Ein Interview zu einem dokumentarischen Erzähltheater mit Allgäuer (AbL-)Bauern. Zusammen am Tisch sitzen: Harald Holstein, Dipl.-Theaterwissenschaftler, Schauspieler und Regisseur, und Katharina Kempter, Schauspielerin, theaterpädagogische Begleitung aus Kempten. Dazu: die AbLer Josef Agerer aus Hinterstein/Bad Hindelang, für Jahrzehnte Elektriker beim örtlichen Energieversorger, Bioland-Nebenerwerbslandwirt mit sechs Milchkühen und Ferienwohnungen und Manfred Gabler aus Fleschützen/Haldenwang, Bioland-Haupterwerbslandwirt mit 50 Milchkühen und kuhgebundener Kälberaufzucht, Schafe, Hühner, Ausbildungsbetrieb.
Unabhängige Bauernstimme: Wie kamen Sie auf die Idee zu diesem Format des Erzähltheaters mit Bauern auf der Bühne, auch in Verbindung mit dem Bauernkriegsgedenkjahr? Wie haben Sie die Bauern gefunden, die mitmachen?
Harald Holstein: Nach der Beschäftigung mit der Historie des Bauernkriegs habe ich mich gefragt: Wie geht es den Bauern und Bäuerinnen heute, wie frei sind sie und wie frei fühlen sie sich, was treibt sie an und was regt sie auf? Landwirte sind im Theater keine häufig abgebildete Gruppe. Die Projektidee war, ihnen eine Stimme zu geben. Ich habe Kontakt aufgenommen mit den Verbänden und war auf vielen Veranstaltungen, wie z. B. dem Landfrauentag und Kälberauktionen.
Katharina Kempter: Die Bauernproteste vom Vorjahr waren mir noch sehr präsent, deshalb war ich sehr gespannt, wer sich hier zusammenfindet. Nachdem sich zwölf bis 14 Interessierte gemeldet hatten, wurden neben mir noch weitere Schauspieler:innen der freien Szene mit ins Boot geholt. Eigentlich wollten wir das ganze Spektrum von konventionell und bio, groß und klein, alt und jung. Das ist nicht ganz gelungen, die jüngere Altersgruppe und Großbauern haben sich nicht gemeldet. Für uns war aber vor allem der Prozess wichtig, nicht nur das Endergebnis.
Warum habt ihr euch entschieden, bei diesem Erzähltheater mitzuspielen und wie sind eure Erfahrungen damit?
Sepp Agerer: Es war vor allem Neugierde und Lust auf Neues. Es klang einfach spannend, die eigene Geschichte erzählen zu dürfen und eigene Schwerpunkte zu setzen. Ich habe es nicht bereut, mitgemacht zu haben. Die gemeinsame Arbeit war sehr von Wertschätzung und gegenseitigem Interesse geprägt. Meine Sätze wie „Wie viele Kühe verträgt das Allgäu? Wir haben zu viele, es wäre schon geholfen mit einer Flächenbindung von zwei Kühen pro Hektar“ waren mir wirklich wichtig. Und wir konnten einen Blick hinter die Kulissen werfen und Schauspielarbeit hautnah miterleben.
Manfred Gabler: Debatten sind oft langweilig, weil eigentlich alles schon mal gesagt wurde. Aber das künstlerische Format ermöglicht eine Erzählung, die wirklich in die Tiefe geht und Persönlichem viel Raum gibt. Bei den Vortreffen gab es eine breite Palette an Meinungen, z. B. wie frei fühle ich mich als Bauer – wie vielen Zwängen bin ich ausgesetzt. Aber es endete nie im Streit.
Das Themenfeld ist komplex – wie ist es euch gelungen, aus der Vielzahl von Aussagen der Bäuer:innen die prägnantesten herauszufiltern?
