Mit Milchviehhaltung zum Haferdrink

Der Krampus, ein monströses Wesen mit Zottelfell, Hörnern und Tiergesicht, rennt und hopst wie irre in einem Imagevideo der Tiroler Tourismusbranche unter einem blassen Mond durch den verschneiten Winterwald, findet einen offenbar verlorenen Kinderfäustling am Boden und trägt ihn mit einem polterigen Auftritt in die wohlig warm beleuchtete Hüttenwirtschaft. Er gibt den Handschuh einem kleinen Mädchen, welches ihn als ihren wieder erkennt. Da guckt die rotwangige Hüttenwirtin mit einem breiten Lächeln aus der Küche, grüßt und fragt den Besucher, was sie ihm denn Gutes tun könne. „Einen Latte macchiato mit Hafermilch bitte“, kommt die Antwort mit einer unerwartet freundlichen Stimme. Die Wirtin kommentiert: „Passt!“

Im letzten Dezember wollte das österreichische Bundesland Tirol mit dem Filmchen für seine Freundlichkeit und Weltoffenheit gegenüber jedem werben, der Schuss ging nach hinten los. Schon kurze Zeit später wurde das Video nicht mehr im Fernsehen ausgestrahlt. Der Tiroler Bauernverband hatte sich massiv über mangelnden Respekt gegenüber der traditionellen Tiroler Milcherzeugung beklagt.

 

Zukunftskonzept

Einen ganz anderen Weg gehen gerade Bioland-Bauern und -Bäuerinnen mit ihrer Molkerei in Norddeutschland. Die Bauerngemeinschaft Hamfelder Hof, ein Zusammenschluss von 40 ökologisch wirtschaftenden Milchviehbetrieben in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern hat bislang in ihrer Bauernmeierei vor allem Trinkmilch, Butter, Naturjoghurt und relativ neu Sahne für einen Vermarktungsradius produziert, der ähnlich groß ist wie der Milcherfassungsraum. Mit einem ehrgeizigen Zukunftskonzept, welches durch eine frühe Produktpreiserhöhung teilweise vorfinanziert wird und die Entwicklung der Betriebe hin zu einer kuhgebundenen Kälberaufzucht und das Aufziehen aller Kälber – also auch der Bullen – vorsieht sowie die Umsetzung von Naturschutz- und Biodiversitätsmaßnahmen initiiert, machte die Bauerngemeinschaft schon vor zwei Jahren auf sich aufmerksam. Nun hat sie ein weiteres neues Produkt in die Kühlregale ihrer bisherigen Handelspartner gebracht, was nicht nur angesichts des Tiroler Krampusses und der dortigen Reaktion ein bisschen revolutionär wirkt. Es ist ein Haferdrink, der vollständig aus Produkten der Bauerngemeinschaft und fast ausschließlich in der eigenen Verarbeitungsstätte im ostholsteinischen Mühlenrade produziert wird. Milchbauern und -bäuerinnen, von denen auch noch ein nicht unerheblicher Teil auf mehr oder weniger reinen Grünlandstandorten wirtschaftet, weshalb bislang nur Einzelne Hafer und Sonnenblumen für das neue Produkt anbauen und damit direkt monetär profitieren können, haben vor rund drei Jahren auf der Gesellschafterversammlung mit ihrer Molkerei den Einstieg in die Produktion eines Haferdrinks beschlossen – mit Investitionen, Fermenterbau, neuer Produktentwicklungsabteilung, 140 Versuchen auf dem Weg zum besten Drink, der Suche nach einer Ölmühle, die die – in Norddeutschland auch nicht so selbstverständlichen – selbst angebauten Sonnenblumen presst. Matthias Stührwoldt, Milchbauer und Mitglied der Bauerngemeinschaft, sagt, das werde unter den Bauern und Bäuerinnen alles nicht besonders kontrovers diskutiert, sondern mit Wohlwollen und Interesse verfolgt. „Für uns war klar, das muss aus unserer Mitte kommen. Wir werden durch die gesellschaftlichen Veränderungen einen gewissen Anteil an Milchkunden verlieren. Warum sollten wir als Bauerngemeinschaft denen nicht ein alternatives Produkt anbieten?“ Zwei seiner fünf Kinder tränken inzwischen nur noch Hafermilch, da könne ihn doch nur freuen, wenn sie aus der eigenen Molkerei stammt. „Der Text auf der Verpackung beschreibt gut, dass sich Milchkühe und ein Haferdrink nicht ausschließen, sondern etwas ergänzt wird, was auf den Höfen immer schon zusammengedacht wird.“ Die Tiere düngen den Acker, auf dem Hafer und Sonnenblumen wachsen, nutzen Grünland und fressen das Haferrestprodukt als Kraftfutter. „Und die Bauern als Teilhaber der Meierei profitieren auch dann, wenn sie nicht den Rohstoff liefern.“

