Das Auge macht den Unterschied

Es sind eigentlich nur ein paar Zentimeter Knorpel, Sehnen, rosa Haut und ein paar blonde Härchen am Ende des Schweineschwanzes. Und doch machen sie den Unterschied. „Wir haben sowieso immer nur die allerletzte Schwanzspitze kupiert“, sagt Schweinebäuerin Angela Harms aus Damnatz im Wendland, „ich dachte, da können die letzten zwei Zentimeter doch nicht so eine Herausforderung sein.“ Nach zwei Jahren als Betrieb der Einstiegsstufe des Labels des deutschen Tierschutzbundes mit Beratung, geringeren Besatzdichten, Außenklima, Wühlecke, Strohraufe ist sie dennoch einigermaßen ernüchtert. „Wir hatten viel Leid im Stall“, sagt sie und ihr Mann formuliert es später fast wortgleich. Die emotionale Dimension des Ringelschwanzes ist nicht zu unterschätzen. Derzeit kupieren sie wieder die Spitzen. Es ist gerade alles wieder so ruhig, da denke ich, man könnte es schon wieder mit einer Gruppe probieren“, sagt Angela Harms. Ihr Mann Henning scheint skeptischer, fürchtet, wirklich nachhaltig sei dem Thema nur mit einer anderen Genetik beizukommen, die Leistungsgrenzen seien überreizt. Nichts, was sich schnell ändern ließe, zumal Harms eine jahrelange gute Zusammenarbeit mit einem Sauenhalter pflegt. Hinzu kommt die Tatsache, dass es zumindest in Norddeutschland keine umfangreiche nachhaltige Vermarktung und Honorierung für Schweinefleisch aus einer tiergerechteren Haltung gibt – sieht man von Neuland und Bio ab. Deshalb sind Harms eher ablehnend, wenn es um bauliche Veränderungen geht, auch wenn Stroheinstreu sicher die Situation entschärfen könnte, so sieht es Angela Harms. Aber schließlich sei auch der Sohn zurückhaltend im Hinblick auf den Stress und die viele Zeit im Stall. Die Bauern seien eben sehr betriebswirtschaftlich ausgebildet heute, sagt sie und es schwingt auch Bedauern mit. Wollen weiter Dass man ein dickes Fell brauche, nervlich immer angespannt sei, das konstatiert auch August Fallapp in Hinblick auf die Versuche, auch auf seinem Schweinemastbetrieb mit 600 Mastplätzen die Ringelschwanzprämie des Landes Niedersachsen wahrzunehmen. Es fange an mit mehr Platz, „je mehr desto besser“. Im Stall laufen nun nur noch 450 Tiere, mehr Zeit für die Tierbeobachtung, „immer mal 'ne viertel Stunde hinstellen und gucken“ und sofortiges Eingreifen, „wenn wer spinnt“. Hanfseile, Heu, „klar haben wir dann so Placken auf der Gülle“. Der Vermarkter interessiere sich nicht, „aber man will ja was machen, nicht dagegen sein, deswegen mühen wir uns weiter“, beschreibt er die gesellschaftliche Stimmung auch als Antrieb. Wenn es gut läuft, sprich 70 % einen unversehrten Schwanz haben, gibt es immerhin die Ringelschwanzprämie – noch. „Von Otte-Kinast ist die ja nur noch geduldet.“ Rasierklinge Aber es gibt auch andere Stimmen. Matthias Erle mästet schon seit Jahren konventionell Schweine mit Ringelschwanz und sagt, es gehe, wenn man ständig gucke und an vielen kleinen Schräubchen drehe. Der Aufzucht als Kinderstube, in der gute oder schlechte Manieren gelernt werden, komme eine Schlüsselfunktion zu. Licht, Außenklima, Platz, Abwechslung und gutes Futter, vor allem aber müsse man sich mit dem Tier beschäftigen wollen, sich Gedanken machen und die Bedürfnisse erkennen. Es sei oft auch eine Mentalitätsfrage, ob der „Ritt auf der Rasierklinge“ – lange Schwänze in einem Stall ohne Stroheinstreu – gelinge, so Erle. Gerade heute, wo es oft nur um die Ökonomie gehe. Überlaufender Eimer „Das Auge entscheidet“, sagt auch Karl-Heinz Tölle von der Interessengemeinschaft der Schweinehalter (ISN), „und dann im Notfall schnell zu reagieren.“ Er zeichnet das Bild vom Eimer, der sich durch verschiedene negative Faktoren fülle: einen schlechten Gesundheitszustand des Bestandes, zu wenig Platz, Defizite in der Frage der Beschäftigung, Futter oder Buchtenstrukturierung, die Genetik. Wenn dann etwas Unvorhergesehenes geschehe wie eine drückende Wetterlage, Sturm oder ein klemmender Futterautomat, könne das der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringe. Die Strategie müsse also sein, überall zu optimieren, um „vom Rand des Eimers wegzukommen“. In diesem Sinne versteht er auch den geplanten Aktionsplan Ringelschwanz, mit seiner Aufforderung an die Bauern und Bäuerinnen, Dinge auszuprobieren. Dass er in einer Situation kommt, in der die Stimmung der Schweinehalter von Unsicherheit und finanziellem Druck geprägt ist, steht auf einem anderen Blatt. Vielen fehle die Perspektive fürs Weitermachen oder anders machen, der rechtliche Rahmen wie auch die Vermarktung. Tierbeobachtung, Tierbeobachtung „Die Bauern sind die Gelackmeierten“ sagt Jan Hempler, Leiter des Schweinebereiches des Landwirtschaftlichen Bildungszentrums im nordniedersächsischen Echem. Auf sie kommt mit dem Aktionsplan einmal mehr neuer Formalismus zu und keiner wisse, wo es nun genau hingehe. Bei Hempler landen inzwischen viele Anfragen von Bauern und Bäuerinnen, die eine neue Richtung in der Schweinehaltung einschlagen wollen. „Grundlage muss ein guter Gesundheitsstatus sein, dann nicht einfach nur mehr Platz, sondern Funktionsbereiche“, Angebote, der aufgeregten Hochleistungsgenetik Rückzugsmöglichkeiten zu verschaffen, Klimasteuerung und Tierbeobachtung, Tierbeobachtung, Tierbeobachtung. „Und am Ende ist es so: Mit Stroheinstreu kann ich eben doch viele Unzulänglichkeiten an anderen Stellen kompensieren.“ Eine entscheidende Schwierigkeit löst allerdings auch das nicht: die Frage der Vermarktung.
06.03.2019
Von: cs

Es ist nicht einfach, wenn der Schanz ganz bleiben soll.