Bauern ohne Marktanteile

Kommentar

Auf einmal geht es. Drei Tage vor Weihnachten beschloss die Spitze der größten niederländischen Molkerei Friesland-Campina im Alleingang, die Reißleine zu ziehen. Die stark steigenden Milchmengen ihrer Lieferanten drohten der Molkerei richtig Geld zu kosten. Die eigenen Kapazitäten reichten für den Milchschwall nicht mehr aus und der Verkauf an andere Molkereien – auch nach Deutschland – erzielte Spotmarktpreise, die bei weniger als der Hälfte dessen lagen, was Friesland-Campina den eigenen Milchlieferanten selbst für die Milch auszahlen musste. Im Interesse einer der größten europäischen Molkereien führte ihr Vorstand kurzfristig und für sechs Wochen befristet einen Bonus von 2 Cent auf den Auszahlungspreis ein für jeden Milcherzeuger, der bloß nicht noch mehr Milch erzeugt. 60 Prozent der Bauern machten mit, senkten die Milchmenge der Molkerei um 2,5 Prozent. Jetzt hat der Konzern ein neues Werk in Betrieb genommen, und die Milch soll wieder ungehindert fließen, die Bonuszahlung ist beendet. Es geht also, Menge gezielt zu reduzieren. Molkereien können das technisch, rechtlich und finanziell. Und sie machen das, wenn es sich für sie selbst rechnet. In diesem Fall redet niemand von einer Quote, einem willkürlichen politischen Markteingriff, von Planwirtschaft oder was sonst für einen Blödsinn. Reines wirtschaftliches Interesse der Molkerei gab den Ausschlag. Geht das auch, wenn es aus Sicht der Bauern sinnvoll ist? Die Auszahlungspreise der Molkereien – und genauso auch die der Schlachthöfe für Mastschweine – fallen gerade noch weiter. Die erreichten Tiefstpreise hatten viele nicht mehr für möglich gehalten, mindestens nicht über einen so langen Zeitraum. Eine Erholung von selbst ist derzeit nicht absehbar. An jedem Schlachtschwein fehlen 35 Euro, am Liter Milch 10 bis 15 Cent. Die Betriebe machen durchweg Verluste, schieben Rechnungen vor sich her, und draußen geht die Saison erst los. In den Familien wächst der Druck. Banken werden nervös. Keiner bezweifelt mehr, dass ein Überangebot die Preise nach unten drückt. Doch die Milchmengen steigen weiter rasant an, in Niedersachsen liegt die Erzeugung zehn Prozent über dem Vorjahreswert. Der Bauernverband hofft auf Putin, damit er die Probleme löst. Der EU-Kommissar fährt nach Mexiko und Kolumbien. Der Nicht-Minister Schmidt beobachtet den Markt im Iran und reist nach Moskau. Dabei steigern die Molkereien ihre Exportmengen längst, trotz Russlandembargo. Die EU hat 2015 von allen bedeutenden Molkereiprodukten bis auf Käse mehr ausgeführt als im Vorjahr; die Käse-Ausfuhr blieb konstant. Auf dem Weltmarkt haben „unsere“ Molkereien ihre Anteile ausgebaut. Ihre Bilanzen sprechen nicht von Verlusten, sondern von etwas geringeren Gewinnen. Ihr Exportwachstum bezahlen die Bauern über die für sie sehr wohl verlustbringenden Erzeugerpreise. Es ist höchste Zeit für neue Ideen. Schulden sind für die Betriebe schon schlimm genug. Aber Sprachlosigkeit, Ausweichen in abgedroschene Floskeln von wachsender Weltbevölkerung, Verweise auf lächerliche „Hilfspakete“ oder das zynische Gerede, jeder solle jetzt nochmal an der Kostenschraube drehen – all das hilft nicht, sondern macht Resignation oder Wut nur noch größer. Friesland-Campina hat – wahrscheinlich unbeabsichtigt – erheblich Bewegung in die Debatte gebracht. Frankreichs Minister verweist schon darauf. In Deutschland treibt die AbL die Diskussion dazu an, sowohl Richtung Molkereien als auch Richtung Politik, die den Druck auf die Molkereien erhöhen kann. Die Grünen Länderminister haben den Ball aufgenommen, und auch einzelne Landesbauernverbände ziehen mit. Es geht dabei nicht um ein neues System, das jetzt installiert werden soll. Es geht darum, festgefahrene Denkmuster zu überwinden und Neues zu wagen. Was im Interesse der Molkereien funktioniert, muss auch zugunsten der Bauern möglich gemacht werden!
29.02.2016
Von: Ulrich Jasper, AbL-Bundesgeschäftsführer

Ulrich Jasper, Bundesgeschäftsführer der AbL