und gefördert werden.

Fragen der standortangepassten Tierhaltung berühren, so die AG, zudem die Schaffung der erforderlichen Futtergrundlage. Beim Aufbau klimaangepasster Fütterungsstrategien sollen Ackerflächen zwar möglichst für die direkte menschliche Ernährung genutzt werden. Mit einer standortangepassten Tierhaltung sind durch die erforderliche Futtergrundlage jedoch auch breite Fruchtfolgen und eine angepasste Grünlandnutzung verbunden. Diese entfalten eine positive Wirkung auf den Humusgehalt der Böden und die Artenvielfalt. Denn in vielfältigen Fruchtfolgen sind Futterpflanzen wichtiger Bestandteil, da diese unter anderem die Bodenfruchtbarkeit fördern, Luftstickstoff fixieren und eine erhöhte Flexibilität gegenüber Witterungsextremen mit sich bringen. Die daraus resultierende nicht-essbare Biomasse trägt über die tierische Verwertung zur menschlichen Ernährung bei. Besonderer Bedeutung kommt hierbei der grünlandbasierten Fütterung und damit der Erhaltung von Grünland zu. Nebenprodukte in der Verarbeitung von Nahrungsmitteln, die für die menschliche Ernährung nicht geeignet sind, aber gute Futtermittel darstellen, sollen verstärkte Nutzung erfahren.

Bei der Treibhausgasminderung verweist die AG 2 auf die Notwendigkeit, Standards zur Berechnung von produktbezogenen CO2-Fußabdrücken sowie betrieblicher Klimabilanzen zu definieren. Die Landwirt:innen müssen bei der Entwicklung der Standards beteiligt werden. Außerdem sollen mit der Berechnung von Bilanzen Anreizsysteme zur Senkung von Emissionen verknüpft werden. Ein Zertifikatehandel für CO2-Einsparungen biete dabei den Betrieben die Chance, sich eine neue Einkommensquelle zu erschließen.

Über das Dialognetzwerk zukunftsfähige Landwirtschaft

Das Dialognetzwerk zukunftsfähige Landwirtschaft ist ein gemeinsames Netzwerk des Bundesagrarministeriums (BMEL) in Kooperation mit dem Bundesumweltministerium (BMUV). Ziel des Dialognetzwerkes ist es, Einblicke in die unterschiedlichen Alltagsrealitäten und Praxiserfahrungen im Bereich der Landwirtschaft und des Naturschutzes zu erlangen und in die Arbeit der Ministerien einfließen zu lassen. Seine Tätigkeit aufgenommen hat das Netzwerk im Dezember 2022. In dem Netzwerk werden aktive Landwirtinnen und Landwirte sowie Vertreter:innen von Naturschutzorganisationen zusammengebracht. Die rund 50 ehrenamtlichen Mitglieder des Netzwerks wurden nach Kriterien wie Standort, Betriebsform und Betriebsausrichtung ausgewählt. Es sind sowohl konventionelle als auch biologisch wirtschaftende Landwirt:innen sowie Tierhaltungs- und Ackerbaubetriebe unterschiedlicher Ausrichtungen in dem Netzwerk vertreten.
Die Liste der Dialognetzwerk-Mitglieder und weitere Informtionen zum Netzwerk finden sich hier.

24.05.2023
Von: FebL/PM

Das Dialognetzwerk zukunftsfähige Landwirtschaft hat erste Ergebnisse seiner Arbeit an die Politik übergeben (v.l.n.r.): Carsten Stegelmann (Sprecher der Arbeitsgruppe "Pflanzenschutz und Alternativen"), Silvia Bender (Staatssekretärin BMEL), Bernhard Barkmann (Sprecher der Arbeitsgruppe "Kreislaufwirtschaft mit standortangepasster Tierhaltung") und Dr. Bettina Hoffmann (Parlamentarische Staatssekretärin BMU). Foto: BMEL/Photothek