Zukunft der GAP: Die Abgeordneten müssen die Aufweichung ablehnen!

Schon heute, entgegen der ursprünglichen Planung morgen - Donnerstag, entscheidet das Europaparlament in Straßburg im Schnellverfahren (Dringlichkeitsverfahren) final über die von der EU-Kommission vorgeschlagene Aufweichung ökologischer und sozialer Mindeststandards in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), irreführend auch als „Vereinfachung der GAP“ oder „Bürokratieabbau“ bezeichnet und mit Verweis und als Reaktion auf die Bauernproteste vorgelegt. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) fordert die Abgeordneten des Europaparlaments im Vorfeld der Abstimmung dazu auf, ihren demokratischen Mitbestimmungsauftrag ernst zu nehmen und dem Vorschlag der Kommission eine klare Absage zu erteilen. Zu diesem Tagesordnungspunkt liegen fast 40 Änderungsanträge vor. Kritik am Berfahren und den "Vereinfachungsvorschlägen" kommt auch vom grünen EU-Abgeordneten Martin Häusling und bereits im Vorfeld der Entscheidung zum Dringlichkeitsverfahren hatte auch die EU-Abgeordnete Maria Noichl (SPD) das Verfahren und die Inhalte des Kommissionsvorschlages kritisiert.

„Was die Europäische Kommission vorschlägt, ist kein Bürokratieabbau, sondern das Abschmelzen sozialer und ökologischer Grundanforderungen“, erklärt Ottmar Ilchmann, Sprecher für Agrarpolitik der AbL. Weite Fruchtfolgen mit vielen unterschiedlichen Pflanzen seien nicht nur ein wichtiger Bestandteil des Boden- und Biodiversitätsschutzes, sondern insbesondere in Zeiten des Klimawandels auch ein integraler Bestandteil der betrieblichen Risikovorsorge. „Erst vor wenigen Tagen hat eine im Fachmagazin Science veröffentlichte globale Studie der Universitäten Hohenheim und Kopenhagen dies erneut hervorgehoben und zudem betont, dass die Förderung einer vielfältigen Landwirtschaft sogar für bessere Erträge sorgt. Es ist unverantwortlich, dass die bereits jetzt sehr unambitionierten Vorgaben zur Fruchtfolgegestaltung in der GAP nun nochmal geschliffen werden sollen. Gleiches gilt für Vorgaben zum Erhalt von Grünland, die Bereitstellung von Landschaftselementen und ökologischen Vorrangflächen sowie weitere Grundanforderungen. Die Abgeordneten des Europaparlamentes müssen den Vorschlag der Europäischen Kommission ablehnen. Die Versäumnisse beim Boden- und Artenschutz fallen uns Bäuerinnen und Bauern ansonsten sehr bald wieder auf die Füße. Die roten Gebiete in der Düngeverordnung zur Umsetzung des über Jahrzehnte nicht umgesetzten Grundwasserschutzes sollten uns eine Lehre sein. Gerade auch im Hinblick auf die bevorstehende EU-Wahl werden wir das Abstimmungsverhalten genau analysieren und transparent machen, welche Interessen von den einzelnen Akteuren verfolgt werden“, so der Sprecher für Agrarpolitik der AbL, die sich bereits vor etwa zwei Wochen mit einer Stellungnahme an die Abgeordneten des Europaparlamentes gewandt hatte.

Häusling: Unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus werden Umweltauflagen geschliffen

Auch die Grünen/EFA lehnen den Rückzieher der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen respektive der EU-Kommission von ihren ursprünglichen Vorschlägen zur GAP ab und kritisieren das überstürzte Verfahren. Dazu erklärt Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament und Mitglied des Umwelt- und Gesundheitsausschusses: „Die heutige Abstimmung zur Entkernung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) von wesentlichen Umweltauflagen macht deutlich, dass auf EU-Ebene die Abkehr von Klima- und Umweltschutz und eine Rückabwicklung des Green Deals bereits in vollem Gange sind. Unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus werden als Reaktion auf die europaweiten Bauernproteste kurzerhand Umweltauflagen geschliffen – mit dem erklärten Ziel, die Landwirtinnen und Landwirte schleunigst vor den EU-Wahlen von der Straße zu bekommen. Freuen können sich darüber die großen Player der Agrar- und Ernährungsindustrie, denn das Kernproblem der Landwirtinnen und Landwirten – zu niedrige Einkommen – bleibt ungelöst.“

