Den Saatgutmarkt entscheiden lassen

Die Reform des EU-Saatgutrechts droht die unternehmerische Vielfalt weiter einzuschränken

In Sonntagsreden wird von Politikern jeder Couleur gern die Wichtigkeit des Erhalts der Biodiversität, besonders der auf dem Acker, betont. Sie könnten jetzt konkret etwas dafür tun. Bei der Reform des EU-Saatgutrechts, das derzeit hinter verschlossenen Türen in Brüssel verhandelt wird, geht es genau darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Agrobiodiversität wieder stärken, indem sie eine Vielfalt in der landwirtschaftlichen Pflanzenzüchtung stärken. Genau das wird aber von einer starken Lobby bekämpft, maßgeblich von den mittelständischen Pflanzenzüchtungsunternehmen und ihrem europäischen Dachverband ESA (European Seed Association). Deren Antrieb ist egoistischer Marktprotektionismus. Seit die Pflanzenzüchtung vor fünf, sechs Jahrzehnten aus der Hand nebenbei selektierender Bauern und Bäuerinnen zu einem professionalsierten Gewerbe wurde, musste zwangsläufig auch der Aspekt einer Refinanzierung des Aufwands zur Erzeugung neuen Saatguts immer stärker ins Augenmerk rücken. So wurde das Instrument des Sortenschutzes eingeführt, allerdings anfangs bewusst lockerer gestrickt als das strengere Patentrecht. Es enthielt ein Züchter- und Landwirteprivileg, um unternehmerische Vielfalt zuzulassen. Seitdem aber arbeiten die wachsenden Unternehmen der klassischen Züchterbranche erfolgreich daran, Verschärfungen in Richtung Patentrecht im Sortenschutz bei der Politik durchzusetzen. „Je größer die Strukturen der Unternehmen, umso größer der Druck, Einkommen zu generieren“, bringt es Ökozüchter Gebhard Rossmanith auf den Punkt. Homogenitätsfalle Mit der neuesten Reform drohen weitere Verschärfungen. So steht zu befürchten, dass die von den Erhaltungszüchtern zum Schutz alter Sorten und der genetischen Vielfalt geforderten Liberalisierungen im Saatgutverkehrsrecht, wo es um die Handelbarkeit von Saatgut geht, auf der Strecke bleiben. Initiativen wie Kokopelli, müssten weiterhin fürchten, verklagt zu werden, wenn sie mit alten Sorten handeln. Auch die Züchter, die sich um neue Sorten für den ökologischen Landbau bemühen, müssen nach den letzten Hinweisen aus Brüssel fürchten, dass ihre Anliegen dort nicht aufgenommen werden. Gebhard Rossmanith von der Bingenheimer Saatgut AG, einem der größten Aktreue in Deutschland besonders im Bereich von ökologischem Gemüsesaatgut, spricht von der „Homogenitätsfalle“, in der solche Unternehmen sitzen. Die inzwischen immer schärfer gewordenen Anforderungen, die die Prüfinstitutionen an die Homogenität einer neuen Sorten stellen, können von Ökosorten kaum erfüllt werden. Gemessen an den Hochleistungshybriden, von denen es immer mehr im Markt gibt, die sich unter Umständen nur in Nuancen voneinander unterscheiden, scheitern samenfeste Sorten an den immer kleiner werdenden Fenstern, die der Zwang zu Neuheit und Homogenität in der Sortenzulassung mit sich bringt. Diese Sorten versagen am System und nicht an den Ansprüchen, die die Anbauer an sie stellen würden, und erreichen sie und den Markt damit gar nicht mehr. Hier könnte die neue Saatgutgesetzgebung Sonderregelungen schaffen, die Verantwortlichen wollen das aber offenbar nicht. „Für uns ist das ein Fiasko“, sagt Rossmanith. Auch der Ökoanbauverband Bioland hatte Vorschläge eingereicht: eine zweite Zulassungsschiene für samenfeste Sorten, den Erhalt des freien Nachbaus, ein liberaler Umgang mit alten Sorten. Nun kommt es darauf an, wie sich die EU-Parlamentarier verhalten, die die Kommissionsvorschläge im nächsten Frühjahr auf die Schreibtische bekommen sollen. „Wir hatten auf eine klarere Rechtslösung im Sinne der Biodiversität gehofft“, sagt Rossmanith, „damit der Markt entscheiden kann, was Qualität ist, und nicht die Saatgutindustrie.“
29.11.2012
Von: unabhängige Bauernstimme, cs