Kommentar: Europa und die Zukunft unserer Höfe

Was ist eigentlich in Brüssel los? Wer zurzeit die Agrarmedien verfolgt, hört immer neue Vorschläge zur Vereinfachung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Es ist längst überfällig, dass der Abbau belastender Bürokratie nun auf allen politischen Ebenen ernster genommen wird. Das dramatische daran ist nur, dass dabei ökologische und soziale Ziele hinten runterfallen.
Die EU-Kommission hat händeringend nach Antworten auf die sich in ganz Europa ausweitenden Bauernproteste gesucht und dabei alle Regeln einer guten demokratischen Praxis über Bord geworfen. Unter Zugzwang, um noch vor der nahenden Europawahl handeln zu können, hat sie ohne Folgenabschätzung oder Beteiligungsprozesse ein Paket mit weitreichenden Veränderungen vor allem bei den GAP-Verordnungen geschnürt, welches entweder als Ganzes oder gar nicht angenommen werden konnte. Deshalb hat sich die AbL trotz vereinzelter positiver Aspekte unterm Strich klar gegen dieses Paket mit massiven Rückschritten für Klima und Umwelt positioniert, denn eine Debatte über einzelne Inhalte war in diesem Dringlichkeitsverfahren gar nicht möglich.

Leider hat die EU-Kommission der Überarbeitung der Marktregulierung keine solche Dringlichkeit beigemessen, obwohl dies die eigentliche Antwort auf die Hauptforderung der Bäuerinnen und Bauern nach einem besseren Einkommen wäre. So werden die dazu nun angedeuteten zaghaften Verbesserungen der Position von Bäuerinnen und Bauern in der Lieferkette erst nach der Europawahl auf den Weg gebracht werden. Neben dem European Milkboard (EMB) setzt sich vor allem unser Dachverband Europäische Koordination Via Campesina (ECVC) für eine deutliche Verschärfung der Marktregulierung ein, z.B. durch ein europaweites Verbot des Einkaufs unter Produktionskosten, wie es in Spanien bereits besteht. In Deutschland wird selbst ein erster Schritt in diese Richtung hart umkämpft, wie die aktuelle Debatte zur Umsetzung einer Liefervertragspflicht zeigt.

Es ist besorgniserregend, dass also nun (kurz nach Redaktionsschluss) als eine der letzten Amtshandlungen vor Beginn des EU-Wahlkampfes die EU-Parlamentarier dem Kommissionsvorschlag ohne Diskussion zustimmen werden. Damit würden die Abgeordneten (insbesondere aus dem rechts-konservativen Lager, welches die Mehrheit stellt) erneut gegen die Interessen einer bäuerlichen, vielfältigen Landwirtschaft stimmen. Mit ihnen sind keine Fortschritte für das Ernährungssystem im Sinne von Ökologie und Gerechtigkeit zu erwarten, sie stehen für die Interessen der Agrarindustrie. Wer die Bedrohungen durch Artenschwund und Klimakrise nicht ernst nimmt, schadet nicht nur der Natur, sondern letztlich auch allen Bäuerinnen und Bauern. Es ist daher jetzt wichtiger denn je, sich für eine zukunftsfähige Landwirtschaft einzusetzen und diese aktiv mitzugestalten. Die kommenden Wochen bis zur Europawahl sollten wir daher entsprechend nutzen, um diese Zusammenhänge in die vielen Veranstaltungen und Debatten einzubringen. Eine Unterstützung dafür ist das Hintergrund- und Forderungspapier der AbL zur EU-Wahl.

Mag sein, dass aus Brüssel auch zukünftig eher keine großen Sprünge zu erwarten sind. Wir sollten daher als AbL auch mit regionalen Ernährungsstrategien und neuen Bündnissen aus Stadt und Land konkrete Verbesserungen für die Höfe erarbeiten. Der große Hebel bleibt aber die GAP! Mit dem AbL-Punktesystem und dem Vorschlag „Zukunft gestalten“ der Verbändeplattform zur GAP, die von der AbL gemeinsam mit dem BUND koordiniert wird, liegen substanzielle Empfehlungen für die zukünftige GAP auf dem Tisch.