Harald Holstein: Die Komplexität war uns anfangs nicht klar. Nach zahlreichen Treffen und Interviews hatten wir 460 Seiten Text mit Aussagen wie: „Die Tourismusindustrie boomt. Aber wehe, die Butter kostet 2,39 Euro. Da muss ich schon fragen: Ja, wie viel Pfund isst du am Tag?“ Wir haben dann nach Schwerpunkten gefiltert, wollten aber auch sehr berührende Momente zeigen: Der Satz einer Bäuerin, die auf engstem Raum mit den Schwiegereltern lebte, „Es fühlte sich an, als hätte ich keine Haut mehr“, ist ja schon fast Literatur.
Welche Resonanz kam bei euch an, vom Publikum über Presse und Künstlerszene? Wie habt ihr die Gespräche mit dem Publikum nach jeder Aufführung erlebt?
Manfred Gabler: Obwohl spät am Abend, blieben immer sehr viele Zuschauer:innen, die Mehrzahl Bäuer:innen. Es gab Aussagen wie: „Endlich sagt mal jemand, wie es ist“, oder: „Zum ersten Mal im Leben hatte ich das Gefühl, dass ich nicht allein bin, dass ich gesehen werde.“ Die Jungbauernschaft kritisierte, dass ihre Altersgruppe nicht vertreten war und manche Berufskollegen gingen mit einem „dicken Hals“ nach Hause, weil wir mit unserem Berufsstand auch kritisch ins Gericht gegangen sind – etwa beim Thema Trennung der Kälber direkt nach der Geburt von den Müttern oder weil wir die langen Kälbertransporte als „Sünde“ bezeichnet haben.
Harald Holstein: Mein Ziel war auch die Vermittlung zwischen Stadt und Land. Dafür hätte ich mir noch mehr Verbraucher im Publikum gewünscht.
Katharina Kempter: Die Reaktionen aus der Künstlerszene waren sehr positiv und die Kemptener Kulturbeauftragte als Förderer lobte, dass Stimmen auf die Bühne gebracht wurden, die sonst nicht zu hören sind. Die Presse reagierte positiv. So schrieb z. B. die Allgäuer Zeitung: „Nach und nach entwickelt sich ein aufklärerisches Drama mit humorvollen Einschüben. Die Essenz dessen, was Landwirte umtreibt.“
Wie kann die Idee des Austauschs weitergehen, welches Format ist denkbar?
Katharina Kempter: Wir denken darüber nach, Gesprächsräume anzubieten: moderierte Gespräche für Landwirte und auch gemeinsam mit Verbrauchern. Ohne Politiker und auch eher ohne Verbandsvertreter. Theaterarbeit kann eine Form sein, diverse Gruppen aus der Gesellschaft zusammenzuführen.
Vielen Dank für das Gespräch!
+++ Kurzinfo: Erzähltheater - Was bedeutet es heute, Bauer zu sein? +++
500 Jahre nach dem Bauernkrieg setzen sich Allgäuer Landwirt:innen in diesem dokumentarischen Erzähltheater mit den zentralen Fragen ihrer Arbeit auseinander: Wie sieht der Alltag auf einem Hof aus? Wie beeinflussen Tierwohl, globale Märkte und der Klimaschutz ihre Entscheidungen? Und welche Visionen gibt es für die Zukunft der Landwirtschaft? Inspiriert von den zwölf Memminger Artikeln von 1525 formulieren sie ihre eigenen Ideen für eine nachhaltige und faire Zukunft. Das Erzähltheater wurde an vier Spielorten im Allgäu aufgeführt, im Herbst werden evtl. weitere folgen. Die Bäuer:innen und Schauspieler:innen sitzen auf der Bühne, die Sprecher treten vor. Großteils sprechen sie ihre eigenen Texte. Wenn die Zitatgeber nicht selbst vortragen konnten oder wollten, wurden sie durch Schauspieler:innen vertreten. Die Figuren eines Bauern in historischem Kostüm und eines Narren standen am Beginn und am Schluss des Stückes, verknüpften Szenen und trugen historische Texte aus der Zeit um 1525 vor. Nach jeder Aufführung wurden die Zuschauer aufgefordert, zu bleiben und ins Gespräch zu kommen. Diese Gelegenheit wurde ausgiebig in Anspruch genommen.