Expansion des Agribusiness als eine Ursache anhaltender Menschenrechtsverletzungen an Indigenen Völkern

Anlässlich des Internationalen Tags der Indigenen Völker am 9. August weist FIAN Deutschland auf die Verschlechterung der Menschenrechtslage Indigener Völker insbesondere in Lateinamerika hin. Dabei spielen auch gewaltsame Enteignungen, um große landwirtschaftliche Nutzflächen zu schaffen, eine zentrale Rolle.  Nach dem jüngsten Inkrafttreten der ILO-Konvention 169, dem international völkerrechtlich verbindlichen Instrument zur Durchsetzung der Rechte indigener Völker, in Deutschland steht die Bundesrepublik noch stärker in der Verantwortung, die Rechte Indigener Völker in ihren Außenbeziehungen zu achten, schützen und gewährleisten. Der Rat der Europäischen Union unterstreicht in einer Mitteilung anlässlich des Internationalen Tags der Indigen Völker die Rolle indigener Völker und erklärt, sich für wirksamere Regeln für ein verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln einzusetzen, um ein nachhaltiges und verantwortungsvolles unternehmerisches Verhalten auch in Gebieten indigener Völker zu fördern.

Weltweit gibt es schätzungsweise 476 Millionen Indigene. Lateinamerika ist die Region mit einem der höchsten Anteile Indigener Völker. Obwohl Indigene nur 6 % der Weltbevölkerung ausmachen, entfallen auf sie etwa 19 % der extrem armen Menschen der Welt. Auch von Hunger und Unterernährung sind sie überproportional betroffen. Der Raubbau der natürlichen Ressourcen – ohne Beachtung des Willens und der Bedürfnisse von Indigenen – und die massive Expansion des Agribusiness bedrohen vielerorts ihr Überleben.
„Die Menschenrechtssituation der indigenen Völker gibt Anlass zu großer Sorge. Ihre grundlegendsten Rechte – darunter die Rechte auf angemessene Nahrung, Wasser und eine gesunde Umwelt – werden ständig von öffentlichen und privaten Akteuren verletzt. Die COVID-Pandemie und Naturkatastrophen infolge des Klimawandels haben ihre prekäre Situation noch verschlimmert. Die Bundesregierung ist aufgefordert, eine Strategie zur Umsetzung der jüngst in Kraft getretenen ILO-Konvention 169 vorzulegen", so Marian Henn, Lateinamerikareferent von FIAN Deutschland. 
Indigene Territorien werden häufig gewaltsam enteignet und müssen großen landwirtschaftlichen Nutzflächen weichen, meist für Soja-, Palmöl- und Zuckerrohr-Plantagen oder für die Viehzucht. Zudem spielen die von Indigenen Völkern bewohnten ländlichen Gebiete in vielen Fällen eine bedeutende Rolle für Klimaschutzstrategien in Form von Staudammprojekten, internationalen Emissionshandel-Mechanismen oder Waldschutzprojekten.
Der wachsende Einsatz gefährlicher Pestizide verschmutzt vielerorts Wasserquellen, zerstört die Biodiversität und führt zur Vertreibung Indigener Gemeinden. Gewaltsame Auseinandersetzungen bei Räumungen sowie systematische Repression und Kriminalisierung Indigener Völker und Landrechtsverteidiger*innen sind weitere Merkmale des anhaltenden Verdrängungs-Prozesses.

