Frieden schaffen, Ernährungssouveränität sichern, Lebensgrundlagen erhalten

Schon Ende Februar, nur wenige Tage nach dem Beginn des Überfalls auf die Ukraine durch Russland, wurde in ersten Kommentaren in Fachmedien und Pressemitteilungen von Landwirtschaftsverbänden gefordert, eine Abkehr von der Farm-to-Fork-Strategie und vom Green Deal zu vollziehen. Die Ernährungssouveränität in Deutschland sei gefährdet. Man müsse sich aus anfälligen Lieferketten lösen, Abhängigkeiten beseitigen. Gleichzeitig, und das offenbarte die Doppelzüngigkeit dieser Vorstöße, solle man in Deutschland die geplante, zaghafte Ökologisierung der neuen GAP zugunsten einer Produktionssteigerung auch auf Stilllegungsflächen aufgeben, um so Länder des globalen Südens mit Nahrungsmitteln beliefern zu können. Dass damit genau diese Länder des Südens in neue Abhängigkeiten getrieben werden, aus denen sich Deutschland und die EU gerade lösen wollen, dürfte den Initiatoren sehr bewusst sein.

Die Reaktionen bäuerlicher Interessenvertretungen waren deshalb auch schnell und deutlich. „Das halten wir für eine absolut populistische Argumentation, die unsachgemäß und daher unredlich ist“, zeigte sich BDM-Vorsitzender Stefan Mann verärgert. „Wir haben einen Selbstversorgungsgrad von 135 Prozent bei Kartoffeln, von 125 Prozent bei Schweinefleisch, 125 Prozent bei Zucker, 116 Prozent bei Milch und 106 Prozent bei Getreide. Natürlich ist auch uns bekannt, dass rund ein Fünftel der landwirtschaftlichen Agrarprodukte auf Grundlage von Importfuttermitteln produziert wird und damit rein rechnerisch eine Unterversorgung behauptet werden könnte. Völlig vernachlässigt wird dabei aber, dass rund ein Drittel unserer Nahrungsmittel im Müll landet, vor der Ernte untergepflügt wird, weil es nicht verkauft werden kann, oder Obst am Baum vergammelt, weil es aus aller Herren Länder billiger importiert werden kann.“

Auch die europäischen Koordinatoren der weltweiten Kleinbauernorganisation La Via Campesina (ECVC) äußern sich eindeutig. Es seien die zehn Millionen europäischen Bäuerinnen und Bauern, die die Ernährungssicherung auf der Grundlage eines gesunden Ökosystems garantierten, nicht die Agrarindustrie. Bedroht würde deren Wirtschaftsweise durch die Klimakrise und den Verlust der Biodiversität. Fergal Anderson, irisches ECVC-Mitglied: „Wir möchten klar betonen, dass eine Abkehr von der Farm-to-Fork-Strategie nicht dazu beitragen würde, die enormen Herausforderungen der europäischen Landwirtschaft zu lösen. Im Gegenteil: Der Krieg in der Ukraine zeigt, dass unsere Abhängigkeit von synthetischen Düngemitteln, die mit russischem Gas hergestellt werden, eine große Gefahr für unsere Ernährungssouveränität darstellt. Ähnlich ist die Viehzucht massiv von Getreide- und Ölsaatenimporten abhängig.“

Eindeutig ist auch das Signal der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, deren Bundesvorsitzende Elisabeth Fresen, Bäuerin aus Verden an der Aller, die Instrumentalisierung der betroffenen, vom Tod bedrohten und flüchtenden Menschen für agrarpolitische Rückwärtsmanöver kritisiert: „In einer Zeit, in der unweit von Deutschland Millionen von Menschen in der Ukraine um ihr Leben bangen und viele sterben, lehnt es die AbL ab, politisch übereinander ‚herzufallen’ und notwendige Veränderungen in Frage zu stellen. Das ist respektlos und würdelos gegenüber den leidenden Menschen im Krieg. Es ist viel wichtiger für uns, inne zu halten, an die verzweifelten Menschen zu denken und praktische Hilfe zu leisten.“ Und sie formuliert an die Adresse der Lobby der Agrarindustrie: „Die Zeit zurückzudrehen und eine Abkehr vom notwendigen Umbau der Tierhaltung oder vom Green Deal der Europäischen Union zu fordern, wie es einige Interessengruppen und Parteien gerade tun, ist nicht nur unanständig den Menschen in der Ukraine gegenüber. Es verkennt auch, dass das keine Lösung für die Bäuerinnen und Bauern und die landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland ist. Das bisherige System hat Abhängigkeiten, existenzielle Nöte und die Kritik der Gesellschaft gebracht. Der Weg daraus geht nur nach vorn: mit Klima-, Tier- und Umweltschutz und durch den Erhalt bäuerlicher Landwirtschaft.“
 

AbL-Forderungen

 

Die politischen Verantwortlichen und die Zivilgesellschaft müssen folgende Punkte anpacken:

1. die internationalen Abhängigkeiten hinterfragen und die Importe und Exporte auf den Prüfstand stellen;

2. Ernährungssouveränität und die Bekämpfung des weltweiten Hungers in den Mittelpunkt stellen;

3. den ökologischen Krisen unserer Zeit auch weiterhin politisch begegnen und hierfür die Ziele des Green Deal, der Farm-to-Fork- und der EU-Biodiversitätsstrategie weiterverfolgen und mit sozialer Gerechtigkeit und Ernährungssicherheit in Einklang bringen;

4. Klimagerechtigkeit zur Grundlage des Handelns und der politischen Entscheidungen machen, ausgehend vom jüngsten IPCC-Bericht;

5. das Ernährungsverhalten anpassen, d. h. geringerer Fleischkonsum, weniger Lebensmittelverschwendung, regionale und saisonale Ernährung für höhere Wertschöpfung auf den Betrieben;

6. den Energieverbrauch reduzieren, die erdölbasierte Produktion hinterfragen, die viel zu hohen Abhängigkeiten von fossiler Energie begrenzen und erneuerbare Energien erheblich ausbauen;

7. dafür sorgen, dass die Spekulation mit Nahrungs- und Futtermitteln verboten wird.