EU-Parlament beschließt Naturwiederherstellungsgesetz

Das Plenum des Europäischen Parlaments hat den Gesetzesvorschlag der EU-Kommission für ein Gesetz zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law, NRL) mit knapper Mehrheit angenommen. „Das Naturwiederherstellungsgesetz lebt“, erklärt die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl und auch der grüne EU-Abgeordnete Martin Häusling begrüßt die Entscheidung, da nun eine Perspektive für Europas geschundene Natur geschaffen sei. Übereinstimmend kritisieren beide das Verhalten der Europäischen Volkspartei, dem auch die CDU- und CSU-Vertreter:innen aus Deutschland angehören, die „mit einer Horrorkampagne voller Lügen und Ignoranz wissenschaftlicher Fakten gegen das Nature Restoration Law mobilisieren wollte“, so Häusling. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ist "froh, dass dieses zentrale Vorhaben von Ursula von der Leyen eine Mehrheit gefunden hat. In den Beratungen wurden Bedenken ernstgenommen und aufgegriffen. Bedauerlich ist, dass sich die EVP gegen das Vernunftprinzip von Schützen und Nutzen und damit gegen ihre eigene Kommissionspräsidentin gestellt hat.“ Für den Bauernverband bleibt das Naturwiederherstellungsgesetz „eine Belastung für die Landwirtschaft“. Festgezurrt ist noch nichts, denn der Gesetzentwurf geht jetzt in die Trilog-Verhandlungen.

Noichl: Möglichkeit, den Klimawandel und seine Auswirkungen zu bekämpfen

„Das Naturwiederherstellungsgesetz lebt! Gemeinsam mit anderen Fraktionen haben wir, die europäischen Sozialdemokrat:innen, eine knappe Mehrheit für eine Parlamentsposition zum Naturwiederherstellungsgesetz erringen können. Das gibt uns die Möglichkeit, den Klimawandel und seine Auswirkungen zu bekämpfen und mit ganz konkreten Zielen einen Beitrag zu lebenswerteren Städten und zur Sicherung von langfristigen Produktionsmöglichkeiten von Lebensmitteln auf dem Land zu leisten“, erklärt Maria Noichl.

In Europa häuften sich sowohl schwere Unwetter und Starkregenereignisse als auch extreme Hitzewellen und Dürren. Die Auswirkungen des Klimawandels auf Mensch und Natur verstärkten sich offensichtlich von Jahr zu Jahr. Dies sei eine große Bedrohung für uns alle. „Mit dem Naturwiederherstellungsgesetz müssen wir in Zukunft gegensteuern“, so die SPD-Vertreterin.

Das Gesetz habe auch eine enorme Bedeutung für die Zukunft unserer Landwirtschaft. „Es ist unsere Pflicht, Landwirt:innen durch diese herausfordernde Zeit zu begleiten und einen Transformationsprozess einzuleiten, um sicherzustellen, dass die Landwirtschaft eine Zukunft hat. Anstatt an diesem Prozess mitzuarbeiten, gesellt sich die EVP, die Fraktion von CDU/CSU, und Teile der Liberalen, zu den rechten Nationalisten im Europäischen Parlament. Für die EVP scheint aktuell nur der Stimmenfang bei Antieuropäer:innen und Klimaschwurbler:innen zu zählen. So wollen die EVP und die Liberalen am Wahltag im Juni 2024 um jeden Preis punkten. Webers Fraktion schreckt dabei auch nicht vor Fake News zurück. Landwirt:innen wissen aber ganz genau, dass man langfristig planen muss. Auch die nächste, übernächste und darauffolgende Ernte muss Ertrag bringen. Wir müssen weitsichtiger sein als die EVP und ihre Blockadehaltung“, kritisiert Noichl das Verhalten der EVP.

Mit dem Hinweis auf eine Bedrohung der Ernährungssicherheit, einen Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion, der Zunahme von Importen und steigenden Lebensmittelpreise hat die EVP nach Ansicht der Organisation Global 2000 über Monate Stimmung gegen den Gesetzentwurf gemacht, auch wenn die Argumente mehrfach von der Kommission, der Wissenschaft und durch Nichtregierungsorganisationen widerlegt wurden. Im Vorfeld der Abstimmung zum NRL legte die Partei mit grotesken Falschinformationen in sozialen Netzwerken noch eins drauf: Dörfer müssten wegen Renaturierungsmaßnahmen weichen, Landwirt:innen zehn Prozent ihres Ackerlandes aufgeben, und ganze Städte müssten laut EVP in Wälder umgewandelt werden. Zuletzt sah sich sogar die EU-Kommission genötigt, diese kruden Behauptungen, die sich nirgendwo im Gesetzentwurf finden, öffentlich richtig zu stellen.

