Nobelpreis an Erfinderinnen der CRISPR/Cas „Gen-Schere“

Der diesjährige Nobelpreis für Chemie ist an die Erfinderinnen der CRISPR/Cas „Gen-Schere“, Emmanuelle Charpentier (Direktorin der Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene in Berlin) und Jennifer Doudna (Universität in Kalifornien in Berkeley, verliehen worden. In einer ausführlichen Stellungnahme (siehe nachfolgend) beleuchtet die Gentechnik-Expertin der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft Annemarie Volling die Entstehungsgeschichte dieser Technik, benennt die Risiken sowie die wirtschaftlichen Begehrlichkeiten und kommentiert die Reaktionen beispielsweise der Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner auf die Nobelpreis-Vergabe. Ein Urteil aus der Stellungnahme mit Blick auf die CRISPR/Cas-Technik: „Zu behaupten sie sei sicher, ist unwissenschaftlich.“

Stellungnahme Es war klar, dass er kommt, es war nur nicht klar wann und an wen er vergeben wird, der CRIPSR-Nobelpreis. Nun ist er an die Erfinderinnen der CRISPR/Cas „Gen-Schere“ verliehen worden, Emmanuelle Charpentier (Direktorin der Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene in Berlin) und Jennifer Doudna (Universität in Kalifornien in Berkeley). Die Gen-Schere CRISPR/Cas gilt unter den Forschenden als „Revolution“, weil sie ganz neue und sehr viel weitergehende Möglichkeiten der Veränderung von Erbgut als bisher eröffnet. Allerdings gehen damit auch ethische Fragestellungen einher: Dürfen wir alles was wir können? Und wissenschaftlich/ökologische: Wie genau ist die Schere tatsächlich? Welche unerwünschten Nebeneffekte gibt es? Dürfen solche Organismen in die Umwelt entlassen werden, obwohl sie nicht rückholbar sind? Im Medizinbereich ist klar: Die neuen Verfahren werden als Gentechnik reguliert – wird Landwirtschaftsbereich lobbyieren die Gentechnik-Unternehmen für Deregulierung, weil Gentechnik nach wie vor keine Akzeptanz auf dem Teller hat und eine Kennzeichnung als Gentechnik als unverkäuflich gilt. Gleichzeitig wird die wirtschaftliche Dimension deutlich: Es geht um einen Milliardenmarkt im Medizinbereich und nach wie vor gibt es Patentstreitigkeiten. Ursprung von CRISPR/Cas in Bakterien Das CRISPR/Cas-System wurde 2005/ursprünglich in Bakterien entdeckt, hier dient es der Immunab­wehr gegen eindringende Viren. Bakterien können sich an zurückliegende Virusinfektionen „erinnern“ und diese bei erneuter viraler Infektion schneller bekämpfen. Vereinfacht gesagt werden mit Hilfe von CRISPR Stücke aus dem Erbgut der Viren in das Erbgut der Bakterien integriert. Dies befähigt die Bakterien bei einer wiederholten Infektion, das Genom der Viren zu erkennen und zu zerschneiden. Dieses bakterielle System haben nun Doudner und Charpentier eingehend zunächst an einem Bakterium Streptococcus pyrogenes untersucht. 2014 gelang es den beiden Wissenschaftlerin­nen, dieses bakterielle Virusabwehrsystem so weiter zu entwickeln, dass es als molekularbiologisches Werkzeug im Labor verwendet werden kann – und zwar zur Veränderung von Erbgut von tierischen und pflanzlichen Zellen. CRISPR-Komplex Das CRISPR/Cas-System besteht aus einer Erkennungskomponente und einer Schneidekomponente. Mittels der Erkennungskomponente gelangt CRISPR/Cas zielgerichteter an eine bestimmte Stelle der DNA, schneidet sie dort und bewirkt am Ende eine Veränderung der Zielsequenz. Die Erkennungs­komponente ist ein kleines Molekül (guide RNA), die den Zielbereich auf der DNA erkennt, dort bindet und die Schneidekomponente (Cas-Protein) in Position bringt. Das Schneiden führt zu einem Doppelstrangbruch. Dieser mobilisiert zelleigene Reparatursysteme, die entweder den Doppelstrang­bruch reparieren oder zu einer Veränderung der DANN führen. Je nach Reparaturmechanismus kann dies eine unspezifische kleine Veränderung weniger Basenpaare sein, was bspw. dazu führt, dass Gene (die funktionellen Einheiten der DNA) ausgeschaltet oder verändert werden. Dies ist aktuell bei ca. 90% der Anwendungen der Fall. Es sollen aber auch gezielte kleinere und größere Veränderungen an der DNA vorgenommen werden. Dazu werden im Labor kurze