Corona in Stolpe

Ein Bericht von Matthias Stührwoldt, Milchbauer und Mitglied der AbL Schleswig-Holstein

Heute Morgen habe ich den Text für diese Seite schon einmal geschrieben. Jetzt fange ich noch einmal von vorne an, weil sich wieder einmal alles geändert hat.

Stolpe, mein Heimatdorf, ist fest im Griff des Corona-Virus. Was ist geschehen?

Am Mittwoch, 11.März, gab es im Gemeinderat eine Ausschusssitzung, bei der auch ich anwesend war. Einige Tage später wurde eines der Ausschussmitglieder positiv auf Corona getestet. Wie wir heute Morgen erfuhren, ist er – durch eine Krebserkrankung gesundheitlich angeschlagen – heute Nacht verstorben.

Nach Bekanntwerden dieser Infektion wurde alle Personen, die bei dem Ausschuss waren, sowie ihre im Haus lebenden Familienangehörigen unter häusliche Quarantäne gestellt. Seit Mittwoch, 18.März, bleiben Birte und ich zuhause. Die Kinder sind aus dem Haus; zum Teil waren sie auf Reisen und mussten zusehen, wie sie nach Schleswig-Holstein zurückkamen. Im Moment ist nur Nora noch unterwegs, in Costa Rica. Sie hofft, in der kommenden Woche nach Hause fliegen zu können. Die Kinder halten sich von uns fern und kaufen für uns ein, wenn wir etwas brauchen.

Während Birte überhaupt keine Symptome zeigt, fühlte ich mich schon seit Montag schlapp und abgespannt, weshalb ich am Mittwoch, nach Bekanntwerden der positiven Testung meines Gemeinderatskollegen, einen Test beantragte. Der erfolgte am Freitag. Telefonisch teilte eine Stimme mir mit, wo ich wann zu erscheinen habe. Ich darf nicht kommen, ich bin in Quarantäne, sagte ich. Sie müssen kommen, sagte die Stimme. Ich musste dann noch angeben, mit welchem Auto, mit welchem Nummernschild ich angefahren käme. Am Zielort angekommen, sollte ich im Auto warten. Zwei Menschen in Raumanzügen kamen zu mir. Ich öffnete ein Fenster, und nach einigen Sekunden Vorgeplänkel rammte man mir ein Wattestäbchen in den Rachen.

Heute Morgen (Sonntag, 22.März) dann die Information, dass ich positiv getestet bin. Ich wurde unter weitere Quarantäne gestellt und musste eine Kontaktliste abgeben. Meine Mitarbeiter wurden auch unter häusliche Quarantäne gestellt; auf meinen Antrag hin gibt es aber eine Ausnahmegenehmigung. Sven darf zur Stallarbeit kommen. Burner, mein Lehrling, hat keinen Führerschein. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln darf er nicht fahren. Abholen darf ihn auch niemand. Also muss er zuhause bleiben und ich muss – Corona-positiv, wie ich bin – gemeinsam mit Sven den Stall machen. Wir werden darauf achten, uns nicht zu nahe zu kommen.

Inzwischen sind – außer mir – noch mindestens zwei weitere Ausschussmitglieder erkrankt; eine von uns – gesundheitlich vorgeschädigt – liegt auf der Intensivstation und muss beatmet werden. Ihr Mann, ebenfalls im Ausschuss und unter Quarantäne, darf nicht bei ihr sein. Ich weiß nicht, wie das anders zu lösen ist, aber das finde ich wirklich schlimm: Dass die Schwerkranken ganz alleine sind, auch dann noch, wenn es vielleicht zu Ende geht.

Am Freitag, 13.März, wurde in Stolpe noch eine Hochzeit gefeiert. Einer von uns aus dem Ausschuss, der auch positiv getestet wurde, war dort. Nun steht die ganze Hochzeitsgesellschaft unter häuslicher Quarantäne. Stolpe, mein Heimatdorf, ist ein Hotspot dieser Epidemie. Oft düdelt das Smartphone vor sich hin und ich hoffe, dass es keine neuen schlechten Nachrichten sind ... . Der Mitarbeiter vom Gesundheitsamt sagte mir, dass es nach sieben Tagen mit Symptomen unwahrscheinlich sei, dass es bei mir noch schlimmer werde. Ich komme da durch. Und dem Rest der Familie geht es nicht schlecht. Also bleiben Birte und ich zuhause und haben uns lieb. Natürlich unter Beachtung der einschlägigen Abstandsregeln ... .

Fast ist es tröstlich, dass ich nachher rausgehen kann, um die Kühe zu versorgen. Das Leben geht weiter. Egal, was ist: Gemolken wird immer. Auch heute.

25.03.2020
Von: Matthias Stührwoldt, AbL Schleswig-Holstein

Foto: Thomsen