Manipulationsvorwürfe im Umweltausschuss

Einen bedauerlichen Teilerfolg, so Global 2000, konnte der EVP-Fraktionsvorsitzende Manfred Weber mit seiner Blockadepolitik am 27. Juni im federführenden Umweltausschuss erzielen, wo eine geschlossene Ablehnung des Gesetzesvorschlags durch 22 EVP-Stimmen erreicht wurde. Dies war ausschlaggebend für das Patt bei der Abstimmung (44:44), sodass alle bis dato erzielten Kompromisse verworfen und das Gesetz nicht angenommen wurde. Für massive Kritik sorgte, dass ein Drittel der EVP-Abgeordneten, die geschlossen gegen das Gesetz gestimmt hatten, gar nicht Mitglieder im Ausschuss waren. EVP-Politiker:innen, die das NRL zuvor offen unterstützt hatten, blieben der Abstimmung fern und wurden überwiegend durch Abgeordnete aus dem Agrarausschuss ersetzt. Pascal Canfin (Liberale Fraktion), wertete dieses beispiellose Vorgehen der EVP als Manipulation der Abstimmung.

Häusling: Es muss etwas getan werden für die Wiederherstellung stabiler Ökosysteme

„Konservative und Rechte wollten mit einer Horrorkampagne voller Lügen und Ignoranz wissenschaftlicher Fakten gegen das Nature Restoration Law mobilisieren und haben dafür eine Klatsche kassiert“, erklärt Martin Häusling. Während die EVP desinformiere, Ängste schüre und Lügen verbreite, erführen es die Menschen draußen am eigenen Leibe längst immer schneller und immer schlimmer. „Unsere natürliche Umwelt ist aus den Fugen geraten: Europa und die USA stöhnen unter einer historisch beispiellosen Hitzewelle mit für viele Menschen tödlichen Rekordmarken, das Wasser wird knapp oder kommt in Sturzfluten. Und auch die Wissenschaftler, die Wirtschaft und die meisten Bauern wissen es besser: Ohne Natur kein Essen, und nur mit ökologischer Verantwortung und entsprechender Ausrichtung im Umgang mit unserer natürlichen Umwelt können wir die Krisen in den Griff bekommen, unsere Ernährung und unser Dasein langfristig sichern“, so der grüne EU-Abgeordnete. Deshalb müsse etwas getan werden für die Wiederherstellung stabiler Ökosysteme und gegen die Übernutzung unserer Ressourcen. Es gehe nicht ohne ein Umsteuern - auch für Klimaschutz und -anpassung und unser aller Ernährungssicherheit. Für politische Machtspielchen im Plenarsaal sei die Lage draußen viel zu ernst.“

„Auch wenn wir uns auf viele abschwächende Kompromisse einlassen und manche Kröte schlucken mussten, um das Gesetz überhaupt durchzubringen, können die Weichen in Europa nun in Richtung Renaturierung gestellt werden. Ich werte das als ermutigenden Schritt und werde eine ambitionierte Umsetzung der Ziele einfordern“, sagt Häusling.

Ähnlich äußert sich auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir: „Wer Ernährungssicherung ernst meint, schützt das, was uns gute Ernten beschert – nämlich unsere natürlichen Grundlagen. Nur so sichern wir auch die Versorgung der nachfolgenden Generationen. Wer die Folgen der Klimakrise, Bodenprobleme und Wassermangel ignoriert, ist wahrlich kein Freund der Bauern. Schon jetzt vertrocknet mancherorts das Korn am Halm, während Starkregen woanders ganze Ernte zerstört, Böden verschlechtern sich, die Wasserversorgung wird unsicherer. Allein die letzten Dürrejahre haben die Landwirtschaft zig Milliarden gekostet. Wir müssen handeln, je länger wir warten, desto härter und schwieriger wird es. Das bestätigt die Wissenschaft immer und immer wieder."

Kritisch bewertet der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, das Ergebnis der Plenarabstimmung: „Dieses knappe Ergebnis ist eine vertane Chance für einen effektiven Naturschutz in Zusammenarbeit mit Landwirten und Landnutzern. Die Streichung der Stilllegungsverpflichtung über Landschaftselemente und die Wiederherstellung landwirtschaftlicher Ökosysteme ist als kleiner Lichtblick zwar zu begrüßen. Dennoch bleibt der Vorschlag mit seiner Ausrichtung auf Eingriffe und Beschränkungen der Erzeugung eine Belastung für die deutsche und europäische Landwirtschaft“, so Rukwied.

„Die Deutschen Bauernfamilien unterstützen ausdrücklich das Ziel des Erhalts der biologischen Vielfalt. Mit vielen Initiativen und Projekten sowie den Programmen aus der Gemeinsamen Agrarpolitik setzen sie seit vielen Jahren Maßnahmen für den Erhalt der Artenvielfalt um. Wir sind bereit, mehr zu tun und weitere Maßnahmen umzusetzen. Allerdings muss der kooperative Naturschutz die Grundlage und Leitschnur dafür sein, genauso wie für die bevorstehenden Trilog-Verhandlungen“, erklärt Rukwied.

19.07.2023
Von: FebL/PM

Maria Noichl kritisiert das Verhalten der EVP (EPP) und deren Kampagne in den sozialen Medien (siehe Beispiel). Bildquellen: Noichl/facebook; EVP/Twitter