Krisengewinne und Lebensmittelteuerung

Dass Energieunternehmen seit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine enorme Profite eingefahren haben, ist weithin bekannt. In den letzten Monaten häufen sich jedoch auch Belege für Krisenprofiteure aus dem Agrar- und Ernährungssektor, während die Lebensmittelteuerung in vielen Ländern auf hohem Niveau bleibt. Die hohen Lebensmittelpreise tragen dabei direkt zu einem Anstieg von (Ernährungs-)Armut bei.

Im Juni gaben die Nichtregierungsorganisationen IATP und GRAIN eine Analyse von Geschäftsberichten heraus, gemäß derer die neun weltweit größten Düngemittelunternehmen ihre Profite im Jahr 2022 von 28 auf 49 Milliarden US-Dollar im Vergleich zum Vorjahr beinahe verdoppeln konnten. Sie erreichten damit eine Profitmarge von im Schnitt 36 Prozent. Das heißt ein Drittel der Jahresumsätze bleiben als Gewinn im Unternehmen oder werden an Aktionär*innen ausgeschüttet. Und wenn man sich die Geschäftsberichte der vier größten Pestizidunternehmen anschaut, sieht es ähnlich aus: Bayers Agrarsparte, die Gerüchten zufolge künftig abgestoßen werden könnte, konnte ihren Gewinn im Vergleich zum Vorjahr um 82 Prozent steigern, die Profitmarge von Bayer CropScience kletterte 2022 auf 27,3 Prozent. Im Frühjahr dieses Jahres wurden 2,3 Milliarden Euro an die Bayer-Aktionär*innen ausgeschüttet. Der Bereich „Agricultural Solutions“ bei BASF erzielte 2022 ebenfalls einen 71 Prozent höheren Gewinn als im Vorjahr und der Gesamtkonzern schüttete drei Milliarden Euro an seine Anteileigner*innen aus. Das Nettoeinkommen des chinesischen Syngenta-Konzerns stieg immerhin um 32 Prozent und Corteva Agriscience, die weltweite Nummer vier im Pestizidgeschäft, konnte 25 Prozent zulegen, bei einer Gewinnmarge von 18,5 Prozent in 2022.

Wie kommt es zu diesen teils enormen Profitsteigerungen, wenn gerade die europäische Chemieindustrie enorm von Preissteigerungen bei Öl und Gas betroffen war und ist? Auch wenn es vor allem im ersten Halbjahr 2022 einen extremen Preissprung bei (fossilen) Energieträgern gab, sorgten die hohen Weltmarktpreise für Düngemittel und Pestizide dafür, dass die gestiegenen Produktionskosten überkompensiert werden konnten. Gerade Stickstoffdünger, der in der Produktion besonders energieintensiv ist, wurde am Weltmarkt seit Anfang 2021 kontinuierlich teurer und erreichte im April 2022 ein Rekordhoch. Aber auch etwa der Preis für Herbizide, also Unkrautbekämpfungsmittel, stieg im Laufe des Jahres 2022 in Deutschland um 25 Prozent – zum Vorteil von Bayer und BASF, die mit Glyphosat und Glufosinat zwei Herbizid-„Bestseller“ vermarkten.

Dabei sind die Gewinne der Düngemittel- und Pestizidindustrie kein Ausnahmephänomen. In den letzten Monaten häuften sich für den deutschen und europäischen Agrar- und Ernährungssektor Belege, dass neben der Chemieindustrie und dem Getreidehandel auch der Einzelhandel und die Lebensmittelhersteller im vergangenen Jahr enorm von der Krise profitiert und die allgemeinen Preissteigerungen für zusätzliche Gewinnsteigerungen ausgenutzt haben. So kommt eine Studie von zwei Wettbewerbsökonomen zum Ergebnis, dass in Deutschland etwa ein Drittel der Preissteigerungen bei Lebensmitteln in den letzten Jahren auf die Marktkonzentration im Einzelhandel zurückzuführen war. Denn nach wie vor kontrollieren hierzulande vier Supermarktketten 85 Prozent des Marktes und haben somit einen großen Einfluss auf die Preisbildung. Gleichzeitig legt etwa eine Analyse der Allianz Trade von April dieses Jahres dar, dass zuletzt Lebensmittelhersteller in Europa ihre Preise deutlich stärker erhöht haben als der Einzelhandel, sodass zehn Prozent der Lebensmittelteuerung in Europa – in Deutschland sogar über ein Drittel – seit Mitte letzten Jahres nicht mit gestiegenen Erzeuger- und Energiepreisen, also den klassischen Inflationstreibern, erklärt werden können.