 

Milch nachhaltiger

„Es geht nicht darum, nach und nach den Milchbereich einzustellen, sondern Milch nachhaltiger zu machen, Nährstoffkreisläufe zu schließen“, sagt auch Janosch Raymann, Geschäftsführer der Hamfelder-Hof-Bauernmeierei. Er betont einmal mehr, dass beim Hamfelder Haferdrink bis auf die Herstellung des Sonnenblumenöls alles in der Hand der Bauerngemeinschaft ist und nur das auch dem Selbstverständnis der Gemeinschaft entspricht. „In dieser Konsequenz gibt es das auf dem Markt nicht und wir würden daher zum Beispiel auch keinen Mandeldrink anbieten.“ Dass in Mühlenrade auch Fermenter stehen und eine eigene Produktentwicklung über drei Jahre probiert hat, einen schmackhaften Drink mit den Rohstoffen vom Acker der Betriebe zu kreieren, erfüllt vor allem den eigenen Anspruch an Selbständigkeit und Regionalität. „Dass es jetzt einige Höfe gibt, die rohwarenseitig nicht partizipieren können, trotzdem aber alle dafür gestimmt haben, unterstreicht aus meiner Sicht eindrucksvoll, dass die Gemeinschaft funktioniert und dass weniger die Interessen des Einzelnen als die aller im Vordergrund stehen“, sagt Raymann. Gleichzeitig sei immer klar gewesen – umso mehr nach den Marktverwerfungen des letzten Jahres: „Wir können nicht einfach weitermachen wie bisher.“ Eine Ernährung mit weniger tierischen Bestandteilen bekomme als Thema immer mehr Relevanz, werde aber auch zunehmend differenzierter betrachtet, weg vom platten: „Vegan ist gut und Fleisch ist schlecht.“ Nun wird spannend, wie sich der Absatz des neuen Produkts in den Kühltheken anlässt, grundsätzlich läuft die Vermarktung über die gleichen Handelspartner wie bei den Milchprodukten. Nach dem Verkaufsstart im April wird „in relevanten Mengen nachbestellt“, sagt Raymann vorsichtig optimistisch. Positive Signale sind gerade gern gesehen, ist doch der Bio-Milchmarkt auch nach wie vor eher in unruhigem Fahrwasser ohne eindeutige Trends. Die Kostensteigerungen drücken, so dass die Bauerngemeinschaft Hamfelder Hof Ende Februar nochmals eine Preiserhöhung im Handel umsetzen musste. Im Laden stehen die Vollmilch und der Haferdrink zum Teil nebeneinander und kosten beide gerade noch unter zwei Euro pro Liter. Die Bauerngemeinschaft hat zudem die Milchanlieferungsmenge um zehn Prozent reduziert, um Druck vom Markt zu nehmen. „Ein starkes Signal für den Zusammenhalt in unserer Gemeinschaft, von dem wir uns eigentlich wünschen würden, dass andere folgen“, so Raymann. „Wenn uns jetzt in dieser Phase der Haferdrink ein bisschen hilft, den Milchpreis zu stabilisieren“, sagt Bauer Matthias Stührwoldt, „dann ist schon viel gewonnen.“