Beispiele aus der FIAN-Arbeit
- Etwa 30.000 Indigene vom Volk der Guarani-Kaiowá kämpfen im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul um Zugang zu ihren traditionellen Gebieten. Sie werden immer wieder von ihrem Land vertrieben, um Platz für Plantagen zu schaffen.  Am 24. Juni drangen Einheiten der Militärpolizei und Großgrundbesitzer in das von den Guarani-Kaiowá besetzte Gebiet, Guapoy, ein, um diese gewaltsam zu vertreiben. Bei diesem Angriff wurden mehrere Menschen verletzt und einer getötet.
- Im vergangenen Jahr wurden 725 indigene Familien in Paraguay von ihrem Land vertrieben. Die Räumungen fanden hauptsächlich in Gebieten statt, in denen die Agrarindustrie auf kleinbäuerliche und indigene Gebiete vordringt. Paraguay ist das Land mit der höchsten Landkonzentration der Welt, ein Erbe der 50-jährigen Diktatur von General Strössner. Kriminalisierung und Verfolgung indigener Gemeinschaften, die ihre Landrechte verteidigen, haben in den letzten Monaten zugenommen. 
- In Kolumbien werden seit Jahren die Rechte der Indigenen Gemeinschaft der Wayúu durch das Bergbauprojekt Cerrejón verletzt. Kein Zugang zu sauberem Wasser, Landraub sowie Verfolgung und Einschüchterung von Menschenrechtsverteidiger*innen sind die Folgen des Abbaus von Kohle, die später in andere Länder wie Deutschland exportiert wird. 

Deutsche Verantwortung
Am 21. Juni dieses Jahres trat in Deutschland die ILO Konvention 169, das bisher einzige international verbindliche Abkommen zum Schutz Indigener Völker, in Kraft. Der ILO 169-Koordinationskreis, darunter FIAN Deutschland, fordert die deutsche Bundesregierung auf, noch in dieser Legislaturperiode eine ressortübergreifende Strategie zum Schutz der Rechte Indigener Völker zu erarbeiten und konsequent umzusetzen. „Nach dem Inkrafttreten der ILO Konvention 169 muss die Bundesregierung jetzt endlich ihre extraterritoriale Verantwortung wahrnehmen und sich für die konsequente Anwendung der Konvention zum Schutz der vertraglich zugesicherten Rechte Indigener Völker einsetzen. Dazu gehören etwa das Recht auf Erhalt der kulturellen Identität, das Recht auf Beteiligung an staatlichen Entscheidungen sowie das Recht auf Land und Ressourcen", sagt Marian Henn von FIAN. „Daher gilt es genau darauf zu achten, unter welchen Bedingungen importierte Agrar- oder mineralische Rohstoffe an- und abgebaut werden. Bei Verstößen müssen notfalls Import-Verbote greifen oder Klagen von Betroffenen zugelassen werden", so erklärt Henn weiter.

EU-Rat will entschlossen für Rechte der indigenen Völker eintreten
Anlässlich des Internationalen Tags der Indigenen Völker erklärt der Rat der Europäischen Union unter anderem: „Wir bekräftigen unser entschlossenes Eintreten für die Achtung, den Schutz und die Verwirklichung der Rechte indigener Bevölkerungsgruppen, die in der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker und in den internationalen Menschenrechtsnormen verankert sind. Indigene Völker bewohnen fast ein Viertel der weltweiten Landfläche. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Wahrung und der Verteidigung von mehr als 80 % der biologischen Vielfalt unseres Planeten und haben ein tiefes Verständnis für eine nachhaltige Landbewirtschaftung. Gleichzeitig gehören sie zu den am stärksten von den schwerwiegenden Auswirkungen des Klimawandels und der Umweltzerstörung betroffenen Bevölkerungsgruppen.“

Darüber hinaus ergreife die EU „Maßnahmen für wirksamere Regeln für ein verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln, um ein nachhaltiges und verantwortungsvolles unternehmerisches Verhalten – auch in Gebieten indigener Völker – zu fördern.“

Die eigene Rolle der EU etwa bei der Verursachung des Klimawandels oder der Zerstörung des Regenwaldes durch ihre Agrarpolitik oder die internationalen Handelsbeziehungen thematisiert der Rat in seiner Mitteilung nicht.

08.08.2022
Von: FebL/PM

Indigene vom Volk der Guarani-Kaiowá kämpfen im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul um Zugang zu ihren traditionellen Gebieten. Sie werden immer wieder von ihrem Land vertrieben, um Platz für Plantagen zu schaffen. Bildquelle: FIAN Deutschland