Aber mit diesem kurzsichtigen Verhalten machen sich nach Ansicht von Häusling Konservative, Rechte, Liberale und Co. zu falschen Freunden der Landwirtschaft. Denn eine effiziente Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen, die Wiederherstellung der Biodiversität sowie weitsichtiger Klimaschutz helfen zuallererst den Landwirtinnen und Landwirten selbst. Häusling: „In Zeiten des Klimawandels brauchen wir für eine zukunftsfähige Landwirtschaft Resilienz statt Höchstleistungs-Erzeugung, die auf der Ausbeutung von Tieren, Böden und Ressourcen beruht. Drei Jahre haben wir die jetzige GAP verhandelt - um sie jetzt innerhalb von nur drei Wochen abzuräumen. Dieser verkorkste Prozess wurde zudem weitestgehend am Parlament vorbei durchgezogen. Es gab weder Ausschussanhörungen noch eine Plenardebatte. Außerdem verzichtete die Kommission auf die übliche Folgenabschätzung. Fakten oder Widerrede zu den fatalen Auswirkungen der GAP-Abwicklung auf Biodiversität und Klimaschutz waren unerwünscht.“

Häusling verweist darauf, dass die Grünen nie für diese GAP gestimmt haben, sondern sich immer für unbürokratischere, wirksamere Umweltleistungen eingesetzt haben. „Wir wollen, dass Landwirtinnen und Landwirte einkommenswirksam für ihre Erbringungen öffentlicher Leistungen entlohnt werden. Unser Vorschlag lautet: klare politische Rahmenbedingungen für faire Preise und eine ausgeglichene Marktmacht, damit Landwirtinnen und Landwirte am Markt gute Einkommen erzielen können. Und öffentliches Geld sollen Landwirte für öffentliche Leistungen erhalten“, so der grüne EU-Abgeordnete.

Noichl: Die Vorschläge bedrohen die Umweltambitionen der Europäischen Union

Die EU-Abgeordnete Maria Noichl (SPD) sieht sich als Abgeordnete angesichts des Schnellverfahrens nur noch zur „Abnickerin“ degradiert. Ein jahrelang verhandelter Kompromiss zu europäischen Ökologisierungsauflagen in der Gemeinsamen Agrarpolitik werde in wenigen Wochen auf Initiative der Konservativen (EVP) zerstört. In den Hauptrollen laut Noichl: Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der EVP-Fraktionsvorsitzende Manfred Weber, die für einen ungeprüften Gesetzesvorschlag auch gerne die Stimme des einzig direkt gewählten EU-Organs übergehen. Eine demokratische Debatte und ausreichende Prüfung der weitgehenden Vorschläge der EU-Kommission seien in so kurzer Zeit nicht möglich.

Der Frust der Landwirt:innen ist für Noichl nachvollziehbar - die Vorschläge der EU-Kommission seien es leider nicht. „Hier werden berechtigte Maßnahmen für die Umwelt gegen die kurzfristigen Wünsche aus Teilen der Landwirtschaft ausgespielt. Die Vorschläge helfen weder den Landwirt:innen bei ihrem Kampf für einen besseren Preis für ihre Erzeugnisse, noch stoppen sie das Artensterben auf der Fläche. Mit den Vorschlägen der EU-Kommission könnten bis zu 9 Millionen Hektar pestizidfreies Land verloren gehen, einschließlich mehr als 1,4 Millionen Hektar an brachliegender Fläche. Das Artensterben wird sich demnach weiter intensivieren. Die Folgen werden auch unsere Landwirt:innen zu spüren bekommen. Schon heute gibt es auf 50 % der Anbauflächen in der EU, auf denen Pflanzen angebaut werden, ein Bestäubungsdefizit“, erklärt Noichl.

Die Legitimität des über 360 Milliarden Euro schweren GAP-Budget werde mit diesen Vorschlägen weiter in Frage gestellt. „Denn diese Vorschläge schränken Anforderungen für die Auszahlung europäischer Steuergelder ein. Zudem würden mit den Vorschlägen Kontrollen und Sanktionen für kleinere Betriebe in einem bisher nie dagewesenen Ausmaß wegfallen. Insgesamt würde eine Fläche in der Größe von Deutschland nicht mehr kontrolliert und sanktioniert werden. Die Folgen für die Gesellschaft, für uns alle und unsere Umwelt, sind auch der Kommission wohl kaum klar, denn eine Folgeabschätzung des Vorschlags gibt es nicht“, so die EU-Abgeordnete.

Zum heutigen Beschluss

Eine Debatte im EU-Parlament ist heute nicht vorgesehen. Es liegen allerdings fast 40 Änderungsanträge vor. Rund ein Dutzend kommen von der Grünen/EFA-Fraktion und beinhalten sowohl eine vollständige Ablehnung der „Vereinfachungsvorschläge“ der Kommission wie auch Anträge zur Schadensbegrenzung, indem sie zum Beispiel genauere Ziele im Bereich der freiwilligen Ökoregelungen vorschlagen. Auch einige Änderungsanträge der sozialdemokratischen S&D-Fraktion liegen vor, die ebenfalls zum Ziel haben, das Aufweichen der GAP-Regelungen abzumildern.

24.04.2024
Von: FebL/PM

Die Abgeordneten müssen die Aufweichung ökologischer und sozialer Mindeststandards in der der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) ablehnen. Foto: European Union 2024 - Source : EP