DNA-Stücke hergestellt, die zusam­men mit dem CRISPR/Cas-System in die Zelle eingeschleust werden und dort als Reparatur-Vorlage beim DNA-Bruch dienen. Bislang funktionieren diese gerichteten Veränderungen nicht so gut.typo3/ CRISPR ist weit davon entfernt, präzise und sicher zu sein Doudner und Cahrpentier arbeiten vor allem im medizinischen Bereich. In einem aktuellen Zeit-Interview sagte Charpentier zur Frage, ob auch in menschliche Keimbahn eingegriffen werden sollte: „Aktuell ist die CRISPR-Technologie weit davon entfernt, dass man sie präzise und sicher anwenden könnte, um menschliche Keimbahn zu verändern. Und selbst wenn, so sind für so gut wie alle Charakteristika des Menschen viele Gene verantwortlich, nicht eines allein. In vielen Fällen wissen wir nicht, welche beteiligt sind. Der Grossteil der Wissenschaftler ist sich einig, dass CRISPR für solches human enhancement auch nicht verwendet werden sollte, sondern zunächst einmal für die biomedizinische Forschung. (…) Wir alle werden als Gesellschaft weiter diskutieren müssen, wie wir mit so etwas umgehen wollen.“ Einfach und billig? Das „revolutionäre“ an CRISPR/Cas ist, dass der Erkennungs-/Schneide-Komplex „programmierbar“ ist. Der Schneide-Komplex ist der gleiche, verändert wird „nur“ die Erkennungskomponente. Dies macht die Technik vermeintlich einfach und billig. Um aber eine geeignete Stelle zu finden, die ver­ändert werden soll braucht es molekulargenetisches KnowHow und eine entsprechende Laborein­richtung. Um diesen finanziellen Aufwand stemmen zu können schließen sich mittelständische Pflanzenzüchter zu Laboren zusammen. Der Milliardenmarkt hinter CRISPR Die wohl größten Hoffnungen hat CRISPR in der Medizinbranche ausgelöst. Laut einem Bericht in der Wirtschaftswoche habe sich hier längst ein Milliardenmarkt entwickelt. Beide Preisträgerinnen haben bereits kurz nach ihrer Entdeckung Unternehmen gegründet, die neue medizinische Methoden entwickeln. Charpentier hat bspw. Crispr Therapeutics mitgegründet, welches in der Schweiz börsen­notiert ist. Dort wird unter anderem eine Therapie gegen Sichelzellenanämie entwickelt, eine erbliche Bluterkrankung. Versuche an ersten Patienten laufen bereits. Doudna ist beteiligt an der Gründung von Caribou Bioscience, die gerade die Zulassung für klinische Studien erhalten haben, um mit CRISPR-Gentherapien eine bestimmte Form von Blutkrebs zu bekämpfen. Scribe Therapeutics aus Kalifornien, an der auch Doudna beteiligt ist, will Methoden gegen das Nervenleiden ALS entwickeln. Weitere Forschungsfelder sind erbliche Muskelschwäche oder nervenschädigende Erkrankungen wie Chorea Huntington. Marktanalysten von Market Insights schätzen das Geschäft mit solchen Genthe­rapien auf 18 Milliarden Dollar im Jahr 2027. Weil die Entwicklung der neuen Heilmethoden viele Millionen, wenn nicht Milliarden Euro verschlingt, sind die Entwicklerinnen auch Partnerschaften mit großen Pharmakonzernen eingegangen. Crispr Therapeutics etwa arbeitet mit Bayer zusammen, der Konkurrent Intellia Therapeutics (eine Ausgründung von Caribou) mit Novartis. Patentstreitigkeiten Ungeklärt ist weiterhin der jahrelange Streit darum, wer CRISPR-Cas-9 als erste*r entdeckte. Bis heute laufen die juristischen Auseinandersetzungen sowohl in den USA als auch in Europa zwischen Charpentier, Doudna und ihren Universitäten auf der einen Seite sowie Feng Zhang und dem Broad Institut des MIT (Masschusetts Institute of Technology) auf der anderen Seite. Zusammen mit dem bekannten Harvard-Professor George Church hatte Feng Zhang zum ersten Mal CRISPR bei Maus- und menschlichen Zellen angewandt. Für die besonders lukrativen Anwendungen an „höheren“ Zellen (Eukaryoten) bekam das Broad Institut das CRISPR-Patent zugesprochen, für das Verfahren „an sich“ die University of California. Geklärt war damit nichts - im Gegenteil. Die grundlegende Frage, wem gehört das Schlüsselpatent auf CRISPR, ist offen und hart umkämpft, schließlich geht es um Milliarden, die sich künftig mit der CRISPR-Methode verdienen lassen. Klöckner fordert „differenzierte Zulassung“ In der landwirtschaftlichen Debatte geht der Streit