Die Erklärung, dass die (Lebensmittel)Inflation in Europa maßgeblich auf Strukturen und Verhalten der marktbeherrschenden Akteure zurückzuführen ist, findet immer mehr Unterstützung. Auch in wirtschaftsliberalen Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank werden jene Stimmen lauter, die Konzernprofiten eine zentrale Rolle in der Teuerung – unter anderem im Agrar- und Ernährungssektor – zuschreiben. Eine im Juni veröffentlichte Analyse des IWF kommt zu dem Ergebnis, dass Unternehmensprofite zuletzt für 45 Prozent der Inflation im Euro-Raum verantwortlich waren – gegenüber 25 Prozent, die Lohnsteigerungen zugeschrieben werden. Auch EZB-Vorstandsmitglied Fabio Panetta sprach jüngst von einer Profit-Preis-Spirale und EZB-Chefin Christine Lagarde machte zusätzliche Konzerngewinne sogar für zwei Drittel der 2022 zu verzeichnenden Teuerung in Europa verantwortlich. Besonders hohe Gewinne wurden laut IWF zuletzt neben dem Bergbausektor und den Grundversorgern in der Landwirtschaft und dem Baugewerbe erzielt.

Die anhaltend hohen Lebensmittelpreise in Deutschland und Europa sind also kein Naturgesetz, sondern könnten mit entsprechender politischer Regulierung zur Begrenzung von Marktmacht und Zufallsgewinnen stabilisiert werden. Das wäre dringend notwendig, denn die aktuelle Teuerung hat verheerende Folgen für Millionen von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffene Menschen. In Deutschland belief sich diese Zahl 2022 auf über 17 Millionen Menschen. Während Tafeln teilweise aufgrund von Überlastung schließen, versuchen viele Menschen hierzulande, ihren Lebensmitteleinkauf mit dem verfügbaren Einkommen zu „optimieren“. Das geht häufig – zumindest dort, wo keine qualitativ hochwertige Gemeinschaftsverpflegung etwa in Kantinen angeboten wird – zu Lasten von Ausgewogenheit und (Mikro-)Nährstoffversorgung. Eine drastische Folge: Bei Kleinkindern aus armutsbetroffenen Haushalten wird eine unzureichende Versorgung mit wichtigen Mikronährstoffen wie Eisen, Zink und Jod beobachtet, was nachweislich zu Wachstumsstörungen führt.

Blicken wir über die europäischen Grenzen hinaus, gehen die Preisentwicklungen an der Börse sowie die Profite von Agrarkonzernen, die ihren Sitz überwiegend im globalen Norden haben, mit teils noch dramatischeren Folgen einher. Kapitalschwache Bäuerinnen und Bauern, die etwa in verschiedenen afrikanischen Ländern durch staatliche Subventionsprogramme vom Zukauf von Saatgut, Pestiziden und Düngemitteln abhängig gemacht wurden, sind von den Preissteigerungen dieser Inputs in besonderem Maße betroffen. Hinsichtlich der globalen Lebensmittelpreisentwicklung meldete die Weltbank im Juni, dass die Lebensmittelteuerung in vielen Ländern trotz gesunkener Weltmarktpreise für Getreide und Ölsaaten hoch bleibt. Die Liste der Länder mit der höchsten Lebensmittelpreisinflation in diesem Jahr wird vom Libanon (81 Prozent), Venezuela (35 Prozent), Simbabwe (30,5 Prozent), Ägypten (27 Prozent) und dem Iran (23 Prozent) angeführt. Neben weiteren destabilisierenden ökonomischen Faktoren spielt für diese Länder die Abhängigkeit von Lebensmittelimporten eine zentrale Rolle.

Diese Zahlen zeigen deutlich: Die (Kaufkraft)Verluste der einen – also der Erzeuger*innen, Arbeiter*innen und Endverbraucher*innen – sind die Profite der anderen, nämlich der marktbeherrschenden Unternehmen des Agrar- und Ernährungssektors. Die Forderung nach gutem Essen für alle kann nur verwirklicht werden, wenn erstens die Abhängigkeit von Pestiziden und Düngemitteln sowie Lebensmittelimporten abgebaut wird, zweitens die Preise für diese Inputs sowie für Agrarrohstoffe stabilisiert werden und drittens Gewinne entlang der Agrar-Lieferkette systematisch umverteilt werden. Diese drei Punkte sollten im Zentrum der politischen Antworten auf die globale Ernährungskrise stehen.

Ein Kommentar von Lena Luig, Referentin Internationale Agrarpolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung. Der Beitrag steht unter der Urheberrechtslizenz CC-BY-NC-ND 4.0

15.08.2023
Von: Lena Luig

Foto: David Clarke auf Unsplash