Acker ist Widerstand

In der Ukraine liegen Getreide- und Gemüsefelder entlang der Frontlinien, und die Bauern tragen bei ihrer Arbeit Schutzwesten und kugelsichere Helme, die vom ukrainischen Militär ausgegeben wurden. Oft liegen Überreste von Raketen und Landminen auf den Feldern. Die Landwirte stehen in der zweiten Reihe der Front – so drückt es ein Bauer aus, der zwei Hektar Ackerland besitzt, auf dem Erbsen, Gerste, Raps und Weizen wachsen. In der Oblast Saporischschja, in der er Landwirtschaft betreibt, sind 85 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche von Russland besetzt. Es ist nicht klar, wohin die Erzeugnisse aus den landwirtschaftlichen Betrieben in den von Russland kontrollierten Regionen im ukrainischen Hoheitsgebiet in diesem Jahr gehen werden oder wie viel überhaupt produziert wird. Die Landwirte berichten, dass es den besetzten Betrieben an Vorräten wie Treibstoff, Saatgut und Finanzmitteln mangelt, aber die Informationen sind begrenzt, da viele Gebiete unter russischer Kontrolle keinen Zugang zu Mobilfunknetzen oder zum Internet haben. Auf der ukrainischen Seite des Kriegsgebiets sagten die Bauern, dass sie im Falle der Einnahme ihrer Felder nicht sicher seien, ob sie weiterarbeiten werden, da sie befürchten, dass ihre Ernte die russische Invasion noch weiter anheizen wird.

Vertrieben, verletzt, getötet

Die Landwirtschaft und die Verteilung von Lebensmitteln in Kriegszeiten sind von entscheidender Bedeutung, aber es gibt viele akute Probleme. Da die Infrastruktur immer wieder unter Beschuss gerät, stehen die Landwirte vor einem großen Transport- und Sicherheitsproblem. Dabei müssen die Lebensmittel zu den immer zahlreicher werdenden Flüchtlingen in den ukrainischen Städten gebracht werden, wo die Versorgungslage mit jedem Tag des Krieges schwieriger wird. Außerdem haben die Landwirte im Moment nicht genug Kapital, um in Betriebsmittel zu investieren. Alterntiges Getreide in den Lägern ist aufgrund der unsicheren Transportsituation schwierig zu verkaufen. Die Banken können auch aufgrund des Kriegsrechts nur begrenzt Kredite anbieten.

Außerdem fehlt es an Arbeitskräften, viele der Landarbeiter haben sich der Armee oder den Territorialverteidigungseinheiten angeschlossen. Kürzlich wurde per Dekret ein sechsmonatiger Mobilisierungsstopp für Personen verhängt, die in der Landwirtschaft tätig sind, aber viele haben sich dennoch entschieden, ihr Land zu verteidigen. Ein großer Teil der Landarbeit wird durch die Bäuerinnen und die Kinder geleistet. Schon einige Bauernfamilien wurden durch die Kämpfe von ihrem Land vertrieben oder – schlimmer noch – verletzt oder getötet. Üblicherweise erfolgt der russische Beschuss entweder am frühen Morgen, wenn die landwirtschaftliche Tätigkeit beginnt, oder am Abend, wenn die Kühe gemolken und die Tiere versorgt werden. Besonders in der Nordukraine wurden viele Bauernhöfe in Ruinen verwandelt, Hunderte von Tieren durch die Bombardierung getötet, und auch Bauern, die ihre morgendliche und abendliche Arbeit verrichteten, endeten tot unter den Trümmern. Die Zerstörung landwirtschaftlicher Betriebe, von Geräten und Treibstoffreserven gehört offenbar zu einer koordinierten Aggression des russischen Militärs, um die Bevölkerung auszuhungern. Landwirte aus der Region Cherson wurden von den russischen Besatzern gewarnt, dass sie erschossen würden, wenn sie sich auf dem Feld blicken lassen. Dies wird sich in diesem Jahr verheerend auf die Versorgung der Ukraine mit Gemüse und Obst auswirken, da die Region der Anbauschwerpunkt im Land ist. Es wird versucht, das durch einen vermehrten Anbau in anderen Gebieten auszugleichen.

Tauschwährung Naturalien

Eine kürzlich von der Regierung durchgeführte Umfrage ergab, dass die Landwirte nur über 20 Prozent des für die Frühjahrsaussaat benötigten Kraftstoffs verfügen. Außerdem ist Treibstoff gerade für kleinere Landwirte fast unerschwinglich. Deshalb haben viele beschlossen, ihre Felder ohne Mechanisierung zu bearbeiten und sich auf ihre menschliche Kraft und die Zugkraft der Tiere zu verlassen, die sie noch haben. Jetzt, wo die erste Heusaison bevorsteht, nehmen viele Bauern wieder ihre Handsensen in die Hand. Allerdings wird die bevorstehende Ernte der Hack- und Druschfrüchte zu einer Herausforderung.

Und auch die Vermarktung der Produkte ist durch die russische Invasion extrem schwierig. Landwirte riskieren ihr Leben, um in die Städte zu fahren und Lebensmittel direkt an die vom Krieg gebeutelten Bürger zu verteilen. Der Tauschhandel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen ist ebenfalls wieder auf dem Vormarsch. Möhren, Kartoffeln, Zwiebeln und bald auch Wassermelonen werden zu einer Tauschwährung, um die bäuerliche Wirtschaft in Gang zu halten und die Nahrungsmittelversorgung zu sichern.

Akt des Mutes

Europäische Bauern aus dem Netzwerk der Europäischen Koordination Via Campesina mobilisieren zur Unterstützung der Berufskollegen in der Ukraine. Die rumänischen Bauern von Eco Ruralis haben in Zusammenarbeit mit der AbL große Anstrengungen unternommen, um Solidaritätsgelder von Bauer zu Bauer weiterzuleiten. Es konnten bereits mehrere tausend Euro an bedürftige Landwirte aus dem kriegsgeschüttelten Land weitergeleitet werden. Dies ermöglichte auch die Verteilung von Pflanzkartoffeln und Gemüsesaatgut per Lastwagen und die Unterstützung der Landwirte bei der Verteilung ihrer Lebensmittel in den Städten sowie die Versorgung ukrainischer Flüchtlinge sowohl in Rumänien als auch in friedlicheren Teilen der Ukraine. Die weitere Unterstützung wird dazu dienen, die humanitäre und solidarische Hilfe zu verstärken, angepasste Hilfsmittel zu liefern. Die Aussaat auf den Feldern der Ukraine wird zu einem Akt des pazifistischen Widerstands, zu einem Akt des Mutes, der diese Landwirte jetzt in Kriegszeiten auszeichnet.

20.06.2022
Von: Miklos Attila Szocs-Boruss, Präsident des rumänischen Via-Campesina-Mitglieds Ec

Aus Treibstoffmangel wieder mehr Handarbeit Fotos: Privat