aktuell vor allem darum, ob Pflanzen, die mit den neuen Verfahren erzeugt worden sind, nach dem europäischen Gentechnikrecht reguliert werden müssen. Spätestens nachdem der Europäische Gerichtshof 2018 dies in einem Grundsatzurteil bestätigt hatte, wird vor allem seitens der Gentechnik-Industrie aber auch Forschungsverbänden eine Lobbykampagne zur Deregulierung der neuen Gentechnik-Verfahren gefahren. Bundeslandwirt­schaftsministerin Julia Klöckner nutzte die Vergabe des Nobelpreises und kommentierte, dass diese zum Ausdruck bringe, „wie fundamental die Entwicklung der Genschere ist, welche Bedeutung ihr zugeschrieben wird – gerade auch für die Landwirtschaft und die weltweite Ernährungssicherung.“ Mit der Gen-Schere könne zielgenauer und schneller geforscht werden. „Wenn wir Pflanzen wollen und brauchen, die resistent sind gegen Wetterkapriolen und Klimawandel (sind), die weniger Pflanzenschutzmittel benötigen, dann sollten wir verantwortungsvoll über eine differenzierte Zulassung solcher Verfahren für die Pflanzenzucht diskutieren. Die Entscheidung aus Stockholm ist dazu ein weiterer Anstoß." Risikotechnologie Damit bezieht Klöckner erneut Position für eine mindestens teilweise Deregulierung der neuen Gentechnik-Verfahren, obwohl diese – bestätigt durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes – als Gentechnik nach EU-Gentechnikrecht zu regulieren sind. Regulieren bedeutet nicht Verbot – wie es einige Interessierte gerne behaupten – sondern dass Organismen, eine Risikoprüfung und ein Zulassungsverfahren durchlaufen müssen, wenn sie in die EU-importiert oder hier angebaut werden sollen. Nach Zulassung gilt Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit. Das ist auch gerechtfertigt, denn ob diese neuen Gentechnik-Pflanzen überhaupt einhalten, was versprochen wird, und ob die Pflanzen dann tatsächlich auch in Interaktion mit der Umwelt „funktionieren“, das ist noch völlig unklar. Im Moment wird hauptsächlich Grundlagenforschung betrieben. Zudem können die neuen Gentechnik-Verfahren zu sehr viel weitergehenden Veränderungen des Erbgutes führen. Wie sich das im Organismus und in den Ökosystemen auswirkt ist noch nicht erforscht. Selbst kleine Veränderun­gen im Erbgut von nur wenigen Basenpaaren können weitgehende Auswirkungen haben. In der Regel werden noch die alten Gentechnik-Verfahren genutzt, um CRISPR in die Zelle einzubringen, mit den gleichen Unvorhersagbarkeiten und Risiken. CRISPR ist eine neue Technik, die noch keiner systematischen Risikoprüfung unterzogen wurde. Zu behaupten sie sei sicher, ist unwissenschaftlich. Entsprechend müssen alle Organismen, die durch die neuen Gentechnik-Verfahren entstehen, als Gentechnik eingeordnet und reguliert werden, meint die AbL. Daniela Wannemacher vom BUND unterstreicht dies: „CRISPR/Cas ermöglicht umfassende Manipula­tionen am Genom, das zeigt die heutige Nobelpreis-Verleihung einmal mehr. Umso wichtiger ist es, dass mit Blick auf die Anwendungen das Vorsorgeprinzip und ein verantwortungsvoller Umgang mit der mächtigen Technologie gesichert sind. Entsprechend hat auch der EuGH 2018 gefordert, dass Verfahren wie CRISPR/Cas dem europäischen Gentechnikrecht unterstellt bleiben.“ Klare Grenzen setzen Für Christoph Then von Testbiotech ist die Verleihung „ein Nobelpreis für die Büchse der Pandora.“ Then meint, „diese Technologie und der Nobelpreis bedeuten eine enorme Herausforderung und Verantwortung für alle Beteiligten. Die Zukunft des Lebens auf diesem Planeten hängt ganz wesentlich davon ab, ob wir es schaffen, den Anwendungen dieser neuen Gentechnik klare Grenzen zu setzen. Wir müssen insbesondere verhindern, dass das Erbgut von Mensch, Tier und Pflanzen zum Spielball von Profitinteressen und technischer Hybris wird.“
12.10.2020
Von: FebL/av

Auf twitter beglückwünscht Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner die Nobelpreisträgerinnen mit den Worten: Sie haben Türen geöffnet: Sorten, die weniger Pflanzenschutzmittel brauchen u. stabiler sind, die Züchtung wird passgenauer. Wir sollten sie verantwortungsvoll nutzen zur Erntesicherung. Bildquelle: Klöckner/twitter